Kunstfälschungsgeschichte

Henry Keazor erzählt, warum der vermeintliche Meisterfälscher Wolfgang Beltracchi gar nicht so einzigartig ist

Von Katharina RudolphRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Rudolph

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu Beginn des letzten Jahres konnte man den Kunsthistoriker Henry Keazor, der eigentlich als Professor an der Universität Heidelberg lehrt, für einige Minuten lang im Kino sehen – in der Dokumentation „Die Kunst der Fälschung“, die das verurteilte Betrüger-Paar Helene und Wolfgang Beltracchi präsentiert, als seien sie eine eigentlich doch ganz harmlose und irgendwie auch sympathische moderne Hippie-Version von Bonny und Clyde. Keazor spielt im Film die Rolle des Interviewers, befragt den vermeintlichen Meisterfälscher in zurückhaltend-kritischem Ton nach den Anfängen seiner Laufbahn und lässt sich erzählen, dass er, Beltracchi, eigentlich alles malen könne: keine große Sache also, so ein Vermeer, Rembrandt oder Leonardo.

Jetzt hat Keazor ein kluges Buch mit dem Titel „Täuschend echt!“ veröffentlicht, in dem er in chronologischer Reihenfolge nicht von der Kunstgeschichte, sondern der Kunstfälschungsgeschichte erzählt. Sein Fazit: Beltracchi ist nicht so einzigartig, wie es auf den ersten Blick scheint, und wie er es wohl selbst gerne hätte. Kunstfälschungen hat es spätestens seit dem Mittelalter gegeben, vieles verlief dabei stets nach ganz ähnlichen Mustern. Selbst Beltracchis übersteigertes Selbstbewusstsein ist ein alter Hut. Schon der Ungar Elmyr de Hory beispielsweise, der, bevor er aufflog, vor allem zwischen den 1940er- und 1960er-Jahren sehr erfolgreich unter anderen auch Matisse-Bilder fälschte, bekundete, Matisse sei eigentlich ein miserabler Maler gewesen. Etwa so, wie Beltracchi heute bekundet, dass seine Max Ernst-Bilder ja vielleicht sogar viel schöner seien als die echten.

Nun täte man Beltracchi aber Unrecht, spräche man ihm ausgeprägte Fertigkeiten ab. Immerhin wurde sein „Rotes Bild mit Pferden“, das er im Stil des rheinischen Expressionisten Heinrich Campendonk gemalt und mit dessen Signatur versehen hatte, im November 2006 beim Auktionshaus Lempertz in Köln mit Aufgeld für rund 2,9 Millionen verkauft. Das teuerste Campendonk-Bild, das jemals unter den Hammer gekommen war. Schon im Vorfeld hatte man es in der Presse gar als Schlüsselwerk der Moderne gerühmt.

Keazor allerdings erläutert, dass es tatsächlich ein Charakteristikum von Fälschung ist, dass die Werke oft als die schönsten und besten eines Malers oder einer Epoche gelten. Denn der Fälscher malt in seine Fälschung zum einen, ohne sich dessen bewusst zu sein, den Zeitgeschmack seiner Gegenwart hinein. Zum anderen verdichtet er die in der Gegenwart als spezifisch geltenden Merkmale eines Künstlers so sehr, dass das Bild geradezu als dessen malerische Essenz erscheint. Van-Gogh-Fälschungen des frühen 20. Jahrhunderts etwa, die man erst für echt hielt, wurden just in dem Moment als solche entlarvt, als versucht wurde, sie für eine Ausstellung zwischen andere van-Gogh-Bilder zu hängen. Sie passten dort nicht hinein, sie waren keine van Goghs, sie waren Über-van-Goghs.

Auch, dass Beltracchi nicht einfach kopierte, sondern Leerstellen im Œuvre eines Künstlers füllte, wurde von vielen anderen bereits vorgemacht. Fälschen bedeutet in den allermeisten Fällen das Schaffen eines ganz neuen Werkes, das es entweder tatsächlich einmal gab oder gar nur gegeben haben könnte. Der Fälscher informiert sich also beispielsweise im Werkverzeichnis eines Malers über ein Bild, das als verschwunden oder zerstört gilt und von dem nur ein Titel oder eine vage Beschreibung überliefert ist. Dann sucht er sich eine alte Leinwand aus der entsprechenden Epoche mit einem unbedeutenden Werk darauf, greift mit viel Fantasie zu Pinsel und Farbe, übermalt es und, voilá, das verschollen geglaubte Meisterwerk ist wieder da. Welch eine Freude für den Wissenschaftler, der so lange danach geforscht hat, für das Auktionshaus, das frische, heiße Ware wittert, für den Sammler, der eine neue Trophäe ergattern kann. Beltracchi war auch und vor allem deshalb erfolgreich, weil er einem gefräßigen internationalen Kunstmarkt Bilder in den Schlund warf, nach denen der nur so gierte. Ein neuer Campendonk? Pechstein? Max Ernst? – Her damit!

Doch um ein gefälschtes Bild auf dem Markt platzieren zu können, bedarf und bedurfte es schon immer, so Keazor, nicht nur eines guten Malers, sondern auch eines Spurenlegers. Jedes Werk muss Fußabdrücke hinterlassen in der Geschichte, es braucht Provenienzen. Woher kommt es? In welchem Museum, in welcher Privatsammlung hing es? Wer hat es verkauft, wer gekauft? Da wurden und werden dann große Sammler erfunden und emsig Briefe, Dokumente und Galerie-Stempel gefälscht. Beltracchi zum Beispiel versah viele seiner Bilder mit einem vermeintlichen Aufkleber der Galerie Alfred Flechtheim, die zu den bedeutendsten der Weimarer Republik gehörte. Das war zwar schlau, weil sehr viele der Werke aus Flechtheims Besitz heute als verschollen gelten, zugleich aber auch zynisch, denn die Bilder sind deshalb verschollen, weil Fleichtheim Jude war und große Teile seines Besitzes entweder zwangsverkauft werden mussten oder von den Nazis geraubt wurden. Er selbst konnte im Jahr 1933 fliehen, seine Frau nahm sich, kurz bevor sie ins Konzentrationslager deportiert werden sollte, 1941 das Leben. Beltracchis Flechtheim-Aufkleber waren so miserabel gemacht – sie zeigten ein völlig entstellendes Bild des Galeristen, das dieser so nie in Umlauf gebracht hätte –, dass sie mit dazu beitrugen, dass am Ende alles aufflog. Also doch kein Meisterfälscher?

Zuletzt plädiert Keazor dafür, dem Phänomen der Fälschungen in der Ausbildung von Kunsthistorikern zukünftig einen weitaus größeren Platz einzuräumen als bisher. Dabei gehe es nicht um die Heroisierung etwa eines Wolfgang Beltracchi, sondern vielmehr um eine intensive und kritische Auseinandersetzung. Weil wir aus Fälschungen lernen können, weil sie und der Umgang mit ihnen etwas über unsere gegenwärtigen Vorstellungen von Kunst an sich verraten und über die Art, wie wir einen bestimmten Maler sehen oder sehen wollen. Und, weil nur so dem Kunstmarkt ein Korrektiv entgegengestellt werden kann, das verhindert, dass auch in Zukunft aus Nachlässigkeit, Naivität oder Nicht-sehen-wollen Fälschungen als solche nicht erkannt werden.

Kein Bild

Henry Keazor: Täuschend echt! Eine Geschichte der Kunstfälschung.
Konrad Theiss Verlag, Darmstadt 2015.
256 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783806230321

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