Mit Wut für mehr Gerechtigkeit

In seinem neuen Buch „Niemand ist ein Zigeuner“ kämpft Wolfgang Wippermann für die Rechte von Sinti und Roma

Von Sebastian MeißnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Meißner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wolfgang Wippermann macht aus seinen Absichten keinen Hehl. Der Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin gesteht bereits im Vorwort zu „Niemand ist ein Zigeuner. Zur Ächtung eines europäischen Vorurteils“, dass seine Arbeit nicht zweckfrei und ohne Zorn sei, sondern auf eine Bekämpfung und Überwindung des Antiziganismus abziele. Der Schwerpunkt seines essayistischen Buches liegt deshalb nicht auf der Geschichte, sondern auf der Gegenwart. Wippermann zeigt auf, wie Sinti und Roma noch heute überall in Europa diskriminiert und ihrer Rechte beraubt werden. Von welch hoher Relevanz diese Arbeit ist, zeigt ein Blick auf die Fakten: Rund zehn Millionen Sinti und Roma gibt es aktuell. Sie leben überwiegend als Minderheiten in den europäischen Ländern. Auf dem ganzen Kontinent werden sie verfolgt und ausgeschlossen. In Deutschland lehnt noch heute fast jeder zweite Bürger Roma ab, wie jüngste Umfragen zeigen. Sie gelten vielen als „asozial“, als „arbeitsscheue Sozialtouristen“, die auf Kosten des Staates leben wollten. Ihnen das Recht auf Würde zuzusprechen, ist die Absicht von Wippermann.

Damit reiht sich dieses Buch konsequent ein in das Werk des Autors. Wippermann forscht seit jeher über Fragen von Faschismus, Nationalsozialismus, Rassismus, Fanatismus und religiösem Fundamentalismus. Er ist überzeugt davon, dass diese Ideologie politisch gewollt ist – und dass sie der Mehrheitsgesellschaft als Abgrenzung vom vermeintlich Fremden und der Legitimation von Herrschaft dient. Den Umgang mit Sinti, etwa die nach 1945 konsequente Leugnung des an ihnen begangenen Völkermordes, nennt er „skandalös“, „perfide“, „abscheulich“ und „beschämend“.

Wippermann fordert ein radikales Umdenken in Bezug auf Roma. Sie müssten endlich von ihrem Stigma befreit werden, das ihnen zu Unrecht anhafte. Außerdem müsse man sie endlich entschädigen für den Völkermord, den man an ihnen begangen hat. Insgesamt fordert der Autor eine Integration der Roma. Dazu gehöre unter anderem, dass sie dieselben Sozialleistungen bekommen, wie sie die Mehrheitsgesellschaft erhält. Und zuallererst müsse man endlich aufhören, sie „Zigeuner“ zu nennen – ein negativ konnotierter Pauschalbegriff, der nichts anderes ist als eine Beleidigung.

„Niemand ist ein Zigeuner“ ist ein lehrreiches Buch und ein leidenschaftliches Plädoyer für Gerechtigkeit. Wippermann leitet den Leser mit zahlreichen Beispielen und Hintergrundinformationen durch die Geschichte und Gegenwart eines dunklen Kapitels europäischen Rassismus. In zehn Positionen setzt er sich mit den Entwicklungen und Fragen zum Antiziganismus, insbesondere im aktuellen, europäischen Diskurs, auseinander. Dabei identifiziert er religiöse, soziale, romantisierende und rassistische Motive und zeichnet – indem er diese kapitelweise darstellt – ein vollumfängliches Bild des modernen Antiziganismus.

Ein Glossar am Ende des Buches erklärt die wichtigsten Begriffe und schafft ein wertvolles Grundverständnis. Entstanden ist eine wütende, beherzte, gute und vor allem wichtige Arbeit.

Titelbild

Wolfgang Wippermann: Niemand ist ein Zigeuner. Zur Ächtung eines europäischen Vorurteils.
Körber-Stiftung, Hamburg 2015.
251 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783896841674

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