Von A wie „Apfeltörtchen“ bis Z wie „Zeitgenössinnen“

Christian Liedtkes kurze Essays in seinem Buch „Heinrich Heine. Ein ABC“ führen kenntnisreich und anregend in Leben und Werk des Schriftstellers ein

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein außergewöhnlicher deutscher Dichter war Heinrich Heine. Wie kein anderer verband er ein großes politisch-emanzipatorisches Anliegen mit jenen kleinen Dingen des Lebens, die es doch zu allen Zeiten erst lebenswert machen. In dieser Einheit überwand der „Dichter der Liebe und der Revolution“, wie man ihn oft nennt, eine typisch deutsche Verlegenheit. Denn entweder preist man hienieden dichtend die hohen Ideale und entfernt sich in hymnisch-idealistischer Begeisterung von trivialen Lebensrealitäten oder man zieht sich mit ähnlicher Begeisterung und dichterischer Kunstfertigkeit zurück ins romantisch Kleine, dabei freilich gleichermaßen den Bezug zu den alltäglichen Lebensrealitäten verlierend. Nicht so Heine! Er lobt den Kuss der Liebenden, preist die Köstlichkeiten des Lebens, dort, wo er sie findet, in Goslar zum Beispiel, während der Harzreise: „ich fasse sie bei der Hand und sage: ich bin ein Liebhaber von schönen Blumen und Küssen, und was man mir nicht freiwillig gibt, das stehle ich – und ich küsste sie rasch“. Die schöne Unbekannte weiß kaum, wie ihr geschieht, doch wir ahnen es: der kecke Übergriff ist nur das Vorspiel fürʼs wahrhaft Revolutionäre … Im Kleinen das Große zu gewahren, so wie im Großen das Kleine zu behaupten – Heines dichterische Kunst vereint diese dialektische Herausforderung und ließ die fröhliche und sinnenreiche Revolution als neue Qualität erahnen.

Am ehesten erfährt man diese Kunst, indem man Heine liest. Zuweilen aber möchte man zusätzliche Informationen haben, in der Hoffnung, noch besser verstehen zu können, was den Autor motivierte, welche Einflüsse und Umstände die Texte entstehen ließ – kurzum, was Heine in seiner Zeit zu dem machte, den wir heute kennen. In dieser Absicht kann man guten Muts zu Christian Liedtkes Band „Heinrich Heine. Ein ABC“ greifen. Eine „Miniatur-Enzyklopädie“ nennt der wissenschaftliche Mitarbeiter am Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut seinen gelungenen Versuch, in einem „ABC“ von „Wissenswertem, Kuriosem oder Überraschendem von und über Heinrich Heine“ zu berichten. 25 Buchstaben (XY sind zusammengezogen) ergeben 25 „kleine Essays“, die allesamt höchst lesenswert sind.

Sie sind es deshalb, weil der Heine-Kenner über die für das Alphabet ausgewählten „Begriffe oder auch besondere Wortschöpfungen Heines“ literarische, kulturelle, historische und biografische Aspekte anregend miteinander in Beziehung zu setzen vermag und so konzentriert in Heines Leben und Werk einführt. So dient beispielsweise der unter dem Buchstaben C ausgewählte Begriff „Campejaden“, 1835 von Heine in einem Brief an seinen Verleger Julius Campe ‚erfunden‘, für eine ebenso knappe wie aufschlussreiche Darstellung dieser Autor-Verleger-Beziehung, und man erfährt, wie sie in einem durch die Zensurbestimmungen der Karlsbader Beschlüsse von 1819 restaurativen Zeitgeist bestehen konnte. Denn der eben vor diesen Verhältnissen schließlich nach Paris ‚geflohene‘ Autor mutete dem in Hamburg mit Geschick und strategischer Diplomatie sein Geschäft betreibenden Verleger eine Menge zu. Oft witterte Heine in der den deutschen Verhältnissen geschuldeten Zurückhaltung desselben eine Art Verrat, oder zumindest doch Kompromisse auf seine, Heines, Kosten. Mit den „Julius-Campejaden“ bezeichnete er in seinem Brief derartige Irritationen im Verhältnis zu seinem Verlegerfreund, die aber nie zum Bruch führten. Im Gegenteil: die seit 1826 bestehende Verbindung blieb als Freundschaft und als Partnerschaft bestehen – ein „Glücksfall für die deutsche Literatur“, wie Liedtke resümiert.

Trotz aller Kritik an vielen politischen Verhältnissen war doch auch Heine „ganz und gar ein Mann seiner Zeit“, wie Liedtke im Beitrag „Zeitgenössinnen“ über sein Verhältnis zu Frauen und seinen „chauvinistischen Klischeevorstellungen“ bemerkt. Auch der unter dem Buchstaben D verfasste Kurzessay „Duelle“ bestätigt dies. Denn es mag verwundern, dass sich auch der ‚aufgeklärte‘ Heinrich Heine auf diesen voraufklärerisch-feudalistischen Ehrenhandel einließ. Heine war „Duellen nie aus dem Weg gegangen“. Liedtke verweist darauf, dass die Duelle für Heine eine Form der öffentlichen Auseinandersetzung waren. Oft galt es, über den unmittelbaren Anlass für die jeweilige ‚Satisfaktion‘ hinaus, auch dem, was man heute einen „Shitstorm“ im Internet nennen würde, zu begegnen.

Ein Duell im Februar 1841 bot Heine Anlass zur Heirat mit seiner Lebensgefährtin Mathilde – um sie für den Fall eines schlechten Ausgangs des Waffengangs abzusichern. Die Sache ging gut aus, doch seit 1848, dem Jahr, in dem die deutsche Paulskirchen-Revolution verpuffte und mit ihr einmal mehr der Versuch, aus den kleinkariert-biedermeierlichen deutschen Verhältnissen zu entkommen, verschlechterte sich Heines Gesundheitszustand. In Mathildes Obhut wurde die „Matrazengruft“ – ein „Hammerwort“ zitiert der Autor den Heine-Preisträger von 2004 Robert Gernhardt – „zum Inbegriff der Krankheits- und Leidenszeit seiner späten Jahre“. Liedtke hebt klug hervor, dass Heine mit dem Begriff von der „Matrazengruft“ ein grotesk-programmatisches Bild findet, mit dem er selbst sein Spätwerk einordnet. „In demselben Maße wie die Revolution Rückschritte macht, macht meine Krankheit die ernstlichsten Fortschritte“, schrieb Heine, und verband derart seine Lebens- und Arbeitssituation mit der allgemeinen gesellschaftlichen Situation nach den verpassten Revolutionsversuchen von 1848/49. Die „Matrazengruft“ steht für jenen „grotesken Witz“, den Liedtke dem Spätwerk Heines zuschreibt und mit dem er seine beiden zentralen Motive literarisch gestaltete: die Verbindung des menschlichen Geistes als ständiges Potenzial für die große aufgeklärte Revolution mit den kleinen Dingen des irdischen Lebens, die es so lebenswert machen.

Titelbild

Christian Liedtke: Heinrich Heine. Ein ABC.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015.
240 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783455403350

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