Häuser, Frauen, Krankheiten

Das Universum von Richard Ford und seiner Figur Frank Bascombe

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

39 Jahre alt war der Sportreporter Frank Bascombe, als er erstmalig die literarische Bühne betrat. Damals, Mitte der 1980er-Jahre, war in seinem Leben ganz schön was los. Sein bester Freund hatte sich umgebracht, seine Ehe zerbrach nach dem Tod des Sohnes. Doch Richard Ford hatte schon vor mittlerweile 29 Jahren nicht den Hang zum Selbstmitleid, vielmehr diente ihm der erste Bascombe-Roman bereits dazu, die, wie es zwei Romane später dann im Titel programmatisch benannt wurde, „Lage des Landes“ einzufangen und widerzuspiegeln. Im 1995 erschienenen und ein Jahr darauf mit dem Pulitzerpreis geadelten „Unabhängigkeitstag“ – vielleicht Fords bestem Buch überhaupt – ist Frank Bascombe Immobilienmakler, ein Mittvierziger mit Freundin, Ex-Frau und einem Sohn, den er nur selten sieht. Den Jahrtausendwechsel und ein genuin amerikanisches Fest, Thanksgiving, erlebt der Leser mit dem zum zweiten Mal verheirateten Bascombe im 2007 erschienenen und von vielen Lesern und Kritikern als etwas zu langatmig bewerteten dritten Bascombe-Roman, eben „Die Lage des Landes“. Danach soll Ford in einem Interview gesagt haben, nicht mehr über diese Figur schreiben zu wollen. Was man ihm insofern glauben konnte, als vor drei Jahren „Kanada“ erschien, ein großartiger Roman, der nichts mit den vorherigen zu tun hatte.

Doch glücklicherweise ist Richard Ford nicht bei seiner Haltung geblieben, glücklicherweise treibt ihn Bascombe noch immer um, lässt ihn der literarische Blick auf sein Land nicht los. „Let Me Be Frank With You“ ist sein viertes Buch mit diesem Protagonisten. Und „Frank“, so der knappe, klare deutsche Buchtitel ist wieder ein starkes, ein sehr beeindruckendes Buch geworden. Überraschenderweise hat sich Richard Ford auf cirka 220 Seiten von der ganz langen epischen Form abgewandt, nichtsdestotrotz lässt das neue Buch nichts, aber auch gar nichts davon vermissen, was Fords Leser an seinen Büchern lieben. Wieder beschreibt er ein wichtiges US-amerikanisches Datum, den Hurrikan Sandy, der im Oktober 2012 in den USA über 70 Todesopfer forderte und unter anderem Teile des Bundesstaates New Jersey verwüstete.

Frank Bascombe, nunmehr 68 Jahre alt, hat den Prostatakrebs besiegt und lebt mit seiner zweiten Ehefrau Sally wieder in der fiktiven Stadt Haddam, New Jersey. Ein ehemaliger Kunde, Bascombe ist seit wenigen Jahren im Ruhestand, ruft ihn eines Morgens an, er will sich mit ihm in Sea-Clift treffen, wo er vor Jahren das Haus der Bascombes gekauft hat, das nun, nach dem Sturm, nur noch ein verwüstetes Wrack ist. Frank denkt darüber nach, erinnert sich an sein ehemaliges Haus, an sein damaliges Leben, an diesen Mann. Und wieder ist es Fords dichte, detailgenaue Beschreibung von Menschen, Physiognomien und Kleidung, die diese Lektüre so einzigartig macht – auf dem Weg in das noch immer abgesperrte Areal der vom Sturm zerstörten Siedlung begegnet er einem Polizisten, den er von früher, als er selbst noch dort wohnte, kennt. Diesen Mann mit seiner Uniform, seinen diversen Gerätschaften am Gürtel zeichnet Ford so exakt, dass man ihn förmlich vor sich sehen kann.

Doch sein Protagonist bleibt nicht beim Äußeren, er vergleicht das heutige Bild dieses Mannes mit dem aus seiner Erinnerung und listet die Veränderungen auf. Außerdem kommen ihm das Leben, die familiären Umstände des Polizisten wieder in den Sinn – Ford zeigt hier, wie archivarisch das Hirn eines guten Verkäufers arbeitet, wie Frank Bascombe noch immer eine Art Kartei im Kopf hat, so schnell wird man die Jahrzehnte im Umgang mit Menschen, denen man etwas verkaufen, die man beraten will, nicht los. All das geschieht in „Ich bin da“, der ersten von vier Episoden dieses Buches, denn „Frank“ ist genau genommen kein Roman. Am ehesten sind es lange Erzählungen, die natürlich alle mit Bascombe zu tun haben und zeitlich in einem engen Rahmen spielen, im Herbst/Winter des Jahres 2012. So ist es auch zu erklären, dass Ford manches mehrfach erwähnt, zum Beispiel, dass Frank Bascombe eine monatliche Kolumne in „Salut!“schreibt, einer kostenlosen Zeitschrift für Kriegsheimkehrer aus dem Irak und Afghanistan, etwas, das ihm, der als junger Mann große literarische Ambitionen hatte und dann eben Sportreporter wurde, bis heute leicht fällt und Spaß macht.

Allein dieser erste Text von knapp 60 Seiten Umfang ist so vielschichtig, lebendig,  komisch und politisch klar, dass man realisiert: Ford benötigt nicht die lange Strecke, um seine Brillanz zu demonstrieren und seine Anliegen zu formulieren. Wenn man sein Werk betrachtet, das neben den gefeierten Romanen auch Novellen und Kurzgeschichten umfasst, dann versteht man, dass er seinen Protagonisten nicht zwingend in einen weiteren Roman zwängen musste. In „Könnte alles schlimmer sein“ entspinnt sich ein langes intensives Gespräch zwischen Bascombe und einer Frau Mitte 50, die als Mädchen in Bascombes jetzigem Haus gelebt hat. Sie wollte, ja, sie musste dieses Haus noch einmal sehen, in dem sich so viele Dinge ereignet haben, Dinge, die ihr Leben und das ihrer Familie auf entscheidende und dramatische Weise veränderten.

Sally ist derweil bei einem Treffen mit Hurrikanopfern. Gegenüber von Franks Haus stecken Schilder im Boden, die einerseits politische Parolen, andererseits einen Verkaufshinweis tragen – Richard Ford ist auch hier wieder ganz nah am Tagesgeschehen, gleichzeitig aber auch in der literarischen Fiktion. Diese Verdichtung, diese äußerst lebendige Sicht auf mehrere Aspekte gleichzeitig, kombiniert mit Fords brillanter Sprache, seinem knorrigen Humor und der selbstironischen Sichtweise seines Helden, machen „Frank“ zu einem besonderen Leseerlebnis. Allein wie er in „Das neue Normal“ die Wohnanlage beschreibt, in der seine Ex-Frau Ann wohnt, die ätzende Skizzierung ihres Freundes Buck und die neuen Gemälde, die in ihrer Wohnung hängen, sind das Geld für dieses Buch wert.

In „Die Tode anderer“ geht es dann noch einmal programmatisch um den letzten Lebensabschnitt und die letzten Dinge. Frank Bascombe erhält Anrufe eines ehemaligen Freundes, eher eines Kumpels, der siech und sterbend in seinem Haus liegt. Frank will ihn nicht besuchen, sträubt sich lange, will sich nicht mit der eigenen Sterblichkeit beschäftigen müssen, obwohl er ein so reflektierter Typ ist. Dieser Text, der via Rückblenden Lebenskapitel aufschlägt und biografische Details preisgibt, beschließt dieses Buch, das für Ford-Fans eine Offenbarung ist – ist es doch einerseits ein veritables Bascombe-Buch geworden, andererseits eine unerwartet geglückte Mischung aus Roman und Erzählung, ein Buch, bei dem die Gattungen unwichtig und fließend geworden sind. Frank Heibert hat „Frank“ so geschmeidig und gekonnt übersetzt, dass man ein gutes Gefühl für den US-amerikanischen weißen Mittelklassealltag bekommt. Gerne würde man in den kommenden Jahren ein weiteres Buch Fords mit diesem Protagonisten lesen, der dann mit großer Wahrscheinlichkeit den Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahlen 2016 kommentieren wird.

Titelbild

Richard Ford: Frank. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Frank Heibert.
Carl Hanser Verlag, München 2015.
219 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783446249233

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