Wer hat jetzt das Sagen?

Juli Zehs „Jetzt bestimme ich!“ ist ein ‚Grundkurs‘ in Sachen Demokratie

Von Anne Amend-SöchtingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anne Amend-Söchting

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Wiefels, eine ganz ‚normale‘ Kernfamilie, bestehen aus Mama, Papa, Anki und Spätzchen. An ihrem siebten Geburtstag beschließt Anki fortan zu bestimmen, so wie Mama und Papa. Spätzchen, der noch klein ist, möchte das natürlich auch, keine Frage.

Aus dieser Situation entwickelt Juli Zeh, eine der bekanntesten Autorinnen der Gegenwartsliteratur, eine Fiktion zu den Grundfragen eines gleichberechtigten Miteinanders. Am Anfang steht das Chaos, denn alle wollen während des Spaziergangs im Stadtpark bestimmen, was als nächstes ansteht. Danach hat Mama die Idee eines „Bestimmer-Karussells“, das schnell als nicht funktionsfähige „Bestimmer-Treppe“ entlarvt wird. Am nächsten Tag erledigen alle in großer Eile hintereinander die individuell favorisierten Aktivitäten, bevor ausgelost wird, wer der Bestimmer ist. Das Los fällt ausgerechnet auf die Schildkröte Rainer-Maria, die immer mit von der Partie ist.

Nachdem alle auf dem Boden herumgekrochen sind, und nach diversen weiteren Aktivitäten zum Ermitteln des Bestimmers, wird jedem Familienmitglied ein Bereich im Haus zugeordnet, in dem es das Sagen hat. Als Mama alleine in der Küche sitzt, Papa isoliert im Garten werkelt, Spätzchen auf den Betten im Elternschlafzimmer Trampolin hüpft und Anki DVDs in Dauerschleife schaut, verbreitet sich nach einigen Stunden eine unsägliche Einsamkeit. Niemand kann schlafen, weshalb sich alle schließlich in der Küche einfinden, wo – laut Spätzle – „Disco-Sohn“ stattfindet. Die anschließende Wahl einer Regierung gewinnen Mama und Papa.

In klarer und kindgerechter Sprache ergibt sich eine Art Lehrstück zum Thema Partizipation. Gerade weil es ganz unprätentiös und unpädagogisch daherkommt, kann es pädagogische Wirkung entfalten, konkret Kindern eine erste Idee von Mitbestimmung und Demokratie vermitteln. „Jetzt bestimme ich“ hebt sich wohltuend ab von Bilderbüchern, die ihre Moralinlektionen nicht verbergen können.

Großflächig gezeichnete Figuren und auch die für kleine Kinder gut erfassbaren realistischen Illustrationen von Dunja Schnabel tun ein Übriges, um den Weg vom Chaos zu einer Ordnung zu veranschaulichen, in der auch Kinder zu ihrem Recht kommen. Attraktiv für die Kleinen dürfte sein, dass Rainer-Maria als Teil der Familie konzipiert ist und nach seinem Einzug bei den Wiefels auf keiner Seite fehlt. Dass sich in den safrangelben Umschlagseiten zudem jede Menge Käsebrote tummeln, passt zum Inhalt, denn nach einem turbulenten Tag voller Diskussionen bleibt abends keine Zeit mehr zum Kochen, es gibt Käsebrote.

Zehs Text und Schnabels Bildkompositionen sind hervorragend für das Lesen und Betrachten im Familienkreis mit Kindern ab 2-3 Jahren geeignet. Dort, wo Familienkonferenzen angesagt sind, vermag das Buch diese zu beschwingen. Als ‚Grundkurs‘ in Sachen Demokratie ist es ebenfalls in Kindertageseinrichtungen gut einzusetzen.

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag ist seit dem 22.12.2015 auch bei Literatur Radio Bayern zu hören.

Titelbild

Juli Zeh: Jetzt bestimme ich!
Mit Illustrationen von Dunja Schnabel.
Carlsen Verlag, Hamburg 2015.
48 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783551518163

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