Ein Augen- und Ohrenöffner
Noch ein Bilderbuch über Mozarts „Zauberflöte“
Von Anne Amend-Söchting
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMozarts Zauberflöte ist eine Oper der Superlative – seine letzte, bekannteste und vermutlich auch beliebteste. Gleichzeitig ist sie eine Oper, in der sich auf unterschiedlichen Ebenen Gegensätzliches manifestiert, das ebensolche Rezeptionen nach sich zieht – von „naiv“ bis höchst komplex. Dass das Werk auf der Grundlage seiner vordergründig märchenhaften Handlung gehört und gesehen werden kann, beweisen eine Reihe von Bilderbüchern, die meistens gut dafür geeignet sind, Kinder auf die Begegnung mit der Musik von Wolfgang Amadeus Mozart im Allgemeinen und der Zauberflöte im Besonderen vorzubereiten. Ergibt es Sinn, so muss man sich vorab fragen, dem Reigen einen weiteren Titel hinzuzufügen? Die Antwort darauf ist einfach: Ja, unbedingt!
Die neue Präsentation im Bilderbuch hebt sich von den meisten anderen insofern ab, als es nicht nur um die Oper als solche geht, sondern um eine Aufführung zur Zeit ihrer Entstehung. Dies bedeutet, dass sich der Plot um die junge Soferl rankt, eigentlich Sofia, die in Wien lebt und trotz ihres zarten Alters von sechs oder sieben Jahren ihrer Familie beim täglichen Broterwerb helfen muss. Immer, wenn sie gewaschene und gebügelte Hemden austrägt, geht sie am Volkstheater auf der Wieden vorbei. Ganz besonders angezogen wird sie von der geplanten Aufführung der Zauberflöte. Um sich eine Eintrittskarte leisten zu können, verkauft sie vor dem Theater Äpfel. Als dieser Plan jedoch nicht aufgeht, kann sie die Aufführung dennoch aufgrund der Intervention von Mozart höchstpersönlich dennoch sehen. Danach steht ihr Entschluss fest, auch im Chor zu singen und, wie könnte es anders sein, das Vorsingen bei Mozart und Schikaneder endet erfolgreich.
Das alles hört sich zwar ein bisschen nach abgeschmackter Story mit Happy End an, ist aber nicht nur in pädagogischen Kontexten gut einzusetzen, um einer jungen Zielgruppe ab vier Jahren die sozioökonomischen Umstände des 18. Jahrhunderts zu erklären und ein erstes Verständnis für den Wandel historischer Gegebenheiten zu wecken.
Ingrid Leser-Matthesius erzählt Soferls Geschichte in gut verständlichem Text. In diesen Rahmen hinein bettet sie einen Mini-Opernführer, nämlich einen knappen Bericht über den Plot der Zauberflöte und über deren Aufführung aus Soferls Perspektive.
Jeder, der sich auf diesen Text (oder nur das Buch allein) einlässt, wird mit optischen Rauschzuständen belohnt. Würde man die jeweils eine Doppelseite einnehmenden Bilder nach dem Kriterium Originalität beurteilen wollen, dann wäre das Ergebnis zwar eine Fehlanzeige, die Frage nach der Gegenstandsadäquatheit muss demgegenüber jedoch mit einem klaren Ja beantwortet werden. Wenn Ludvik Glazer-Naudé das Wien des 18. Jahrhunderts malt, dann wählt er eine realistische Darstellungsform. Bei der Wiedergabe der Opernhandlung bleibt er seinem Stil zwar treu, passt sich aber dem Bühnenbild an und lässt vor allem im Hintergrund die Konturenschärfe schwinden. Die märchenhafte Pracht der Aufführung und mit ihr die Binnenhandlung hebt sich vom Rahmen durch einen Text ab, der nicht mehr lediglich auf der linken Seite gedruckt ist, sondern sich auf einer Art Bühne über beide Doppelseiten erstreckt. Mehr noch als der Text sind die Bilder vereinnahmend, appellativ sogar, und entfachen die Neugier Zusätzliches über die Oper erfahren zu wollen.
Das befriedigt die beigefügte CD zwar nur partiell, jedoch immerhin sehr viel besser als andere Einspielungen auf „Beigabe-CDs“. Die Aufnahme ist gut hörbar; positiv anzumerken ist ebenso, dass die ausgewählten Stücke mit Track-Angaben an den passenden Textstellen im Buch markiert sind. Die akustische Auswahl verdeutlicht die Spannung vom Volkslied zur kunstvollen Arie oder vom tiefsten Bass hin zum Koloratursopran. Lediglich über manche Tempi müsste diskutiert werden. Vor allem stellt sich die Frage, warum am Ende die Melodie des Liedes („In einem kleinen Apfel“), das Soferl Mozart und Schikaneder vorsingt, auch noch zu hören ist. Dies fällt leider etwas aus dem Rahmen.
Alle, die noch mehr Informationen haben möchten, finden auf der letzten Doppelseite eine Auflistung der wichtigsten Daten aus Mozarts Leben. Genau diese hat die Ars Edition (lediglich in anderer Formatierung) bereits im Jahr 2006 zu Mozarts 250. Geburtstag in dem Bilderbuch Amadeus und Pauline. Eine magische Reise mit W.A.Mozart von Herbert Rosendorfer verwendet. Dieses Recycling ist verständlich, zumal es aus einem ebenfalls sehr gelungenen Buch stammt, das derzeit leider nicht mehr lieferbar ist.
Alles in allem entfaltet sich die vorliegende Zauberflöte in einem Bilderbuch, das Kinder und auch Erwachsene gleich doppelt in andere Zeiten entführt: in das Wien des 18. Jahrhunderts und in den imaginären Raum der märchenhaften Oper. Soferl ist eine Figur mit hohem Identifikationspotenzial, die Kinder dazu einlädt, eine Kunstform zu erkunden, die ihnen aus dem technologieüberfrachteten Alltag eher unbekannt sein dürfte.