Das Plagiat als Kunstwerk

Nicola Kaminski, Benjamin Kozlowski, Tim Ontrup, Nora Ramtke und Jennifer Wagner haben „Peter Marteaus Unpartheyisches Bedenken über den unbefugten Nachdruck von 1742“ neu ediert

Von Nina HahneRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nina Hahne

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit einigen Jahren hält der Plagiatsdiskurs die wissenschaftliche Welt in Atem. Während sich bei der Prüfung teils längst vergangener Dissertationen im Einzelfall nicht immer mit Gewissheit sagen lässt, ob Vorsatz oder mangelnde Selbstreflexion die stillschweigende Übernahme fremder Texte veranlasste, scheint eines doch unzweifelhaft: Das Plagiat ist der Gipfel der Einfallslosigkeit, ein Resultat mangelnder wissenschaftlicher Erkenntnisfähigkeit, und der plagiierte Text niemals originell.

Dass man sich dieser Thematik auch von einer völlig anderen Seite nähern kann, zeigen die Herausgeberinnen und Herausgeber der vorliegenden Edition. Die aus einem Seminar hervorgegangene Neuedition einer frühneuzeitlichen Abhandlung zum Plagiat lotet zugleich Möglichkeiten und Standards des Edierens im Zusammenspiel von Print und digitaler Repräsentation neu aus. Band 1 enthält eine ausführliche Einleitung, ein Faksimile des edierten Textes und die Neuedition. In Band 2 finden sich der umfangreiche Stellenkommentar sowie ein alphabetisches Glossar.

Einleitend erläutern die HerausgeberInnen ihr innovatives Vorgehen: Sie wollen die Entstehung des edierten Textes Peter Marteaus Unpartheyisches Bedenken über den unbefugten Nachdruck von 1742 auf der Basis zweier Prätexte (das heißt: zweier inhaltlicher Vorlagen) im Detail nachvollziehbar machen. Dabei vertreten sie die These, dass das Unpartheyische Bedenken, welches auf der Ebene der Argumentation den unbefugten Nachdruck verurteilt, durch eigenes umfangreiches Plagiieren seiner Prätexte einen ironischen Subtext schaffe. Damit lasse es sich als früher Vertreter einer Debatte über den Status des Originalwerkes lesen und zwar lange vor dem Aufkommen der Genieästhetik, die bekanntlich das im Wesentlichen voraussetzungslose Meisterwerk zum Ideal erhob.

Anhand eines speziell entwickelten Markierungssystems zeigt die Neuedition direkte und indirekte textuelle Übereinstimmungen mit den Prätexten auf und macht nachvollziehbar, wie sich der Text selbst als kunstvolles Plagiat konstituiere. Ergänzt wird die Edition durch eine Webpräsenz des Projektes (www.original-plagiat.net), auf der sich ergänzende Materialien finden: Verweise auf Digitalisate der behandelten Texte sowie Bibliographien der erhaltenen Ausgaben des Unpartheyischen Bedenkens, der kontextrelevanten zeitgenössischen Texte zum Plagiatsdiskurs – der auch im frühen 18. Jahrhundert bereits tobte – sowie der Referenztexte, die das Unpartheyische Bedenken zitiert. Angestrebt worden sei eine „textuelle Versuchsanordnung“, in der die Leser selbstständig durch Textstellenvergleich über den schmalen Grat zwischen Adaption und Original reflektieren könnten.

Die HerausgeberInnen sehen ihren Text, der das Plagiat zur Kunstform erhebe und damit Originalität ganz eigener Art erzeuge, als Schlusspunkt in einer Plagiatsdebatte, die sich ab 1731 um Johann Heinrich Zedlers Großes Vollständiges Universal-Lexicon und dessen häufig aus anderen Lexika entlehnte Artikel entsponnen habe. Ein Hinweis darauf, dass es sich bei dem komplexen Plagiat wirklich um einen intendierten Vorgang handelte, der über das bloße Kompilieren hinausging, liefere bereits die fiktive Verlagsadresse „Peter Marteau“ (oder „Pierre Marteau“). Sie sei für gelehrte Zeitgenossen ein eindeutiges Signal gewesen, dass sie es mit einem hintersinnig-subversiven Werk zu tun hatten.

Ist hier nun tatsächlich eine Kunst des Plagiats am Werk? Es bleibt letztlich den Lesern selbst, zu entscheiden, ob sie diese These überzeugend finden. Die HerausgeberInnen haben ihren Standpunkt jedenfalls mit sehr umfassenden Belegen unterstützt. Dennoch kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass das rücksichtslose Verwerten von Prätexten für das Unpartheyische Bedenken auch einen anderen Hintergrund hatte und der betriebene Aufwand womöglich der Verschleierung des Plagiats diente. Fraglich ist, ob der unbekannte Verfasser davon ausgehen konnte, dass sich die Abhängigkeitsverhältnisse seines Textes Zeitgenossen erschließen würden. Selbst in der beispielhaften Präsentation der Texte durch die HerausgeberInnen bleibt der aktive Nachvollzug der konkreten Plagiatsvorgänge eine Herausforderung. Aber selbstverständlich waren die gelehrten Zeitgenossen im 18. Jahrhundert über Publikationen zu den Themen ihrer Wahl in der Regel vorbildlich informiert. Auch ist es denkbar, dass der oder die unbekannte(n) Verfasser selbst an der Abfassung eines der Prätexte beteiligt war(en) und es sich daher in Teilen um ein Selbstplagiat handelt. Dann läge – nach damaligen Standards – kein eindeutiges Plagiat vor.

Es verwundert etwas, dass auf der Webpräsenz des Projektes der edierte Text und seine Prätexte nicht stellenweise über Hyperlinks miteinander verknüpft wurden. So hätten die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Textmaterials noch einleuchtender zueinander in Beziehung gesetzt werden können und ließen sich in einem einzigen Lesedurchgang nachvollziehen. Gerade für die Edition von „mehrschichtigen“ Texten eignet sich die Hypertext-Edition ideal. In einer solchen Präsentationsform ließe sich der Text auch hervorragend zur Besprechung in Studium und Schule verwenden. Die zweibändige Printausgabe wird demgegenüber wohl eher das akademische Fachpublikum erreichen.

In jedem Fall präsentiert die vorliegende Edition mit großer philologischer Sorgfalt, die hier nicht zuletzt in der Einleitung und im detaillierten Kommentar zum Ausdruck kommt, einen spannenden Befund, welcher der Forschung zum 18. Jahrhundert noch einiges zu denken geben wird. Als etwas heikle Botschaft lässt sich aus dem Unpartheyischen Bedenken jedenfalls mitnehmen: Auch das Plagiieren will gelernt sein.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Nicola Kaminski / Nora Ramtke / Tim Ontrup / Benjamin Kozlowski / Jennifer Wagner: Original-Plagiat. Peter Marteaus Unpartheyisches Bedenken über den unbefugten Nachdruck von 1742.
Band 1: Quellenkritische Edition. Band 2: Kommentar.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2013.
688 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-13: 9783865253217

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