Freiheitskämpfer oder Terroristen?

Über Eugene McCabes beeindruckenden Roman „Die Welt ist immer noch schön“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fast 40 Jahre ist es her, dass der damals 46-jährige irische Schriftsteller Eugene McCabe das Buch „Victims: A Tale from Fermanagh“ erstmals veröffentlicht hat. Dem Steidl Verlag und dem großartigen Übersetzer Hans-Christian Oeser ist es zu verdanken, dass dieser Roman nun auf Deutsch vorliegt. Die Wucht, die Aussage, der Schrecken, die dieses schmale, aber immens fesselnde Buch vermitteln, haben nichts von ihrer Aktualität, literarischen Qualität und Heftigkeit eingebüßt: „Die Welt ist immer noch schön“ kommt frisch und bestürzend daher. Die Handlung spielt in der Zeit seiner Entstehung, Mitte der 1970er-Jahre in Irland. Ende der 1960er-Jahre gab es innerhalb der IRA eine Spaltung in die „offizielle“ und die „provisorische“ IRA. Um letztere geht es in diesem blutigen, aber auch kultivierten Buch.

Eine Gruppe von Politaktivisten plant zur Freipressung mehrerer hochrangiger Mitglieder eine Geiselnahme auf einem Landsitz. Die Geschichte beginnt ruhig und idyllisch, die Bewohner des Landhauses befinden sich teilweise noch in der Nähe auf einer Viehschau. Parallel dazu zeigt McCabe die Vorbereitungen der IRA-Leute, die, je nach Perspektive, als Freiheitskämpfer oder als Terroristen bezeichnet werden können. Ihr Anführer ist Martin Leonard, der in seinem Team zwei unberechenbare Helfer hat. Da ist zum einen die junge Lynam, eine kluge Frau mit Studium, die sich radikalisiert und nun ihren ersten extremen Einsatz vor sich hat. Andererseits ist mit Gallagher ein völlig skrupelloser und kaltherziger Mann in der Gruppe, der am Liebsten keine Gefangenen machen möchte und nur schwer an der Leine zu halten ist. Mit zwei weiteren Handlangern macht sich der Trupp auf den Weg, Ziel ist der Landsitz.

Dort angekommen, überwältigen sie die Familie mit ihren Gästen, allesamt kultivierte Menschen, die sich mit teuren Gemälden, edlem Mobiliar und einer prächtigen Bibliothek umgeben, gut und gepflegt essen und trinken und  ihre Aggressionen, Enttäuschungen und Lügen selten thematisieren. Politik, Kirche und Kultur sind stellvertretend für die eine Seite des Klassenkampfes zugegen, für die Seite, die es aus Sicht der IRA zu bekämpfen gilt. Schnell wird das Haus in Besitz genommen, Fenster und Türen werden vernagelt, so dass keine Flucht und kein Eindringen von außen möglich ist. Die völlig überraschten Bewohner, die sich nun als Geiseln wiederfinden, werden nüchtern über die neue Lage in Kenntnis gesetzt, das brutale und effektive Vorgehen ihrer Peiniger lässt keinen Zweifel an ihrer Absicht und der Umsetzung aufkommen.

McCabe schildert nun, immer mit Hinweisen auf politische und historische Personen und Ereignisse ergänzt, ebenso mit literarischen Zitaten versehen, die sich permanent verändernde Situation der Geiselnehmer und ihrer Geiseln. Alle Gefühls- und Handlungsvarianten werden durchlebt: von völliger Ungläubigkeit und anfänglicher Hartnäckigkeit auf Seiten der Geiseln, die schnell und heftig erkennen müssen, dass sie keine tatsächliche Verhandlungsposition inne haben, sondern lediglich Verhandlungsmasse sind, bis hin zu kultivierten literarischen und intellektuellen Diskussionen und politischen Wortgefechten. Es scheint McCabes Ansatz zu sein, die Janusköpfigkeit einer zerrissenen Gesellschaft zeigen zu wollen, die nicht weiß, mit welchen Mitteln ein gerechteres und besseres Leben zu erreichen ist. Ist es die Weiterentwicklung kultivierten und christlichen Lebens, das hinter seiner Fassade Fäulnis, Missgunst und Doppelmoral verbirgt? Oder ist es der bewaffnete Kampf, die Aufkündigung gesellschaftlicher Verträge und Konventionen?

In diesem immerwährenden Dilemma stecken McCabes Protagonisten, gleichsam wie in einem bitterbösen und nie enden wollenden Kammerspiel der Absurdität. Brillant ist, wie der Autor immer wieder die Gewichte verschiebt, wie er Stimmungen umschlagen lässt und Schockeffekte gekonnt dramaturgisch einsetzt, um dann wieder zu einer scheinbaren Beruhigung zu gelangen. Wie Ebbe und Flut wogen die Verhältnisse im Haus hin und her, auch die scheinbar so harten IRA-Leute werden von der zunehmenden Dauer der Aktion in ihrem Tun wankelmütig und skeptisch. Der Titel der deutschen Übersetzung, „Die Welt ist immer noch schön“ ist der letzte Satz der vermeintlich stärksten und auffälligsten Romanfigur – hoffnungsvoll und visionär.

Der Steidl Verlag hat dieses Buch wieder einmal besonders schön ausgestattet, der Leineneinband ist mit einer in das Leinen geprägten Seite aus dem Buch sehr auffällig gestaltet, rechts unten findet sich, fast wie ein Logo, ein in rot gehaltenes Maschinengewehr, ebenfalls in das Leinen geprägt – Merkmale, die das gedruckte Buch deutlich von einem E-Book abheben. Die bereits erwähnten Hinweise und Zitate sind freundlicherweise in einem siebenseitigen Anhang ausführlich erklärt und dokumentiert, somit hat der Leser die Möglichkeit, die beschriebenen Besonderheiten einordnen zu können.

Titelbild

Eugene McCabe: Die Welt ist immer noch schön. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser.
Steidl Verlag, Göttingen 2015.
134 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783958290488

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