Herr Grundeis kann was erleben

Kontextwissen erwerben mit „Emil und die Detektive: Ein Comic von Isabel Kreitz“

Von Ulrike PreußerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrike Preußer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Comics sind meist unterhaltsam – oft auch kunstvoll – und thematisch, motivisch und stilistisch so vielseitig wie alle Erzählmedien. Aber können Comics auch literarisches Lernen anregen und die Leserschaft für die historische Situiertheit des Stoffes sensibilisieren? Isabel Kreitz‘ Emil-Adaption zeigt exemplarisch, dass Comics nicht nur eine faszinierende Kunstform sind, sondern darüber hinaus auch noch – ganz undidaktisch – Zusatzinformationen liefern können, die für die historische Kontextualisierung eines literarischen Textes unabdingbar sind.

Erich Kästners Emil und die Detektive gehört wohl zu den bekanntesten deutschsprachigen Kinderbüchern. Bereits 1929 verfasst, gilt der Text als Vorreiter des modernen Kinderromans insofern, dass hier Kinder mit ihren Sorgen und Problemen ernst genommen werden. So lebt der zwölfjährige Emil Tischbein bei seiner alleinerziehenden Mutter in einer kleinen Stadt und lernt früh Verantwortung zu übernehmen: Für sein liebes „Muttchen“, das sich nicht überarbeiten und sich keine Sorgen um ihn machen soll, aber auch für das Geld, das den beiden nicht gerade in den Schoß fällt. Als Frau Tischbein ihren Sohn in die Großstadt nach Berlin schickt, damit er der Großmutter ein wenig Geld bringt, aber auch, um in seinen Schulferien einmal fern der Mutter etwas Anderes erleben zu können, überstürzen sich plötzlich die Ereignisse. Im Zug wird Emil trotz bemerkenswerter Vorsicht von einem schmierigen Gauner – Herrn Grundeis, wie er sich nennt, oder einfach „der Mann im steifen Hut“ – das Geld aus der Jackentasche gestohlen. Emil heftet sich im belebten Berlin an die Fersen des Finsterlings und mit Hilfe der Großstadtkinderbande rund um „Gustav mit Hupe“ gelingt es ihm schließlich auch, den Verbrecher zu stellen, sein Geld zurückzubekommen und sogar zu Ruhm zu gelangen. Wie alle Kinderbücher von Erich Kästner wurde der Roman von Walter Trier illustriert, der mit seiner runden Linienführung und seinem vereinfachenden, aber auch pointierten Zeichenstil die Imagination anregende und humorvolle Erzählweise Kästners wiederaufnimmt.

Diese Illustrationen sind es, an denen sich Isabel Kreitz bei der Comicadaption des Romans orientiert, die ihr als geniale Vorlage dienen und die sie einen narrativen Stil finden lassen, der die Weimarer Zeit buchstäblich widerauferstehen lässt. Sie schafft es nicht nur, zentrale Ausschnitte des Romans in einen comicalen Erzählrhythmus zu überführen, sondern vermag es mit ihrer wundervollen Neuinterpretation des Trierschen Zeichenstils, Emils Geschichte vor den Augen der Leserschaft lebendig werden zu lassen. Während Walter Triers Zeichnungen in schwarz-weiß gehalten sind, koloriert Kreitz ihre Emil-Adaption in gedeckten Farben – damit verleiht sie den Figuren noch mehr Lebendigkeit und Tiefe und dem Handlungsort Berlin noch mehr Geschwindigkeit und Großstadtflair.

Kreitz leistet mit ihrem Emil-Comic etwas ganz Besonderes: Sie erzählt nicht nur eine bereits vielfach und vor allem in das Medium Film adaptierte Geschichte aufs Neue, sondern fügt ihr völlig unaufdringlich, eher spielerisch und nebenbei, Kontextwissen hinzu. Was aus dem Roman nicht ohne Erläuterungen verständlich wird und was die Verfilmungen zugunsten einer stets zunehmenden Modernisierung mit einer Verlagerung in die je aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse immer stärker ausblenden, ist die Zeit, von der Kästner erzählt: Die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts mit ihren Pferdebahnen, den wenigen Autos, der Kleidung, der Kaffeehauskultur, den Litfaßsäulen und der vorherrschenden Mode stellen ein für Kinder völlig unbekanntes Lebensumfeld dar, das Isabel Kreitz mit ihrer Comicadaption sichtbar werden lässt. Diese Form der Darbietung nonverbaler Hintergrundinformationen, die lebendige Eindrücke der Weimarer Zeit bieten, reduziert Emil und die Detektive nicht einfach auf einen – zweifellos zeitlosen – Stoff, sondern vermittelt ganz ohne didaktischen Anspruch den Zeitgeist der Geschichte. Und wird dadurch für eine Verortung des Textes vor einem historischen Hintergrund sorgen, Kinder (und Erwachsene) zum Nachfragen animieren und vielleicht sogar Lust auf den Roman-Emil machen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Erich Kästner / Isabell Kreitz: Emil und die Detektive. Ein Comic von Isabel Kreitz.
Dressler Verlag, Hamburg 2012.
112 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783791511689

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