Hülf dir selbst, sonst hülft dir keiner

Robert Walsers Roman „Der Gehülfe“ als Hörbuch

Von Marc ReichweinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marc Reichwein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heißen Gehilfen heute noch Gehilfen? Einstige Handlungsgehilfen sind längst Angestellte. Beiköche heuern als „Fachpraktiker Küche“ an, und selbst die sogenannten „Hilfswissenschaften“ wollen lieber emanzipiert als nur dienend wahrgenommen werden. Statt Gehilfe will man allenfalls Helfer sein: Unfallhelfer, Bewährungshelfer, Flüchtlingshelfer.

So regt schon der anachronistische Titel dazu an, wieder einmal in Robert Walsers Roman „Der Gehülfe“ hineinzulesen beziehungsweise hineinzuhören, denn der 1908 publizierte Text ist jetzt erstmals in einer hervorragend edierten Hörbuchfassung erschienen. Das Hörbuch unterstreicht, wie dialogreich dieser als langweilig verschriene Roman angelegt ist. Außerdem überzeugt es durch gelungene Hörspieleffekte, wenn die eingesprochene Geschichte durch gelegentliche Klavierpassagen aus dem Oeuvre Robert Schumanns unterbrochen wird. Dies passt sehr gut, da „Der Gehülfe“ bei allem Dialogreichtum auch einige Momente erniedrigter Selbstreflexion enthält, etwa gleich zu Beginn der Geschichte, als der titelgebende Gehülfe Joseph Marti seinen Dienst, der auch die Unterkunft im Hause der Unternehmerfamilie beinhaltet, antritt und grübelt:

‚Werde ich diesen unverschämten Appetit durch entsprechende Leistungen rechtfertigen?‘ Er nahm sich von jeder Speise noch einmal auf den Teller. Ja, er kam aus den Tiefen der menschlichen Gesellschaft her, aus den schattigen, schweigsamen, kargen Winkeln der Großstadt. Er hatte seit Monaten schlecht gegessen.

Walser hat zeit seines Lebens (1877–1956) eine prekäre Existenz geführt. Er, der als freier Schriftsteller scheiterte und es vorzog, die letzten 27 Jahre seines Lebens im Schutzraum psychiatrischer Anstalten zu verbringen, war stets nur in befristeten und schlecht bezahlten Angestelltenverhältnissen beschäftigt. Einmal besuchte er sogar eine Dienerschule, die als Institut Benjamenta in seinen Roman „Jakob von Gunten“ eingeflossen ist. Und tatsächlich diente er von Sommer 1903 bis Januar 1904 leibhaftig als „Gehülfe“ beim Unternehmer Karl Dubler in Wädenswil am Zürichsee.

„C. Tobler, Technisches Bureau“, heißt der Schweizer Ein-Mann-Unternehmer auf dem „Emailschild“ im Roman. Tobler produziert sonderbare Maschinen wie den „Schützenautomaten“, der Schusspatronen wie Schokoriegel oder Zigaretten zur Selbstbedienung auf offener Straße verkaufen soll. Des Weiteren hat er die „Reklame-Uhr“ erfunden, ein Patent, das aber noch keinen Absatz findet. Überhaupt laufen die Geschäfte des Erfinders und Unternehmers eher schlecht. Seine Suche nach Kapitalgebern, die bei Walser durchweg „Kapitalisten“ heißen, scheitert – der Gehülfe wird nie richtig bezahlt und fragt sich: „Sollten mir der Schneid, die Initiative, die Begeisterungsfähigkeit fehlen?“ Für seinen Chef ist er aber ohnehin nur eine austauschbare Humanressource: „In der Stadt gibt es genug Leute, die froh über eine solche Stelle sind… Man kann sie heutzutage ja auf der Straße auflesen.“

Der Reiz des Romans, dessen autobiografische Basis Walser bei seinen Wanderungen mit Carl Seelig mehrfach geschildert hat, liegt darin, dass er nicht nur die Geschichte eines Angestellten, sondern auch die vom Niedergang seines Arbeitgebers erzählt. Es ist ein letztlich auf den Konkurs zusteuernder Unternehmer, der sich – ehemals selbst Angestellter –mit einer Erbschaft selbständig gemacht und dabei übernommen hat. Nicht nur die repräsentative Villa mit statuswilliger Gattin musste es sein, sondern auch ein luxuriöser Gartenumbau, „um eine Grotte zu errichten, mochte es einen ganzen Heuwagen voll Geld kosten“.

Das alles gefällt dem Geschwätz und Gespött der Dorfbewohner, denn die sind ein „etwas heimtückischer oder, wie vielleicht der richtige Ausdruck lautet, heimlich-feister Menschenschlag“. Heimlich-feist. Die auf dem Dialekt-Ausdruck heimlifeiss basierende Wendung ist ein typisches Beispiel dafür, wie sehr sich Walser als Schriftsteller die Freiheit nahm, Dialektwörter, für die es im Hochdeutschen keine Entsprechung gibt, in die Schriftsprache einfließen zu lassen.

Auch vor dem Hintergrund solcher Helvetismen war es eine goldrichtige Entscheidung, den „Gehülfen“ erstmalig in ein Hörbuch zu bannen, das die eidgenössischen Nuancen akzentuiert. Die zwei gebürtigen Schweizer Martin Hofer und Heinz Müller verleihen der am Zürichsee spielenden Geschichte aber nicht nur Lokalkolorit. Das Sprecherduo kommt auch intelligent choreografiert zum Einsatz, etwa wenn die innere Stimme des Gehülfen spricht. Gleich zu Beginn des Romans sinniert Joseph Marti, der titelgebende Gehülfe, über Frau Tobler, die „Herrin des Hauses“: „‚Eine gewöhnliche Frau‘, wollte rasch der junge Angestellte denken, aber er setzte sogleich in Gedanken hinzu: ‚und doch nicht‘“. Als wäre das „und doch nicht“ ein zweites Ich, das ihm die eigene, erste Assoziation untersagt, ertönt es im Chor beider Sprecher. Selten war eine akustische Romanfassung so kongenial wie hier.

Titelbild

Robert Walser: Der Gehülfe. Roman von Robert Walser.
LOhrBär-Verlag, Regensburg 2015.
2 CDs (155 Min.), 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783939529149

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