Kein Hexenwerk
Kateřina Tučkovás Roman „Das Vermächtnis der Göttinnen“ ist ein Fall für sich
Von Simone Sauer-Kretschmer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie weißen Karpaten, Grenzgebiet zwischen Tschechien und der Slowakei, sind seit Jahrhunderten die Heimat einiger ganz besonderer Frauen, den sogenannten Göttinnen. Eine dieser Frauen war Surmena, deren Schicksal im Mittelpunkt des Romans „Das Vermächtnis der Göttinnen“ von Kateřina Tučková steht. Erzählt wird aus der Perspektive von Dora, Surmenas Nichte, die gemeinsam mit ihrem Bruder Jakoubek von Surmena großgezogen wurde, nachdem ihre Mutter einem besonders scheußlichen Verbrechen zum Opfer fiel. Auch sie war einst eine bekannte und angesehene Göttin, sodass Dora von klein auf in der Gewissheit lebt, dass die Frauen ihrer Familie über außergewöhnliche Gaben und Fähigkeiten verfügen. Sie selbst hat jedoch einen ganz anderen Lebensweg eingeschlagen und verlässt sich – wie es scheint – wesentlich stärker auf ihre Vernunft und ihren Intellekt als auf Intuition und Glauben: Denn Dora ist Wissenschaftlerin und will mithilfe verschiedener Archive und einer Vielzahl von Akten, Protokollen und Gutachten herausfinden, was für ein Mensch ihre mittlerweile verstorbene Tante tatsächlich gewesen ist. Konnte und wollte sie den Menschen wirklich helfen oder war sie eine Meisterin der Täuschung, die sich aktiv an brisanten politischen Verwicklungen der Nachkriegsjahre beteiligt hatte? Warum verschwand Surmena in den 1970er-Jahren plötzlich in eine psychiatrische Einrichtung? Dora stößt während ihrer Recherche auf weit mehr Fragen als sie es sich zu Beginn hätte vorstellen können.
„Das Vermächtnis der Göttinnen“ ist damit jedoch keinesfalls ein klassischer Kriminalroman, auch wenn Doras Arbeit im Archiv als vage Spurensuche beginnt und sie immer stärker in die Nähe gleich mehrerer Verbrechen führen wird. Das Interesse der Protagonistin an den Göttinnen ist zutiefst persönlich motiviert, daher verwundert es noch mehr, dass die Figur während der gesamten Romanhandlung sehr blass bleibt. Neben ihrem speziellen Familienschicksal scheint es kaum etwas zu geben, das die Protagonistin auszeichnet, sodass sich von Kapitel zu Kapitel immer drängender die Frage stellt, was dieses Buch wohl noch alles sein will.
Mysteriöse Hintermänner, erfundene Krankheiten und politische Skandale bilden eine so unentschiedene Melange, dass es eine äußerst starke Hauptfigur bräuchte, um all die gesponnen Fäden zu vereinen und deren Abwege zu verzeihen. Dora jedoch bleibt so mausgrau wie der Staub zwischen all den durchwühlten Aktenbergen, woran auch die teils schillernden Biografien ihrer Ahninnen nichts mehr ändern können. „Das Vermächtnis der Göttinnen“ ist daher leider eine ganz schön trockene Angelegenheit.
|
||