Ganz untypisch für eine Schauergeschichte

In Luise Boeges „Kaspers Freundin“ grassiert die Galoppierende Anämische Depression

Von Petra PortoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Porto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Allem geht eine uninteressante Vorgeschichte voraus, mit widerlichen Einzelheiten und geplatzten Plänen und so, und Kasper und seine Freundin beschließen, sich niemals wieder zu sehen. Das ist nun wirklich ein sehr guter Plan, und es verspricht auch, ein guter, ganz aufrechter Herbst zu werden, mit guten eigenen Köpfen und eigenen klaren Gedanken und klaren eigenen Blicken auf die Welt, und so weiter.

Das ist die Grundsituation in Luise Boeges Roman Kaspers Freundin. Kasper, nun trauriger Single, bezieht das leerstehende Haus des verschiedenen Großvaters. Gleich am ersten Abend erscheint ein violetter Herr und kauft dem jungen Mann für eine hohe Summe dessen Geige ab.

Kaspers Freundin, im gesamten Roman nur durch diese Rolle als Anhängsel des Protagonisten definiert, macht eine Therapie, in der sie meistenteils über den Verflossenen spricht. Sie lernt Joseph kennen, der nachts mit Bekannten Jagd auf das Böse macht. Mit dem neuen Freund jedoch nicht vollständig zufrieden, zieht sie ebenfalls in das Haus von Kaspers Großvater, voller Angst, ansonsten an der Galoppierenden Anämischen Depression zu erkranken, die vor allem Singles befällt, denen – so berichten zumindest die Medien – zunächst das Liebste genommen wird, bevor ihr Genick derart aufweicht, dass es bricht.

Ihr Einzug in das altertümliche Haus jedoch bringt alles durcheinander. Als der violette Herr (offenbar ein Vampir, auch wenn er nie als solcher benannt wird) erneut erscheint, um mit Kasper violetten Wein zu trinken und sich an dessen Blut und Lebenskraft gütlich zu tun, trifft er Kaspers Freundin: „Sie waren eigentlich nicht gemeint, es war nicht vorgesehen, dass Sie da sind.“ Dennoch trinkt sie den violetten Wein, übergibt sich aus dem Küchenfenster und geht nur mit einem Laken bekleidet einkaufen.

Kasper dagegen erhält seine Geige zurück und nimmt, protegiert von einer eigenartigen Vereinigung namens Hohenzollernverein, die sich für die Wiedereinführung der Monarchie einsetzt, eine Stelle als Violinist bei einer Musicalaufführung an. Seine Freundin trinkt weiterhin, bleibt bei Kasper und wartet auf ihn: immer mehr in sich selbst versunken, immer weniger wahrnehmend von der Welt.

Kasper und seine Freundin vegetieren miteinander vor sich hin. Sie haben sich aneinander gewöhnt, können nicht ohne den anderen leben, ergeben zusammen jedoch kein Paar. Dennoch besteht ein großer Teil des Romans aus Dialogen, die allerdings selbst dann seltsam monologisch wirken, wenn die Gesprächspartner aufeinander eingehen. Dabei lösen sich die Konversationen auch formal auf, die wörtliche Rede ist nicht durch Anführungszeichen vom Erzählertext getrennt, sondern wird lediglich durch einen Umbruch abgesetzt. Die meisten Figuren beschäftigen sich mit sich selbst und ihren Befindlichkeiten, denken über sich selbst nach, ihre Wirkung auf die unmittelbare Umgebung und leben in den Tag hinein.

Boeges Roman ist handlungsarm, ­was ganz untypisch für eine Schauergeschichte ist, deren Klischees er letztlich auch nicht erfüllt. Der violette Herr ist kein scharfzahniger Blutsauger, kein erotischer Gewalttäter, sondern ein melancholisches, ephemeres Wesen, das sich seiner selbst in der Welt offenbar nur durch fast beamtenmäßiges Agieren vergewissern kann. Der Vampirjäger Joseph ist kein kraftstrotzender Kämpfer mit beeindruckendem Waffenarsenal, sondern ein Elektroniknerd, der seine Vampirpfähle für den „Kampf gegen das Böse und die Blutsauger“ mit Schaumstoffgriff ausrüstet. Immer konterkariert ein albernes Detail den ­ anscheinend auch nur halb-ernst gemeinten ­ erzeugten Grusel. Und auch Boeges simpel gehaltene, kunstvoll-naive und auffallend adjektivlastige Sprache trägt zur besonderen Atmosphäre des Romans bei, dessen Grauen unterschwellig entsteht – in der Einsamkeit der Figuren, in ihrer Verzweiflung, ihrer willenlos-willigen Hingabe an die eigene Auflösung.

Titelbild

Luise Boege: Kaspers Freundin. Roman.
Verlag Reinecke & Voß, Leipzig 2015.
232 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783942901130

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch