Libysche Auswege

Tito Topin hat einen rasanten Fluchtroman geschrieben

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der arabische Frühling ist vorüber, Machthaber wie Husni Mubarak oder Muammar al-Gaddafi sind abgesetzt, andere Regime wie das Baschar al-Assads in Syrien bestehen noch. Und auch wenn ein großer Teil der Hoffnungen, die in den Aufstand in Nordafrika gesetzt worden ist, der nicht von muslimischen Extremisten okkupiert worden ist, mittlerweile enttäuscht wurden, ist die politische Bedeutung des arabischen Frühlings unbestreitbar.

Dass sich die Ereignisse, die turbulent, blutig und extrem undurchsichtig waren, als Szenerie für einen Thriller eignen, ist kaum zu übersehen. Bereits seit langem sind die Regionen Nordafrikas und Arabiens deutlich in den Vordergrund gerückt, wenn es um dramatische Schauplätze geht. Der arabische Frühling hat dies nochmals verstärkt. Tito Topin hat dies aufgenommen und einen Thriller um eine Flucht aus dem umkämpften Libyen geschrieben.

Das Geschehen in „Exodus in Libyen“ findet während der internationalen Interventionen 2011 statt. Eine Gruppe von Flüchtlingen will Tripolis verlassen, um aus der Kampfzone zu kommen. Unter ihnen ein abgestürzter französischer Pilot, eine Schauspielerin, die kurzzeitig (und unter Zwang) die Mätresse von Gaddafi gewesen ist und ihn mit einem Messer lebensgefährlich verletzte, der kanadische Arzt, der Gaddafi operiert, ein Flüchtling aus dem Tschad, der durch Zufall eine Bank ausgeraubt hat, und eine weitere Mätresse Gaddafis, die von ihm ein Kind erwartet. Eine bunt gemischte, dabei aber eng aneinandergekettete Gruppe, die sich einem Fahrer anvertraut, der nicht weniger als sie die Flucht sucht.

Der Plot ist auf diese Flucht und einen Aufenthalt in einem Provinzkaff konzentriert, in dem die Gruppe einen erzwungenen Halt einlegen muss, da die Reifen des Fluchtautos repariert werden müssen – was in Kriegszeiten schon zu einem Wagnis werden kann. Der Ort ist von den Militärs Gaddafis eben zurückerobert worden, die Rebellen lancieren am Schluss des Romans aber den Gegenangriff, unterstützt von einer Luftattacke der internationalen Streitkräfte.

Die konzentrierte Struktur des Textes legt es nahe, dass die Handlung im Wesentlichen aus den Interaktionen der Flüchtlinge besteht, die hier – zufällig – zusammengefasst werden. Gespräche, Begegnungen und Handlungen sind notwendig aggressiv und konfliktträchtig. Gaddafi-Gegner befinden sich unter den Flüchtlingen ebenso wie solche, die ihm besonders nahestanden. Die abgelegten Geliebten, von denen eine während der Romanhandlung einen Jungen zur Welt bringt, unterstützt von dem versoffenen, selbstverständlich zynischen und nutzlosen Arzt, der immer noch dem Verlust  seiner Frau nachtrauert, stehen selbst schon als Widersprüche einander gegenüber. Die eine, die Gaddafis Gunst als Ehre empfand, die andere, die gezwungen wurde, das Bett mit ihm zu teilen und den geliebten Mann deshalb verlor. Es geht um Motive, um wahre Identitäten, um Verlust und Schande, es geht um richtiges und falsches Handeln – und das in einer Situation, in der niemand hoffen kann, dass er heil daraus hervorgehen kann.

Auch an einer Liebesgeschichte fehlt es in Topins Roman nicht, hier zwischen dem abgestürzten Flieger, der sich der Verfolgung entziehen konnte und der sich als guter Mann entpuppt, und der Schauspielerin Salima, die, welch Ironie, das Kind des gehassten Diktators aus dem Chaos rettet. Dass am Ende Salima und Henri mit dem Kind die Flucht gelingt, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Salima letztlich doch bereit ist, der Einladung des Kommandanten der Gaddafi-Truppe zu folgen. Was aber nur zu einer weiteren melodramatischen Konstellation führt, denn auch dieser Mann trauert um seine Frau, will jedoch, dass sie wenigstens in den Kleidern, die Salima tragen soll, weiterlebt.

Dass das Ganze nicht gut enden kann, liegt nahe – aber wenigstens ein kleiner Ausblick soll bleiben. Darin unterscheidet sich Topins Plot etwa von einem Klassiker der deutschen Nachkriegsliteratur, Heinrich Bölls „Der Zug war pünktlich“, der nicht minder konsequent auf das Finale zusteuert. Topin allerdings zollt dem Zeitgeschmack Tribut und lässt seine Geschichte in einer dramatischen, aber nicht überraschenden Schlussszene enden: Henri opfert sich für Salima und den kleinen Jungen. Bölls Helden hatten hingegen nur sich, und kein Kind, das über sie hinausweist.

Topin treibt seinen Text radikal voran, atemlos und ohne Pause. Der Erzählstrang wird nur durch Porträts der Passagiere unterbrochen, deren Biografie knapp geschildert wird. Ob das notwendig ist, bleibt fraglich. Denn der Rest der Geschichte würde auch ohne sie funktionieren, erst recht im Film, für den das Buch offensichtlich geschrieben wurde.

Titelbild

Tito Topin: Exodus aus Libyen.
Übersetzt aus dem Französischen.
Distel Verlag, Heilbronn 2015.
233 Seiten , 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783923208906

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