Im Kopf immer nur deine scheiß Visage
„Morgen ist es vorbei“: Die Liebeskummer-Stories der Hamburger Autorin Kathrin Weßling
Von Oliver Pfohlmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseGegenwartsbeobachter wissen es längst: Mit der Liebe stimmt etwas nicht mehr. So hoffnungslos übersteigert ist ihre Bedeutung in der Spätmoderne, dass die Soziologin Eva Illouz von „noch nie dagewesenen Formen emotionalen Elends“ spricht. Denn anders als Werbung oder Hollywood suggerieren, ist die Liebe heute zerstörerisch – weil von ihr Glück, Identität und Selbstwertgefühl des Einzelnen abhängen. Illouz niederschmetterndes Fazit lautet denn auch: „Könnte die Soziologin die Stimmen der Menschen hören, die nach Liebe suchen, vernähme sie eine lange und laute Litanei des Jammerns und Stöhnens.“
Nun hat das Jammern der Verschmähten und Verlassenen einen literarischen Ausdruck gefunden: in der Storysammlung „Morgen ist es vorbei“ der Hamburger Autorin Kathrin Weßling. Der Titel ist doppeldeutig: Bezieht er sich auf den Liebesschmerz, der morgen – vielleicht – endlich vorüber ist? Oder darauf, dass jedes gefundene Glück nur flüchtig ist – und einen morgen schon der nächste Liebeskummer beutelt?
Kathrin Weßling, Jahrgang 1985, machte vor drei Jahren mit ihrem Debüt „Drüberleben“ auf sich aufmerksam, einem Roman über eine junge Frau, die – wie die Autorin – an Depressionen leidet. Der Liebeskummer ist gewissermaßen die Alltagsvariante der Depression, oft genug auch ihre Vorstufe. Thematisch bleibt sich Weßling also treu und ebenso darin, dass auch ihr zweites Buch „authentisch“ sein will. Denn am Ende dankt sie diversen Bars und Clubs in Hamburg für die „Beherbergung“ ihres eigenen gebrochenen Herzens.
Weßlings Figuren heißen Johann, Lea, Martha oder Max, sie sind – wie wohl auch das Zielpublikum dieser Geschichten – alle Mittzwanziger in der Großstadt. Ihr soziales Profil bleibt meist unscharf, einige arbeiten wie auch die Autorin, die als Bloggerin und Social-Media Redakteurin tätig ist, in den Kreativberufen der Digitalen Boheme. Auffallend ist die allgegenwärtige Bedeutung der sozialen Netzwerke: Ex-Partner werden nicht nur verfolgt, sie sollen auch durch gefakte Postings über den eigenen Seelenzustand getäuscht werden. In der Story „Nicht nichts“ geht die liebeskranke Erzählerin nur deshalb in ein Museum, um bei Facebook als jemand zu erscheinen, der sich gerade im „Museum für Kunst und Gegenwart“ eingecheckt hat. Das Führen eines zweiten, eines Online-Lebens verbindet Weßlings Stories mit „Taipeh“, dem Roman des New Yorker Kultautors Tao Lin: Auch Lins Repräsentanten der Generation Google sind ständig damit beschäftigt, ihre diversen „Profile“ und „Accounts“ zu füttern.
Kathrin Weßling nennt ihre Texte zwar „Stories“, doch verfügt nur ein kleiner Teil von ihnen über eine nennenswerte Handlung. Einsam und verlassen sind alle ihre Protagonisten: Um zu vergessen, trinken sie, tanzen sie, schleppen Unbekannte zum One-Night-Stand ab oder flüchten sich in neue Beziehungen. Gut geht keine dieser 14 Geschichten aus. Ein wiederkehrendes Motiv ist etwa der Horror vor den gemeinsamen Erinnerungsorten, um die es jetzt einen Bogen zu machen gilt. Oder der Berg an Umzugskartons, den der Ex-Partner zurückgelassen hat. Häufig wird einfach nur ungeschminkt und provozierend offen das für Liebeskummer typische Sich-Suhlen im eigenen Seelenschmerz inszeniert: die Wut, das Unverständnis, das Warten und Hoffen, das Betteln, die bohrenden Fragen, die Verzweiflung. „Mein Tanzen ist ein Schreien“, schreibt Weßling einmal, „ich tanze, bis ich keine Luft mehr bekomme […], im Kopf immer nur deine scheiß Visage, deine scheiß Hände“.
Manche von Weßlings Herzschmerz-Monologen könnte man sich wunderbar auf einem Poetry-Slam vorgetragen vorstellen. Andere wiederum erinnern in ihrem Pathos eher an das, was in einschlägigen Liebeskummer-Foren zu lesen ist. Wer selber betroffen ist, wird „Morgen ist es vorbei“ als eine Art Trostbrevier mit hohem Identifikationspotenzial zu schätzen wissen. Allen übrigen aber dürfte das fortgesetzte „Jammern und Stöhnen“ auf die Dauer als zu monoton erscheinen.
Obwohl sich manchmal überraschend doch eine Geschichte entwickelt, wie etwa in „Wilde Wesen“: Hier wird nicht nur der behauptete Liebeskummer als Selbsttäuschung entlarvt, entpuppt sich doch die Hauptfigur am Ende als Schürzenjäger und Vergewaltiger. Weßlings Text wird hier sogar selbstreferentiell, denn der Protagonist hat selbst ein – in der Fiktion höchst erfolgreiches – Buch über Liebeskummer geschrieben: „eine wüste Beschimpfung“, wie es heißt, „ein Jammern und Zittern, ein beinahe lächerliches Stück Literatur […], dessen Seiten vollgeweint und vollgesaut sind mit ‚Ich hasse dich, ich liebe dich, ich hasse dich aber nicht mehr, komm zurück“ und so weiter. Also genau so ein Buch wie „Morgen ist es vorbei“.