Politische Deutungen der Welt

Ingrid Baumgärtner und Martina Stercken versammeln Aufsätze zur politischen Nutzung von Karten in der Vormoderne

Von Marc-André KarpienskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marc-André Karpienski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Karten sind nicht nur bloße Abbildungen geographischen Wissens. Das gilt besonders für historische Karten. Deshalb sind sie nicht einfach erforschbare Produkte überholter Wissensbestände, die verworfen werden können. Karten sind als geschaffene Produkte vielmehr ein Spiegel für die Vorstellungen von der Welt. Wie blickten die Gelehrten des Mittelalters auf Jerusalem? Welche Vorstellungen hatten die frühneuzeitlichen Kartographen von der Gestalt der Kontinente und Länder? Welche Ordnungsschemata wurden verwendet, um im 19. Jahrhundert Herrschaftsansprüche über fremde Länder zu demonstrieren? Die kulturwissenschaftliche Forschung hat nun schon über viele Jahre unterschiedlichste Karten untersucht, um vergangene Weltbilder zu erforschen. Das Buch Herrschaft verorten greift diese methodische Ausrichtung auf und versucht dabei das politische Feld zu durchmessen. Dabei wird deutlich, dass Kartenherstellung als kulturelle Praxis an die Verfügungsgewalt von politischen und intellektuellen Eliten gebunden ist, die durchaus ihre Interessen mithilfe von Karten verstetigten und ihr Weltwissen präsentierten.

Der vorliegende Band geht auf eine Tagung aus dem Jahr 2009 zurück. Die beiden Herausgeberinnen versammeln darin eine Reihe von wissenschaftlichen Artikeln in deutscher und englischer Sprache, die sich der politischen Kartographie im Mittelalter und der Frühen Neuzeit widmen. So bietet sich dem Leser ein interdisziplinäres Kaleidoskop an unterschiedlichen Spezialstudien zu einzelnen Karten, Kartentypen und Regionen (vor allem zu Europa); mal vergleichend und mal als Einzelstudie konzipiert.

Beide Herausgeberinnen sind in den letzten Jahren schon mit eigenen Veröffentlichungen zum Themenkomplex der Kartographiegeschichte hervorgetreten, und genauso wie der im Band enthaltene Aufsatz von Ingrid Baumgärtner zur Kartierung des Heiligen Landes, ist auch der einführende Beitrag von Martina Stercken im höchsten Maße informativ. Der Einführung folgen die in drei Bereiche organisierten Aufsätze. Ein durchgehend wissenschaftlicher Sprachstil und die entsprechenden Nachweise lassen einen nicht vergessen, dass diese Artikel für ein wissenschaftliches Publikum geschrieben wurden.

Exemplarisch sollen hier drei Aufsätze Erwähnung finden, um die Bandbreite der Texte zu verdeutlichen. Dietrich Erben stellt anthropomorphe Europakarten des 16. Jahrhunderts vor und erläutert Funktionen, ikonographische Zusammenhänge und die Gründe des Aufkommens und Verschwindens dieser Kartenform. Die Herrschaftszeichen auf mittelalterlichen Portolankarten, die explizit der Markierung von Herrschaftsverhältnissen dienten, untersucht Philipp Billion. So kann er unter anderem darauf verweisen, dass urbane Zentren für die Kartenmacher Herrschaftsräume absteckten und Territorialität erzeugten. Ralph A. Ruch hingegen beschäftigt sich mit einer spätmittelalterlichen Karte aus dem eidgenössischen Raum und kann zeigen, dass der „Plan Bolomier“ Teil einer sich ausdifferenzierenden lokalen Herrschaftsverwaltung war, die Karten für die Ausübung von Herrschaft und der Dokumentation dieser nutzte.

Als Sammelband mit einzelnen Aufsätzen ist das Buch keine durchkonzipierte Studie, so dass sich bei den verschiedenen Autoren Aspekte der modernen Forschungsgeschichte wiederholen, die als Startpunkt für die eigene Untersuchung dienen. Beim Lesen eines einzelnen Aufsatzes fällt dies nicht auf, sondern nur wenn man alle Aufsätze des Bandes konsumiert.

Als Letztes sei noch auf das Kartenmaterial oder die Abbildungen desselben eingegangen. Die Abbildungen unterscheiden sich je nach Aufsatz in Farbigkeit und Größe, was zu erwarten war. Man braucht keinen Druck auf Hochglanzpapier, aber dennoch hätte ich mir zumindest zum Teil größere Abbildungen gewünscht. Die Bildnachweise sind hingegen durchgehend so, dass ein Wiederauffinden gelingen kann.

Man kann festhalten, dass der Band viele sehr interessante und zum Vergleich herausfordernde Aufsätze zum politischen Gebrauch von Karten in der Vormoderne enthält, die allerdings eher ein forschendes Fachpublikum ansprechen als eine breite Leserschaft.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Martina Stercken / Ingrid Baumgärtner (Hg.): Herrschaft verorten. Politische Kartographie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit.
Chronos Verlag, Zürich 2011.
365 Seiten, 35,50 EUR.
ISBN-13: 9783034010191

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