Poetik der Unmittelbarkeit

Sobo Swobodnik setzt in „Gaza im Kopf“ auf die direkte Konfrontation mit der eigenen Erkrankung

Von Nicolai GlasenappRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nicolai Glasenapp

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sobo Swobodniks Gaza im Kopf ist ein Buch der Extreme, das mit der Diagnose eines Aneurysmas beginnt und vor allem auf einen subjektiven Zugang zur Krankheit des Ich-Erzählers setzt. Susan Sontag hatte in Krankheit als Metapher einst konstatiert, dass Krankheit in Literatur unter anderem die Bedeutung zukommt, eine Bewährungsprobe für den Betroffenen zu erzeugen. Genau darum geht es Swobodnik mit Gaza im Kopf ganz offensichtlich nicht. Stattdessen liegt der Fokus auf einer Vergegenwärtigung der eigenen Gefühle und Gedanken im Angesicht von Krankheit und der eigenen Sterblichkeit.

Ein autobiografischer Bezug erscheint evident, zu ähnlich sind die Parallelen zwischen dem Ich-Erzähler und dem Autor Sobo Swobodnik. Dies zeigt sich etwa in den zahlreichen Verweisen auf die eigenen Arbeiten im literarischen und filmischen Bereich, den genannten Stationen des Ich-Erzählers, die deutliche Parallelen zur Biografie Swobodniks aufweisen, sowie in der Widmung für einen Neurochirurgen am Ende des Buches. Trotzdem bilden auch Texte mit einer solchen Charakteristik einen spezifischen literarischen Rahmen, der nicht nur bedingt, was, sondern auch wie etwas darin ausgesagt wird. Besondere Formen der Stilisierung und Abschnitte, in denen Szenarien lediglich imaginiert oder Träume wiedergegeben werden, sind deutliche Hinweise darauf, dass nicht allein faktenorientiert erzählt wird. Zudem scheint der Ich-Erzähler in mehrfacher Hinsicht beeinträchtigt zu sein durch seine Krankheit, sodass von einem unsicheren oder unzuverlässigen Erzählen gesprochen werden kann.

Mag der subjektive Zugang zum Thema Krankheit durchaus überzeugen und Transparenz schaffen, so ist zu fragen, ob dieses Konzept auch für andere Inhalte angemessen wirkt. Möglicherweise besteht genau hier ein zentraler Unterschied zu Wolfgang Herrndorfs Arbeit und Struktur, an dem sich Swobodniks Roman schon aufgrund der zahlreichen Verweise, aber auch wegen des Sujets Krankheit und der Textform abarbeitet und messen lassen muss: Während bei Herrndorf der Eindruck von Unmittelbarkeit entsteht und zugleich mit einem sprachlichen Inventar gearbeitet wird, das man als ‚aufgeräumt‘ bezeichnen könnte, scheint bei Swobodnik prinzipiell alles mitgeteilt werden zu müssen. Dazu gehören etwa Schimpftiraden auf den Kulturbetrieb und seine Protagonisten, Reflexionen über die eigenen filmischen und literarischen Erfolge und Misserfolge sowie minutiöse Alltagsschilderungen. Doch sind es weniger die Themen und Inhalte, die problematisch erscheinen, als vielmehr der Hang dazu, vieles möglichst genau zu erklären – der Leser soll schließlich erfahren, was sich der Autor bei seinen Einfällen gedacht hat. Herrndorfs Stil zeichnet sich durch den Mut aus, einzelne Szenen für sich sprechen zu lassen, anstatt ihnen ausführliche Erläuterungen beizufügen. Erst dadurch wird Alltägliches zu einem im ästhetischen Kontext produktiven Bestandteil. In Gaza im Kopf finden sich ebenfalls derartige Abschnitte, doch ragen diese nur vereinzelt aus einer größeren Menge langatmiger Beschreibungen heraus. Damit verlieren auch die Schimpftiraden an Charme und wirken zunehmend stereotyp und gezwungen. Zu den wenig gelungenen Abschnitten zählen auch jene, in denen Sexualität und Begehren thematisiert werden – die Darstellung weiblicher Figuren fällt für sie und damit auch für den Autor wenig schmeichelhaft aus, erscheinen Frauen doch vor allem auf ihre Funktion als Lustobjekte reduziert. Zudem sind derartige Einlassungen auch stilistisch als plump und wenig ästhetisch zu bezeichnen.

Als Roman lässt sich Gaza im Kopf in seiner aphoristischen Anlage – neben den bereits angeführten Hinweisen auf Fiktionalität und einer damit einhergehenden Stilisierung – in erster Linie deshalb charakterisieren, weil der Text eine Handlung entfaltet, deren Ausgangspunkt die Diagnose ist, auf die die Zeit bis zur Operation und schließlich die Zeit nach der Operation mitsamt einem Roadtrip des Protagonisten folgt, der im italienischen Genua endet. Eine formale Analogie zu diesem Verlauf findet sich in der Aufteilung des Romans in zwei größere Teile, die aus je 99 kurzen Unterkapiteln bestehen. Während im ersten Teil (von 1 bis 99) die Zeit von der Diagnose bis zum operativen Eingriff, mit dem das Aneurysma im Kopf entfernt wird, beschrieben wird, lässt sich der zweite Teil in seinem Verlauf als Suche nach Abstand und Verarbeitung der erlebten Ereignisse begreifen. Symbolisiert wird dieser Aspekt durch die Nummerierung der Unterkapitel – hier wird von 99 bis auf 1 heruntergezählt –, als auch durch die ziellose und rastlose Autofahrt, mit der sinnbildlich Distanz zwischen die Erkrankung und das eigene Leben gebracht werden soll.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass Swobodniks Gaza im Kopf ein Stück Literatur darstellt, das im Kontext autobiografisch grundierter Grenzgattungen zu lokalisieren ist, die gegenwärtig Hochkonjunktur haben – nicht umsonst werden Autorinnen und Autoren wie Friederike Mayröcker, Wolfgang Herrndorf oder Karl Ove Knausgård zitiert. An Gaza im Kopf wird jedoch auch deutlich, dass gerade das offensichtliche Ziel, eine besondere Unmittelbarkeit und Authentizität zu erzeugen, allzu leicht in das Gegenteil umschlagen und schließlich aufgesetzt, banal und künstlich wirken kann. Gerade die Darstellungen medizinischer und ärztlicher Praktiken sowie eine Sensibilisierung für den Zustand eines von Krankheit betroffenen Menschen zählen zu den positiv zu wertenden Aspekten dieses Romans. Demgegenüber stehen jedoch leider auch zahlreiche Textpassagen, bei denen man sich wünscht, der Ich-Erzähler hätte das ein oder andere einfach für sich behalten.

Titelbild

Sobo Swobodnik: Gaza im Kopf. Roman.
MARTA PRESS, Hamburg 2015.
180 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783944442341

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