Ein Kulturpessimist und brillanter Satiriker

Zum 50. Todestag des englischen Schriftstellers Evelyn Waugh

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Der Schriftsteller Arthur Evelyn St. John Waugh (1903–1966) galt zu seiner Zeit als Englands brillantester Satiriker, dem aber oft Konservatismus und eine gewisse Dandy-Haftigkeit vorgeworfen wurde. Mit seinen burlesken Gesellschaftsbildern kritisierte er vorzugsweise die Absonderlichkeiten der höheren Gesellschaftskreise. Heute zählt der kauzige Außenseiter Waugh zu den bedeutendsten britischen Romanciers des 20. Jahrhunderts.

Am 28. Oktober 1903 wurde Waugh als Sohn eines Verlegers im Londoner Vorort Hampstead geboren. Die Familienverhältnisse waren gutbürgerlich, man gehörte zur „upper middle class“. Die Eltern steckten ihn in der Hoffnung, er werde Priester, in ein anglikanisches Internat. Waugh  begann jedoch 1922 ohne große Lust ein Geschichtsstudium am kleinen Hertford College in Oxford, wo er als junger Student mehr auf Partys als im Unterricht anzutreffen war. Das Studium brach er daher auch ohne einen ordentlichen Abschluss ab, um sich zum Maler ausbilden zu lassen. So besuchte er einige Zeit die Heatherley-Kunstschule in London und betätigte sich danach als Lehrer, Reporter und Kunsttischler. Schließlich wandte sich Waugh der Schriftstellerei zu, doch für sein erstes Manuskript „The Temple at Thatch“ (1925) erhielt er nur Absagen, worauf er es verbrannte. Der 23-Jährige spielte daraufhin sogar mit Selbstmordgedanken. Etwas mehr Erfolg hatte er dagegen mit „Dante Gabriel Rosetti“, der Biographie des britischen Malers und Dichters.

1928 erschien sein erster Roman „Decline and Fall“ (dt. „Auf der schiefen Ebene“, später „Verfall und Untergang“). Hier verarbeitete Waugh mit bitterböser Ironie seine Oxford-Eindrücke und verspottete die Figuren der Society mit herbem Zynismus. Dieses witzige Debüt machte ihn quasi über Nacht berühmt. Obwohl er in dem Roman den Reichen und Schönen den Spiegel vorhielt, wurde er zu ihrem „Darling“ erhoben.

Im selben Jahr heiratete Waugh die Tochter eines Lords, Evelyn Gardner. Da beide denselben Vornamen trugen, wurden sie von Freunden „He-Evelyn“ und „She-Evelyn“ genannt. Das Eheglück hielt jedoch nicht lange, seine Frau hatte eine Affäre und die Ehe wurde bereits nach zwei Jahren wieder geschieden. Waugh selbst konvertierte in dieser Lebenskrise zum Katholizismus. Schriftstellerisch war er weiterhin sehr erfolgreich. Als Korrespondent reiste er viel (Europa, Afrika, Südamerika und Naher Osten) und schrieb zahlreiche Reportagen.

In diesen Jahren entstanden auch seine brillanten Romane „Black Mischief“ (1932, dt. „Schwarzes Unheil“) und „A Handful of Dust“ (1934, dt. „Eine Handvoll Staub“). In „A Handful of Dust“, einer Gesellschaftssatire auf die dekadente englische Aristokratie, verarbeitete Waugh das Scheitern seiner Ehe – vorgeführt am Schicksal des jungen Landadligen Tony Last, der Ehe- und Familienglück sowie die Heimat verloren hat.

Da Waughs erste Ehe 1936 auch kirchlich annulliert wurde, konnte er ein Jahr später die dreizehn Jahre jüngere Laura Gardner, eine Cousine seiner ersten Ehefrau, heiraten. Diese Verbindung, aus der immerhin sieben Kinder hervorgingen, hatte bis zu seinem Tode Bestand.

1938 erschien die bissige Journalisten-Satire „Scoop“ (dt. „Die große Meldung“, später „Scoop“), in der Waugh die Welt der Zeitungen und Nachrichten karikierte, die bereits vor achtzig Jahren nur noch reine Sensationshascherei war. Humorvoll und doch ernsthaft machte er den Leser mit den Machenschaften der Journalisten-Riege vertraut. Im Vorjahr wurde der Roman von 82 internationalen Literaturkritikern und -wissenschaftlern zu einem der bedeutendsten britischen Romane gewählt.

Bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges meldete sich der ziemlich unsportliche Waugh als Freiwilliger und bewies bei einem Einsatz auf Kreta sogar selbstmörderischen Heldenmut. Anerkennung bei seinen Kameraden brachte ihm das allerdings nicht ein – er galt als ein arroganter Snob. Seine Untergebenen soll er so miserabel behandelt haben, dass sogar eine Wache vor seinem Schlafzimmer postiert wurde, um zu verhindern, dass er von den eigenen Leuten massakriert würde. Ansonsten bestand sein Dienst aus bürokratischer Langeweile, sodass Waugh 1944 einen dreimonatigen Diensturlaub beantragte, um seinen Roman „Brideshead Revisited“ (dt. „Wiedersehen mit Brideshead“) zu schreiben. In diesem „opum magnum“, 1945 erschienen, erzählte Waugh den Niedergang der katholischen Familie Marchmain. Um die Verfilmung bemühte sich Hollywood, doch Waugh schlug das Angebot ab, selbst als man seinen Schriftstellerkollegen und Freund Graham Greene als Drehbuchautor gewonnen hatte. So wurde Waughs Hauptwerk erst 1981 als elfteilige TV-Serie von dem englischen Fernsehsender ITV verfilmt. Die bis dato teuerste BBC-Produktion wurde in England wie in Amerika begeistert aufgenommen. Die „New York Times“ überschlug sich regelrecht mit dem Lob: „die größte englische Invasion seit den Beatles“.

Nach „Brideshead Revisited“ begann Waughs zweite Schaffensperiode, in der er an diesen Erfolg allerdings nicht mehr anknüpfen konnte. Trotzdem finden sich in seinem Spätwerk noch einige wunderbar satirische Bücher. So ist die Erzählung „Scott King’s Modern Europe“ (1946, dt. „Ferien in Europa“, später „Scott Kings moderne Welt“), die ein wenig an George Orwells „1984“ erinnert, eine bedrückende Satire auf die „moderne Welt“, in der Humanismus und Kultur keinen Stellenwert mehr haben. Auch die Satire „The Loved One“ (1948, dt. „Tod in Hollywood“) kann als Gegenstück zu Orwells „Farm der Tiere“ gelesen werden – mit dem Unterschied, dass Waugh nicht die Sowjetunion, sondern die Vereinigten Staaten aufs Korn nimmt. Unter dem Untertitel „Eine anglo-amerikanische Tragödie“ verteilte er Seitenhiebe auf Hollywood und die amerikanische Bestattungsindustrie.

Weiterhin entstanden „Helena“ (1950, dt. „Helena“), ein literarischer Ausflug in die römische Antike, und „The Ordeal of Gilbert Pinfold“ (1957, dt. „Gilbert Pinfolds Höllenfahrt“), das schonungslose Porträt eines Schriftstellers. Waughs Hauptwerk nach 1945 war jedoch die eindrucksvolle Trilogie „Sword of Honour“ (dt. „Schwert der Ehre“), an der er immerhin fast zehn Jahre (1952 bis 1961) gearbeitet hatte und in der er seine Kriegserlebnisse verarbeitete. Waugh starb am 10. April 1966 in Taunton in der Grafschaft Somerset.

Als konservativer Katholik war Waugh ein bedingungsloser Verehrer der Aristokratie, dem alles Moderne und Ausländische suspekt war. So konnte er auch den modernen Medien wie Film und Fernsehen nichts abgewinnen. Er gefiel sich stets in der Rolle des eitlen Querulanten. In seinen Romanen, die  inzwischen zu den großen Satiren der Weltliteratur gehören, übte er Gesellschaftskritik und warnte vor einem drohenden Werteverlust.

Bereits zum Waughs 100. Geburtstag im Jahr 2003 brachte der Diogenes Verlag einige Neuausgaben heraus. Zum 50. Todestag folgten nun weitere Titel, sodass das vielschichtige Werk, teilweise auch  in Neuübertragungen, fast vollständig vorliegt.