Von fliegenden Erinnerungen

Juan Marsé erzählt in „Gute Nachrichten auf Papierfliegern“ die berührende Geschichte von Bruno, einer pensionierten Tänzerin und selbstgefalteten Papierfliegern

Von Eleonore AsmuthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eleonore Asmuth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der fünfzehnjährige Bruno, der sich stets „hinter einer früh ausgebildeten Form von Schüchternheit“ versteckt, ergattert in den Sommerferien einen Ferienjob der besonderen Art: Er soll für Frau Pauli, eine ehemalige Tänzerin aus dem zweiten Stock seines Wohnhauses, Zeitungen sammeln, aus denen diese Papierflieger bastelt und von ihrem Balkon aus auf die Reise schickt. Was sich zunächst wie die verrückte Idee einer in die Jahre gekommenen Frau anhört, wird für Bruno, der neben der Schule als Laufbursche in einer Konditorei arbeitet, schnell zu einem lukrativen Geschäft. Denn zusätzlich zu jeder für Frau Pauli besorgten Zeitung, erhält der Junge fünfzig Céntimos für alle unbeschädigten Papierflieger, die er der alten Dame von der Straße wieder aufsammelt.

Auf seinen täglichen Streifzügen durch die Viertel von Barcelona taucht Bruno – angestachelt von dem Plan, auf diese Weise zu etwas Geld zu gelangen – immer tiefer in ein Spiel ein, an dessen Ende sich ein trauriges Kapitel europäischer Geschichte offenbart. Denn Frau Pauli ist eigentlich Polin und als junges Mädchen auf der Flucht vor dem Krieg nach Spanien gelangt. So ist es weniger die Macke einer Greisin, gute Nachrichten auf Papierfliegern in den Himmel Barcelonas zu entsenden, als vielmehr eine ganz persönliche Art der Vergangenheitsbewältigung. In einem Strudel aus Traum und Realität verirrt sich Bruno in diesem Sommer in den Tiefen der Geschichte, die ihn schließlich in Frau Paulis alte Wohnung im Warschauer Ghetto trägt.

Mit „Gute Nachrichten auf Papierfliegern“ hat der aus Barcelona stammende Autor einen tragisch-schönen Roman geschrieben, der seine Leser berührt. Seine Sprache, die dem 15-jährigen Protagonisten entspringt, ist dabei direkt und einfühlsam zugleich. Die Detailverliebtheit des Autors schafft von der erste Seite an eine Atmosphäre, die den Leser zum Eintauchen einlädt. An der Seite von Bruno lernt er die in Teilen traurige, aber auch schillernde Lebensgeschichte einer Frau kennen, die an die Macht der Träume glaubt: „Träume können sehr oft fliegen. Sooft es eben nötig ist.“

Juan Marsé hat in seinem Spätwerk auf nur knapp 90 Seiten eine kraftvolle und große Geschichte geschrieben. Erst in den letzten Zeilen dieses wunderbaren, kurzweiligen Romans erfährt der Leser den wahren Antrieb, der hinter den guten Nachrichten auf Papierfliegern steckt – bis dahin wandelt er auf Erinnerungen, durch Traum und Realität.

Titelbild

Juan Marsé: Gute Nachrichten auf Papierfliegern.
Übersetzt aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2016.
96 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783803113153

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