Ein Fall von früher Meisterschaft
Daniel Kehlmanns Debüt „Beerholms Vorstellung“
Von Nils Demetry
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseViele Jahre später bezieht sich Kehlmann in seiner Göttinger Poetikvorlesung auf seinen Debütroman Beerholms Vorstellung (1997): Die Tatsache, dass „das Spiel mit Wirklichkeit, das Brechen von Wirklichkeit […] in Deutschland einfach nicht verstanden wird“, zählt für ihn zu den „bedrückendsten Erlebnissen als Schriftsteller“. Denn obwohl der Held, Arthur Beerholm, am Ende des ersten Drittels ziemlich offensichtlich zu träumen beginnt und man vermuten könnte, das alles, was danach geschieht, Teil dieses Traumes ist („Ich klopfe. Nichts. Unsinn, es muss jemand da sein; ich will es so. Ich klopfe wieder. Und jetzt höre ich sie: Eine Stimme, die etwas sagt.“), sahen die Rezensenten in Beerholms Vorstellung, „durchaus lobend, einen realistisch erzählten Roman.“
In zwölf Kapiteln resümiert der 29-jährige Magier Arthur Beerholm sein bisheriges Leben, vielmehr: Er schreibt es auf, in einem Café auf der Aussichtsplattform eines Fernsehturms. Seine Adoptivmutter wird vom Blitz erschlagen, das Verhältnis zum Adoptivvater ist distanziert: „Ich nannte ihn ‚Beerholm‘, mit einer gewissen respektvollen Ironie. ‚Vater‘ wäre ja schlecht möglich gewesen, und ‚Manfred‘ (er hieß Manfred) ist wirklich kein Name, mit dem man jemanden anreden kann.“ Er kommt auf ein Internat in Les Vescaux in der Schweiz und dort in einen ersten Kontakt mit der Täuschungskunst, entscheidet sich für ein Theologiestudium – und hier betritt die Erzählung, wie oben erwähnt, unsicheren Boden –, das er jedoch abbricht, um sich schließlich doch noch beim großen Jan von Rode zum Magier ausbilden zu lassen – und wird mit der Unterstützung seines Mentors zum gefeierten Täuschungskünstler.
19 Jahre war Daniel Kehlmann alt, als er mit der Niederschrift seines Debüts begann; 22, als es im kleinen Wiener Verlag Deuticke erschien. Während die Neue Zürcher Zeitung die Sprache kritisierte – „Mit blindem Griff bedient er sich in der Metaphernkiste und greift oft daneben: mal sind seine Bilder schlicht albern, gelegentlich aber regelrecht hanebüchen“ – sah ein anderer Kritiker einen Fall von „früher Meisterschaft“. Nicht ganz zu Unrecht: Aus heutiger Sicht ist es schon bemerkenswert, dass vieles von dem, was Kehlmanns späteres Werk bestimmen wird, in Beerholms Vorstellung schon angelegt ist: Versuchsanordnungen, in denen die Regeln der Wirklichkeit durchbrochen werden; der – in Beerholms Vorstellung bisweilen noch erdrückende – Einfluss Vladimir Nabokovs, die väterlichen Überfiguren, die zwischen Wahnsinn des Genies und den Paradoxien der Wissenschaft oszillieren, (Jan von Rode, Fassbinder, später: Valentinov in Mahlers Zeit, Kaminski in Ich und Kaminski, Bonvard in Unter der Sonne), die romantische Ironie, der Stil, die Leichtfüßigkeit und die Eleganz seiner Prosa.
Verkauft hat sich Beerholms Vorstellung kaum, der folgende Erzählband Unter der Sonne (1998) eigentlich gar nicht. Auch Mahlers Zeit (1999) und Der fernste Ort (2001) waren Misserfolge und verschwanden so schnell aus den Buchhandlungen, wie sie hineingeraten waren. „Es habe damals Tage gegeben“, berichtet Kehlmann in Leo Richters Porträt, „da habe er […] nicht gut einschlafen können.“ Seinen Durchbruch feierte Kehlmann erst später, mit Ich und Kaminski (2003) und einem gewissen Roman namens Die Vermessung der Welt (2005) – aber das ist eine andere Geschichte.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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