Das Altbekannte – mit interessantem Gedankengut rund um die Integrationsfrage

Kat Kaufmann gewann mit ihrem Roman „Superposition“ den ZDF-aspekte-Preis 2015

Von Bozena BaduraRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bozena Badura

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was erwartet man von einem Roman, der mit dem ZDF-aspekte-Preis ausgezeichnet wurde? Im Idealfall soll er eine besonders gelungene ästhetische Verarbeitung eines gesellschaftlich relevanten Problems liefern. Ein solcher Roman soll dann – verbunden mit dem Lesegenuss – die Sinne ansprechen und den Geist zum Nachdenken anregen. Zwar erfüllt Ekaterina „Kat“ Kaufmanns Superposition nicht all diese Kriterien, dennoch gelang es der jungen Autorin – auch dank ihres Statements über den MigrationsVORDERGRUND – die Juroren für sich zu gewinnen. Denn die Autorin stelle – so die Begründung der Jury –  die wichtigen Fragen unserer Gegenwart neu. Aber steckt noch mehr in diesem Debüt als nur dieses gelungene Wortspiel, das gut zu den aktuellen Ereignissen und der laufenden Diskussion rund um die Integrationsmaßnahmen passt?

Das vorangestellte Motto liefert einen ersten Eindruck davon, was in diesem Buch auf die LeserInnen lauert: „Alle Personen in diesem Buch haben sich selbst frei erfunden oder wurden von Mutter, Vater, Schulkameraden, Arschlöchern und Wichsern zu dem gemacht, was sie sind. Und der Jude ist nicht reich. Und der Russe ist nicht kalt. Und Berlin ist nicht Berlin.“ Damit ist bereits die Leitfrage dieses Romans gestellt: „Aus was ist Ich denn gemacht?“ Im Gegensatz zu vielen Romanen der Gegenwart, die mehr Fragen aufwerfen als sie beantworten, versucht Kat Kaufmann eine plausible Antwort auf die zitierte Frage ihrer Protagonistin zu liefern.

Betrachtet man den kaum existenten Plot dieses Identitätsfindungsromans, stellt sich schnell heraus, dass er nichts besonders Gutes wie nichts besonders Schlechtes liefert. Ein weiterer Berlin-Roman eben. Die 26-jährige Ich-Erzählerin Izy Lewin, (Wahl-)Berlinerin und Jazzpianistin russisch-jüdischer Abstammung  feiert mit ihren Freunden, betrinkt sich bis zur Bewusstlosigkeit, arbeitet gelegentlich, besucht ihre Eltern und trifft sich zwischendurch zum Alkohol- und Sex-Rausch mit ihrem Schwarm Timour Hertz, der allerdings bereits vergeben ist und es auch nicht in Erwägung zieht, sich für Izy von seiner deutschen Freundin zu trennen. Somit beschreibt der Roman den vermeintlichen Alltag der Nihilisten-Generation der Gegenwart. Der erste Teil des Romans spielt in der „realen“ Welt, der zweite Teil setzt sich aus mitgehörten Gesprächsfetzen und eigenen Wünschen der im Koma liegenden Protagonistin zusammen, woraus ein manchmal ins Absurde steigender Wirrwarr der Gedanken und Bilder entsteht. Die Handlung spielt sich vorwiegend im Privaten respektive in abgeschlossenen Räumen ab, so dass die Großstadt in den Hintergrund tritt – im Grunde also nichts, was man noch nicht woanders gelesen hätte.

Stilistisch ist der Roman im Register der Umgangssprache gehalten. Kurze, abgebrochene Sätze, zum Teil auch auf Englisch oder Russisch, Aneinanderreihungen von Nomen, erweitert um zahlreiche Vulgarismen, die dann schnell um einiges zu viel werden, sind für den Roman genauso symptomatisch wie die rebellische Einstellung gegenüber der Welt:

„Sooou … is jetze an, die Anlage. Spiel ma wat.“ 
Spiel ma wat. Wir sind ganz offensichtlich nicht bei Tschechow. Da nämlich hätte der Mann gesagt: Fräulein, könnten Sie sich eventuell jetzt dazu ermuntert fühlen, ein paar zarte Tönchen hervorzubringen? Aber nein. Spiel ma wat. Hier haste, Keule, Bach, Prelude BWV 847, eat this… Das Instrument ist brav. Klingt wie ein junges Pferd. Dämlicher Vergleich. Wie ein glitzernd donnernder Regenbogen aus dem Elfenabenteuerland vielleicht.

Der erste Teil liefert daher wenig Neues. Erst durch den Krankenhausaufenthalt der Protagonistin hebt sich der Roman von anderen ab; erst nach einigen Seiten wird beispielsweise für die Rezipienten überhaupt ersichtlich, dass sich nun alles ausschließlich in Izys Kopf  abspielt. Ein geschicktes Spiel, das den/die Leser*in an der Nase herumzuführen versteht. Was macht den Roman also preiswürdig? Es sind einige Gedankengänge der Protagonistin, wie der bereits erwähnte „VORDERGRUND! MigrationsVOR-DER-GRUND!“, die für die abgedroschenen Berlin-Bilder entschädigen.

Was aber ist denn eigentlich die im Titel benannte „Superposition“ und welchen Bezug hat sie zu dem Inhalt des Textes? Hierüber lässt man am besten den Text selbst zu Wort kommen:

Len erzählt von Quanten, einer Multiversumtheorie, dass sich unser Ich – oh, das hätte Freud bestimmt gefallen – in einer jeden, jeder einzelnen, jeder möglichen Parallelrealität, einer Spielfigur aussucht: […] Das Poly-Ich. […] Und alle existieren parallel. […] „Das ist Überlagerungstheorie“, sagt Len, „das ist eben nicht sichtbar alles. Können wir nicht begreifen. Quanten in Superposition“, sagt er, „übereinandergelagerte Zustände, die nur als Gesamtzustand messbar sind.“

Wie im Text sichtbar wird, bedient sich die Autorin der Quantentheorie, um ihre These über eine aus mehreren Ichs bestehende Identität zu verbildlichen. Denn, um die Begründung der Jury des ZDF-aspekte-Preises noch einmal heranzuziehen, „Kat Kaufmann hat ein beeindruckendes Debüt geschrieben über die Möglichkeiten, viele Leben zu leben, viele Identitäten zu bewahren und das alles nicht verschämt im Hintergrund, sondern stolz und bewusst als Migrationsvordergrund.“ Kat Kaufmann ist, wie ihre Protagonistin, Anfang der 80er Jahre in Leningrad geboren und emigrierte mit neun Jahren mit ihren Eltern nach Deutschland. Sie ist – um ein fast schon zum Klischee gewordenes Etikett zu bemühen – eindeutig der jüngsten Generation des „Fräuleinwunders“ zuzurechnen: „Powerfrauen“, jung, dynamisch, schön, frech, polarisierend und lautstark im Schreibstil und in den Medien. Im Moment scheint eine solche Selbstdarstellung auf dem Buchmarkt gut anzukommen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Kat Kaufmann: Superposition.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015.
269 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783455405347

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