Big Benn und sein Eckermann

Zum Briefwechsel zwischen Friedrich Wilhelm Oelze und Gottfried Benn

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Nur in Worten darfst du dich zeigen, / die klar in Formen stehen, / sein Menschliches muß verschweigen, / wer so mit Qualen versehn.“ An den ersten Teil seiner „Künstlermoral“ hat sich der Radardenker Gottfried Benn (1886–1956) wohl gehalten. Von dem „Menschlichen“ aber hat wahrscheinlich am meisten „jener Herr Oelze aus Bremen“ erfahren, mit dem der Dichter von 1932 bis kurz vor seinem Tod brieflich in enger Verbindung stand. Die Benn-Briefe aus diesem Briefwechsel, rund 750 an der Zahl, sind bereits veröffentlicht (in drei Bänden, 1977–1980). Nun sind endlich die Gegenbriefe von Friedrich Wilhelm Oelze (1891–1978) dazugekommen, knapp 600 Dokumente. Harald Steinhagen hat sich mit seinen Würzburger Kollegen Stephan Kraft und Holger Hoff über sechs Jahre hinweg der Aufgabe gewidmet, die Briefe herauszubringen, versehen mit einem konzisen Quellenapparat, einem Nachwort und Oelzes „Erinnerung an Benn“. Die Edition liegt in einer vierbändigen Ausgabe beim Wallstein Verlag vor und ist auf eine vorbildliche Weise gelungen.

An dem Bild Benns ändert die Ausgabe wenig. Der Ausdruckskünstler pflegt seinen Phänotyp, fliegt über Äonen hinweg („von Ur bis Champs Elysée, vom Leuchtturm von Pharos bis zum Blinklicht der Flaks“, so am 24.4.1938), gibt politische Kommentare ab („Adenauer ist ja doch der beste Mann, der einzige mit etwas Haltung und Erfolgen und dies beides ist doch das Einzige, was man von einem Politiker verlangen kann“, schreibt er am 2.9.1953). Er provoziert, wenn es ihm schlecht (Oelze habe ihn mit einem „Schadenzauber“ bedacht), und schmeichelt, wenn es ihm gut geht: Oelze sei eine „Mischung aus Oxford und Athen“.

Aber wer eigentlich war dieser F.W. Oelze und was hat Benn so an ihm fasziniert? Der promovierte Jurist führte ein traditionelles Bremer Import- und Exporthaus, war ein hanseatischer Bildungsbürger mit Sponsorenwillen und Künstlerkontakten (unter anderem zu Rudolf Borchardt), ein weltmännischer Kunstsammler, Goethekenner und Hobbyliterat mit allerdings großer Publizitätsscheu. Vermutlich war es das kunstvolle wechselseitige „Rollenspiel“ (Stephan Kraft) auf Augenhöhe, das den Briefwechsel so zeit- und krisenbeständig machte. Immerhin herrschte zeitweise Krieg, beide waren in der Wehrmacht, Benn aber seit 1938 unter Publikationsverbot und in einer, nach eigenen Worten, aristokratischen Form der Emigration, die wiederum den Gedankenaustausch für ihn so lebenswichtig machte. Beide übertrieben die Position des anderen und werteten die eigene ab. So wurde Oelze als „Senator“ tituliert, der er nicht war, und zur Autorität in Kleider-, Stil- und Geldfragen erhoben. Oelze wiederum sprach Benn als „großen Meister“ an und machte sich als „Schüler ohne Werk“ klein. Den Unterschied machte freilich ‚Big Benns‘ Ironie aus („unterhaltlich bin ich ja kein starker Mann“, 11.12.1949), der Oelzes ernsthafter Tonfall nicht gewachsen war. Zu nah wollte der Meister seinen Bewunderer nun doch nicht kommen lassen. Zur Büchnerpreisverleihung 1951 lud er ihn glatt aus. Und der schmachtende Oelze ließ sich das auch noch gefallen, stolz darauf, sich „zu den Wenigen“ zu zählen, die wussten, dass dieses große Comeback nach 1945 „kommen musste“ (29.10.1951).

Nicht zu unterschätzen ist das Maß an Zuwendungen, mit dem Oelze den bewunderten Dichter bedachte: Bücher, Kaffee, Zigaretten, Rum, Aprikosen, Nelken – und, nicht ungefragt, immer wieder Ratschläge zur Ordnung und Publikation der Werke. Oelze legte ein Benn-Archiv an, verwahrte seine Handschriften und dürfte auch, wenn Benn ihm pikante private Geschichten anvertraute, ein diskreter Brieffreund gewesen sein. Als Benn Oelze am 24.4.1956 schrieb, Ursula Ziebarth, eine seiner enttäuschten Geliebten, drohe ihm, Benn, mit Skandalprozessen und wolle seine Liebesbriefe an einen schreiblustigen britischen Biographen verschenken, reagierte Oelze prompt, aber mit wenig hilfreichen Ratschlägen: Benn solle selbst Anzeige erheben und sich mit einem Anwalt besprechen. Es erstaunt, wie wenig Oelze im Gegenzug über seine eigenen privaten Verhältnisse verlauten lässt; zwei Anspielungen auf Oelzes homoerotische Neigungen nimmt Benn nur kurz zur Kenntnis.

Für ein kleines feuilletonistisches Scharmützel hat Benns letzte Briefäußerung, „Jene Stunde … wird keine Schrecken haben, seien Sie beruhigt, wir werden nicht fallen, wir werden steigen – Ihr B.“, gesorgt, eine Postkarte aus Schlangenbad vom 16.6.1956. Dieses Dokument, das Oelze nach eigenen Worten in einem Banksafe deponiert hat, ist jedoch bis heute unauffindbar. Oelze hat nach eigenen Worten eine Abschrift angefertigt, die erhalten ist. Nun aber hat ein Freund des Benn-Sammlers und Freiburger Buchhändlers Fritz Werners, der unbekannt bleiben möchte, den Herausgebern der vorliegenden Briefausgabe eine weitere Abschrift von Benns letzten Worten zugespielt. Der Überlieferungsweg ist unklar, die Echtheit wahrscheinlich, auch weil der zusätzliche Text in der zweiten Abschrift dem Duktus des authentischen Satzes von „jener Stunde“ in der ersten Abschrift entspricht. Es geht um Benns Angst vor einem schmerzvollen Sterben. Dementsprechend groß ist der Spekulationsraum, der durch Benns Information, er habe seiner Frau, einer Zahnärztin, „das Versprechen abgenommen, daß sie mir die letzte Zeit erleichtert“, entstanden ist. Florian Illies hat daraus in einem „Spiegel“-Essay die These entwickelt, Benn habe um aktive Sterbehilfe gebeten. Beweiskräftig ist das letztlich nicht. Doch dass der Dichter seinem ziemlich besten Freund manchmal mehr anvertraut hat, als dieser zu verstehen vermochte, liegt ebenso auf der Hand wie die Deutungswut, die daraus folgt. Nur sollte man nicht Benns Eckermann glauben, was von Benn selbst nicht auf philologisch sicherer Basis überliefert ist. Oelze hat sich da ja ebenso widersprochen. Der Banksafe-Aussage steht – so die Herausgeber im Kommentar – seiner mündlichen Äußerung entgegen, er habe das Original von Benns letztem Brief vernichtet.

Der Briefwechsel in seiner vervollständigten Form ist ein Zentralgestirn für die Bennforschung, das biographische, werkgenetische und poetologische Fragen beantworten kann.

Titelbild

Gottfried Benn / Friedrich Wilhelm Oelze: Briefwechsel 1932-1956.
4. Bände. Herausgegeben von Harald Steinhagen, Stephan Kraft und Holger Hof.
Wallstein Verlag, Göttingen 2016.
2333 Seiten, 199,00 EUR.
ISBN-13: 9783835318267

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