Berliner Luft

Ferdinand Hardekopfs Feuilletons aus der Metropole an der Schwelle zum 20. Jahrhundert

Von Christina RandigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Randig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Unter dem Feuilletonstrich soll man lieber harmlos spazieren gehen“, ermahnt sich der Feuilletonist Ferdinand Hardekopf, als er befürchtet, sich in politische Betrachtungen zu verlaufen. Dabei möchte er doch das Berlin dieser „seltsamen Übergangszeit“ ins 20. Jahrhundert, „in der sich jener zerstreuungsbedürftige, nervöse, anspruchsvolle Typus heranzubilden begann, den wir in den heutigen Großstädten am besten verkörpert sehen“, für die Eisenacher Tagespost entdecken. Für deren Leserschaft dürften der Lebensstil und der Lebensrhythmus der Metropole noch weitgehend unbekannt gewesen sein.

Der Hektik und buchstäblichen Zielstrebigkeit vieler Passanten und mehr noch der mobilisierten Verkehrsteilnehmer stellt Hardekopf ein zwangloses Dahintreiben gegenüber. Dem erst 23-jährigen frankophilen Feuilletonisten, der wohl zur ersten Studentengeneration des Stadtsoziologen Georg Simmel gehörte und französische Literaturwissenschaft studierte, erschien das an der Pariser Bohème bewunderte Flanieren als eine ideale Gang- und Lebensart sowie Schreibweise. Sie eröffnete ihm nahezu unbegrenzte Spielräume bei der Wahl der vorzustellenden Gegenstände und machte ihm möglich, sie in freimütiger Subjektivität in den Briefe(n) aus Berlin vorzustellen. Diese Briefe erschienen vier Jahre nach den von Alfred Kerr für das Breslauer Publikum verfassten Feuilletons über Berlin. Diesen stellt Hardekopf als „impressionistischen Kritiker“ vor, dessen eigene Lyrik der Zensur zum Opfer fiel. Stets präsent sind Hardekopf beim Schreiben die Maßstäbe, die – nach dem „galanten Feuilletonisten Ovidius“ im alten Rom – zwei berühmte Vorgänger mit ihren Beobachtungen in und um Berlin gesetzt haben. Den just „à la fin du siècle“ verstorbenen Theodor Fontane ruft er gelegentlich wegen seiner meisterhaften Schilderungen des Berliner Wesens auf. Heinrich Heine, Ironiker par excellence, dessen Berliner Briefe 1822 erschienen waren, beeindruckt ihn als Spötter, was nicht verwundert, denn nicht selten ist die Ironie auch das Vehikel der Beobachtungen Hardekopfs.

Zufällig nähert man sich, aber man bleibt nicht und wird auch nicht verflochten, sondern bewahrt Distanz. Nach diesem Prinzip erfolgen die Schlendereien durch Berlin. Zu allen Jahreszeiten ist der Flaneur dort unterwegs, und da nichts so sehr wie deren kontinuierlicher Wandel den Lesern allgemein vertraut ist, dienen Beschreibungen des Wetters Hardekopf oftmals als Einleitung. Fließend, wie es nur im Feuilleton möglich ist, gestaltet er die Übergänge: Der „Februar-Schlamm“ führt zum „Gummischuh-Gang“, der dem „Wesen des Menschen etwas Dekadentes, Müde-Schleichendes, Vornübergebeugtes“ gibt; die „linde Lenzluft“ aber animiert im Mai „die Musen und Grazien“.

„Die Cigarette im linken Mundwinkel“, betrachtet der Feuilletonist auf der Friedrichstraße, auf dem Alexanderplatz, im Thiergartenviertel und – natürlich – Unter den Linden das großstädtische Publikum; alle „Volksklassen“ scheinen ihm „von einer fast fieberhaften Gier beherrscht, es den upper ten thousand, so gut es geht, gleichzuthun, elegant zu sein, vornehm und weltmännisch zu erscheinen.“ Modebewusste Damen und distinguiert gekleidete Herren, alle, die „sehen und gesehen werden wollen“, finden hier ihre Bühne, geben sich Rendezvous in Cafés, deren „Atmosphäre von Mokkaduft, Cigarettenrauch, mondäner Gesellschaft und Zeitungslektüre“ ihnen nun nahezu unentbehrlich geworden sind. Literaturcafés wie das frühere „Café Größenwahn“ gibt es allerdings nicht mehr, doch hat eine neue, dem amerikanischen Lifestyle entsprechende Lokalität Einzug gehalten: die Bar.

Die Parallelen, die Hardekopf zwischen den nach aller Betriebsamkeit am Sonntag menschenleeren Straßen Berlins und dem „verödeten Broadway New Yorks“ zieht, zeigen seine Freude am ironischen Spiel. Zum Vergnügen der Leserschaft hält er sie bei der Schilderung der Wochenendvergnügungen der Berliner im Grunewald und am Wannsee aufrecht bis zum Schluss, wenn er die von Walter Leistikow gemalten Föhrenstämme „in feuriger Glut aufflammen“ und die „Skatbrüder und ihre Ehefrauen, die jungen Herren und die kleinen Mädchen, die mit ihnen ‚gehen‘, in den großen Schlund der Riesenstadt“ Berlin zurückkehren lässt.

Hardekopfs besondere Aufmerksamkeit galt den – von ihm begrüßten – Entwicklungen in den Künsten. Leistikow, Max Liebermann, Max Klinger und andere mit ihnen in der Sezession verbundene Meister neuer Stilrichtungen stießen auf die Bewunderung eines stetig größer werdenden Publikums, das sie allmählich neben Klassiker wie Adolph von Menzel, Arnold Böcklin und Wilhelm Leibl stellt.

Ein frischer Wind durchwehte auch die Programme von Variété, Cabaret und Theater: Diseusen und Balletteusen, Chansonetten und Soubretten bewirken mit ihren verfeinerten Darbietungen, dass beim Publikum die „Schwerkraft, die des Körpers und die des Geistes, aufgehoben“ wird. Natürlich ist der Feuilletonist Hardekopf, der dann ab 1907 auch Theater- und Variétékritiken für die Schaubühne schrieb, neugierig auf die Spielpläne der großen Theater. Über die Aufführungsverbote für Stücke des von ihm bewunderten Frank Wedekind empört er sich mit beißendem Spott. Mit besonderem Vergnügen besucht er das Residenztheater, denn dort werden „französische Frivolitäten in höchster Vollendung“ gegeben. Der am kulturellen Leben in Paris geschulte Geschmack Hardekopfs offenbart seinen Horizont, seinen Maßstab, und beim Lesen der stilistischen Ansprüche, in denen er mit den Franzosen übereinstimmt, möchte man behaupten, dass gerade er diesen gerecht wird: „Die Franzosen sind Gourmands des Stilistischen; man erkennt im Stil des Schriftstellers seine Seele, seine persönliche Grazie wieder. Man liebt sie um der Feinheit, der weichen Anschmiegsamkeit ihrer Schreibart willen.“

Das Lob, das Kurt Tucholsky Hardekopf für dessen Beiträge in der Schaubühne zollte, kann man sicherlich auch auf seine Feuilletons beziehen: „Mit welcher Leichtigkeit, welcher Anmut, welch fächelnder Ironie waren Literatur, Berlin, Menschen, Reisen und Kunst dargestellt, hingehaucht, zu Pastellen verzaubert! Wer Zeit hat, lese das nach.“ Die Möglichkeit zur Lektüre der Feuilletons bietet nun die von Bernhard Echte edierte und aufschlussreich kommentierte Ausgabe der Berliner Briefe. Beigefügt sind zwei Briefe aus München sowie zwei gegen Ende des Lebens von Hardekopf verfasste Erinnerungstexte über Aufenthalte in Paris und Berlin.

Titelbild

Ferdinand Hardekopf: Berliner Briefe. Feuilletons 1899-1902.
Hg. von Bernhard Echte.
Nimbus. Kunst und Bücher, Wädenswil 2015.
224 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783038500155

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