Wenn der eigene Lebensentwurf auf die Probe gestellt wird

Miranda July behandelt in ihrem Debüt-Roman „Der erste fiese Typ“ existenzielle Fragen auf leichte und dennoch ernsthafte Art und Weise

Von Nicolai GlasenappRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nicolai Glasenapp

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine wesentliche Qualität literarischer Texte besteht darin, Szenarien und Lebensentwürfe durchzuspielen und ihren Lesern so die Möglichkeit zu geben, diese zu reflektieren. Miranda July, der wegen ihrer Bandbreite an filmischen, schauspielerischen, musikalischen und literarischen Aktivitäten wohl am ehesten die Bezeichnung Künstlerin gerecht wird, hat mit Der erste fiese Typ einen Debüt-Roman geschrieben, der diese Leistung auf zwei Ebenen vollbringt: Dazu trägt zum einen die Erzählperspektive bei. Die Handlung wird uns aus Sicht der etwas über 40 Jahre alten Cheryl Glickman geschildert, an deren innersten Wünschen, Träumen, Vorstellungen und Emotionen wir Anteil nehmen. Dabei haben Imaginationen ihren zentralen Platz in Cheryls Alltag, darunter insbesondere jene von einer Partnerschaft mit dem älteren Philip – die am Ende des Romans gnadenlos dekonstruiert wird. Doch es sind nicht nur die großen Bestandteile eines erdachten Lebens, sondern auch die kleinen Szenen, in denen Miranda July Cheryls Vorstellungswelt auf ihre reale Umgebung prallen lässt. Dazu trägt insbesondere die 20-jährige Clee bei, die die Tochter von Cheryls Chef ist und zeitweise bei ihr wohnt. Die Konfrontation mit dem Lebensstil dieser jungen Frau gerät zu einem Katalysator für eine neue Dynamik in Cheryls Leben und hat maßgeblichen Anteil an verblüffenden Wendungen. Aus dem Abgleich und Kontrast zwischen dem, was ist und dem, was sein könnte, erhält die Handlung ihren Antrieb.

Dabei sind es nicht nur Vorstellungen eines lebenswerten Lebens, sondern insbesondere Rollenbilder und -vorstellungen, die konstruiert, konterkariert und dekonstruiert werden, ob sie nun die Protagonistin Cheryl betreffen oder sich ganz allgemein auf Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit, Eltern oder Beziehungspartnern beziehen. Gerade Aspekte wie sexuelle Orientierung und die mit Mitte 40 als mehr oder weniger erledigt betrachtete Frage nach einem eigenen Kind sind es, die für Cheryl im Laufe der Romanhandlung gar nicht mehr klar erscheinen und ein Spiel mit Klischees und Stereotypen konstituieren. All das wird mit einer gehörigen Menge Komik, Ironie und Skurrilität erzählt. Exemplarisch dafür steht die Beziehung von Cheryl und Clee: Meinungsverschiedenheiten tragen die Mittvierzigerin und die 20-jährige zunächst vor allem körperlich aus. Übersteigert wird dies noch dadurch, dass Cheryl einige altmodische Selbstverteidigungsvideos ausleiht, deren Dialoge und Handlungen die beiden nachzuspielen beginnen, sodass die physische Gewalt nicht mehr wie anfangs dazu dient, Differenzen auszutragen, sondern in der körperlichen Betätigung ein Selbstzweck liegt. Aus dieser anfangs spannungsreichen Beziehung entwickelt sich eine Freundschaft – Cherly unterstützt Clee dabei, ihr uneheliches Kind auszutragen und großzuziehen –, aber auch für gewisse Zeit eine leidenschaftliche Partnerschaft. Die Art und Weise wie schließlich der gemeinsame Beischlaf beschrieben wird, erinnert erneut an die gewalttätigen Auseinandersetzungen zu Beginn der Beziehung und deutet bereits auf ihr Ende hin, ist aber zugleich ein wichtiger Abschnitt für Cheryl, die sich durch das Abenteuer dieser lesbischen Beziehung zu einer etwa 20 Jahre jüngeren Frau alte Fragen zu ihrem Leben neu stellt.

Man könnte dem Roman vorwerfen, dass er vor allem zwischen Banalität und Skurrilität changiert und in manchen Passagen etwas zu seicht geraten ist. Dennoch zeichnet er sich durch eine Vielzahl äußerst komischer Szenen aus und vermag es gleichzeitig zu vermitteln, dass es bei aller Komik und Ironie ernsthafte Probleme sind, mit denen sich seine Protagonistin auseinandersetzt. Am Ende des Romans steht für Cheryl schließlich eine andere Ordnung als zu Beginn der Handlung. Diese Entwicklung zu verfolgen und zuletzt die kleinen, aber feinen Unterschiede scheinbar banaler Alltagsordnungen zu erkennen, stellt ein durchaus vergnügliches Unterfangen sowie einen Gewinn bei der Lektüre dar.

Titelbild

Miranda July: Der erste fiese Typ. Roman.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Stefanie Jacobs.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015.
331 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783462047707

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