Zum 40. Todestag eines Nonkonformisten

Christoph Klimke blickt mit Pier Paolo Pasolini „dem Skandal ins Auge“

Von Martin IngenfeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Ingenfeld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der Nacht auf den 2. November 1975 wurde Pier Paolo Pasolini ermordet. Man fand die Leiche des italienischen Regisseurs und Schriftstellers am Morgen am Strand von Ostia. Später verurteilte man Giuseppe Pelosi wegen des Mordes, einen zum Zeitpunkt der Tat 17-jährigen Strichjungen, einen ebenjener „Ragazzi“ Italiens, denen Pasolini einst seinen ersten Roman „Ragazzi di Vita“ gewidmet hatte. Doch Zweifel an der Schuld Pelosis sind seitdem nicht verstummt, zumal dieser zwischenzeitlich, nach seiner Haftentlassung, seine Aussage mehrfach verändert hat, sein Geständnis widerrief, auf unbestimmte Auftraggeber und Hintermänner verwies. Nicht zuletzt ist es also Pasolinis noch immer nicht überzeugend aufgeklärter Tod, der Verdacht, er könne einem politischen Auftragsmord, womöglich mit geheimdienstlicher Verstrickung, zum Opfer gefallen sein, der seinen Namen bis heute immer wieder in Erinnerung ruft.

Der 40. Todestag Pasolinis im vergangen Jahr bot auch dem deutschen Autor Christoph Klimke die Gelegenheit, einmal mehr einen Blick auf den vielseitigen italienischen Künstler zu werfen – der freilich weit über die Umstände des Todes hinausgeht und auf die Gründe hinweist, die künstlerisch und politisch-sozialkritisch eine Relevanz Pasolinis bis in unsere Zeit begründen könnten. Der Regisseur von Filmen wie „Accattone“ (1961), „Das 1. Evangelium – Matthäus“ (1964) oder schließlich „Salò oder die 120 Tage von Sodom“ (1975), der Autor von „Ragazzi di vita“ (1955) oder der berühmten „Freibeuterschriften“ (1975) war – als Katholik, als Kommunist, als Homosexueller – seinen Zeitgenossen ein Skandal. Und er bleibt es auch für die Nachgeborenen, so sie sich bereitfinden, sich auf den unfügigen Pasolini einzulassen. „Er selber sieht sich nicht als Moralist, sondern als Analytiker der Moderne. Allerdings antwortet er mit Pathos auf Pathos“, wie Klimke resümiert. Unklar bleibt, ob unsere Gegenwart eher als die Pasolinis bereit sein kann, dieser Analyse und diesem Pathos zu folgen. Doch immerhin bietet Klimke mit seinem Essay einen vielseitig anschlussfähigen Ausgangspunkt für weitere Pasolini-Expeditionen. Ausführlich den Künstler zitierend stellt er diesen seinen Lesern als den Skandal vor, auf den es weiter aufmerksam zu machen, dem es ins Auge zu blicken gelte – oder vielmehr ist es der Skandal, den bereits Pasolini seinen Lesern aufzeigen wollte, den uns Klimke erneut vorstellt.

Bei seinem Essay handelt es sich im Grunde um eine knappe Rekapitulation von Leben und Werk Pasolinis in dreizehn Schritten, und es ist nicht das erste Buch, das der 1959 geborene Berliner Autor dem italienischen Schriftsteller und Regisseur gewidmet hat. Bereits 1988 erschien „Kraft der Vergangenheit. Zu Motiven der Filme von Pier Paolo Pasolini“, 1995 folgte „Wie sind alle in Gefahr. Pasolini. Ein Prozess“, wofür Klimke mit dem Ernst-Barlach-Preis für Literatur ausgezeichnet wurde. Für den Autor scheint es also gewissermaßen ein Lebensthema zu sein. Dementsprechend fungierte er im vergangenen Jahr – beinahe wie Pasolini selbst zwischen den literarischen Gattungen springend – als Librettist für eine von der Kritik eher unleidig aufgenommene Inszenierung von Pasolinis Skandalfilm „Die 120 Tage von Sodom“ an der Berliner Volksbühne.

Pasolini, so zeigt es Klimke, war zeitlebens ein Nonkonformist. An der Seite wahrgenommener Außenseiter wusste er sich stets über die blinden Flecken und das Spießertum seiner Zeitgenossen, gerade auch in der italienischen Linken, hinwegzusetzen. Gegen die aus wohlsituierten Familien stammenden Studenten der 68er-Bewegung etwa verteidigte er die Polizisten, mit denen sich die Studenten reinen Gewissens prügelten, als die schlecht bezahlten Kinder der Unterschichten, denen die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Eliten nicht gegeben waren. Ein Abtrünniger aller Bewegungen, vom Katholizismus bis zum Kommunismus, der schließlich – wie in den „Freibeuterschriften“ – eine rigorose Kritik des kapitalistischen „Konsumfaschismus“ und seiner total kommerzialisierten Kultur formulierte, die man ungebrochen noch für unsere Gegenwart lesen kann, wenn man will. Dies kann man originell finden oder auch nicht, dem kann man in aller Schärfe folgen oder auch nicht – in jedem Fall lohnt es sich, von Klimke angeleitet, mit Pasolini dem Skandal ins Auge zu blicken.

Titelbild

Christoph Klimke: Pier Paolo Pasolini. Dem Skandal ins Auge sehen. Ein biografischer Essay.
Elfenbein Verlag, Berlin 2015.
120 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783941184497

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