Ein guter Junge

Eli Gottlieb lässt uns in seinem neuen Roman „Best Boy“ die Welt mit den Augen eines Autisten sehen

Von Monika GroscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Grosche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Todd Aaron ist bereits ein „alter Hase“ im Behindertenheim „Payton Living Center“, schließlich gab ihn seine Mutter bereits als 11-jährigen mit der Diagnose „Autismus“ in institutionelle Obhut. Nun, etwas über 50 Jahre alt, ist er der „Best Boy“ des Heims, er tut, was man ihm sagt, schluckt brav die verordneten Medikamente und versucht, mit allen gut auszukommen, auch wenn das bei seinem missgünstigen Mitbewohner mit Hirnschaden nicht immer recht klappen will.

Mit Unterstützung seiner liebevollen Betreuerin Raykene führt er so ein geregeltes, recht zufriedenes Leben zwischen der Arbeit auf dem Gelände und einer Schulkantine, gemeinsamen Ausflügen ins Einkaufscenter und Musikhören, seiner Lieblingsbeschäftigung. Außerdem helfen ihm die Encyclopædia Britannica, von ihm „Mr B.“ genannt, und das Internet („Mr C.“)  dabei, unbemerkt von den meisten Bewohnern und Angestellten in Payton, mehr über seine Krankheit und die Welt außerhalb des Heims zu erfahren. Allein die Tatsache, dass ihn sein Bruder Nate selten besucht und nie zu seiner Familie nach Hause einlädt, trübt seine Zufriedenheit etwas.

Doch eines Tages ändert sich alles, als Mike im Behindertenheim auftaucht. Obwohl der neue Betreuer sich bei ihm anzubiedern versucht, schrillen bei Todd bei dessen Anblick sofort die Alarmglocken. Er spürt instinktiv, dass von Mike nichts Gutes ausgeht, erinnert er ihn doch an seinen gewalttätigen Vater. Auch Martine, eine neue, merkwürdige Mitbewohnerin mit Augenklappe, die einiges an Erfahrung mit wechselnden Heimen und dem Absetzen von Pillen vorweisen kann, bringt seine geliebte Routine durcheinander und beschert ihm ein Wechselbad der Gefühle.

Als dann noch merkwürdige, schlimme Dinge passieren, die Todd nicht deuten kann, schmiedet er einen geheimen Fluchtplan. Der soll ihn zurück zum mehrere hundert Kilometer entfernten Elternhaus führen, mit dem er trotz der Gewalt des Vaters und der Gemeinheiten des Bruders glückliche Erinnerungen an die geliebte Mutter verbindet.
Eine unaufgeregte Erzählweise, die in Rückblicken zu Todds Kindheit führt, und eine unprätentiöse Sprache zeichnen Eli Gottliebs jüngsten Roman „Best Boy“ aus. Ohne dass es aufgesetzt oder kitschig wirkt, lässt er uns die Welt aus der Sicht des Ich-Erzählers Todd sehen. Auf diese Weise ist es möglich, nachzuempfinden, warum er manche Dinge zum Fürchten findet, was ihn veranlasst, sich zur Beruhigung in die Hand zu beißen und warum die Erinnerungen an seine Mutter das Wichtigste in seinem ganzen Leben sind.

Wir lernen eine komplexe Person kennen, die zwar ein wenig anders „tickt“, aber ansonsten von genau denselben Problemen und Sehnsüchten erfüllt ist wie wir. Ähnlich wie Mark Haddon in seinem wundervollen Roman „The Curious Incident of the Dog in the Night-Time“ (auf Deutsch: Supergute Tage) versteht es Gottlieb, einfühlsam die Sichtweise eines Autisten glaubhaft nachzuempfinden. Obwohl die dramatischen Elemente um das Geschehen in Payton zum Teil vielleicht ein wenig aufgesetzt erscheinen – zumindest Martine wirkt als Figur ein wenig befremdlich und überflüssig – präsentiert er dem Leser mit „Best Boy“ eine überaus emotions- und spannungsreiche Story, die es wert ist, im Gedächtnis zu bleiben.

Titelbild

Eli Gottlieb: Best Boy. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Jochen Schimmang.
Verlag C.H.Beck, München 2016.
253 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406683398

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