Ausbruch aus dem Alltagsgefängnis

Simone de Beauvoir fragt im Roman „Die Welt der schönen Bilder“ nach dem wirklichen Leben

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 14. April 2016 jährte sich Simone de Beauvoirs Todestag zum 30. Mal. Die französische Philosophin, Schriftstellerin und Lebensgefährtin von Jean-Paul Sartre ist heute vor allem noch als Autorin des wegweisenden Feminismus-Klassikers „Das andere Geschlecht“, das in der französischen Originalausgabe bezeichnenderweise „Le deuxième sexe“ heißt und bereits bei Erscheinen 1949 große Wellen warf, bekannt. Begonnen hat sie jedoch als Romanautorin, 1943 erschien „L’invitée“ (deutsch „Sie kam und blieb“), 1945 „Le Sang des autres“ (deutsch „Das Blut der anderen“). Für den Roman „Les Mandarins de Paris“ (deutsch „Die Mandarins von Paris“) erhielt Simone de Beauvoir 1954 den renommierten Prix Goncourt.

Aufgewachsen in einer verarmten großbürgerlichen Familie lehnte sich de Beauvoir schon früh gegen Konformismus und Standesdünkel ihrer konservativen Erziehung auf. Sie setzte auf Unabhängigkeit – emotional wie finanziell – und musste immer wieder schmerzhaft erfahren, dass sich längst nicht alles, was in der Theorie zu denken keine Probleme verursachte, in der Praxis so leicht umsetzen ließ. Trotzdem blieb sie ein Leben lang kämpferisch und scheute auch nicht davor zurück, die eigenen Zweifel offenzulegen, ohne jedoch ihren Überzeugungen abzuschwören. Ganz besonders eindrücklich ist dies nachzulesen im Band „Transatlantische Liebe“, der den Briefwechsel zwischen ihr und ihrem amerikanischen Geliebten Nelson Algren zwischen 1947 und 1964 umfasst, oder aber im Erinnerungsbuch „Die Zeremonie des Abschieds“, das sie nach Sartres Tod am 15. April 1980 veröffentlichte und welches das erste Buch ist, so schreibt sie im Vorwort, das er nicht gelesen habe, bevor es gedruckt worden ist.

Der Berliner Verlag ebersbach & simon, der bereits eine ganze Reihe KlassikerInnen – etwa Françoise Sagen, Edith Wharton, Vicky Baum oder Vita Sackville-West – neu aufgelegt hat, veröffentlichte in diesem Frühjahr de Beauvoirs Roman „Die Welt der schönen Dinge“ in der Übersetzung von Hermann Stahl – eine Ausgabe, die bereits 1968 im Rowohlt Verlag erschienen ist (eine neue Übersetzung des Romans hätte bestimmt gut getan, merkt man der hier vorliegenden das Alter doch ziemlich an). Die Originalausgabe erschien 1966 unter dem Titel „Les belles images“. Die 1960er-Jahre sind denn auch sehr präsent im Roman, in dessen Mittelpunkt Laurence und ihre Familie stehen. Die attraktive Pariserin hat eigentlich alles, was sie sich nur wünschen kann: einen Ehemann, einen Geliebten, zwei Töchter, einen interessanten Vater – und einen Beruf. Doch Laurence ist dieses Lebens zunehmend überdrüssig. Der Geliebte verlangt etwas von ihr, zu viel aus ihrer Sicht – er möchte, dass sie sich entscheidet zwischen den beiden Männern, doch davon ist Laurence weit entfernt. Sie sieht keinen Grund, Jean-Charles zu verlassen, auch wenn diese Ehe schon längst Routine ist und sie sofort durchschaut, dass seine Blumen nach einem Streit kurz vor Weihnachten keine Herzenssache sind, „nicht einmal aufrichtige Reue, dessen ist sie sich sicher; nur Verneigung vor den ehelichen Konventionen: kein Zerwürfnis vor den Feiertagen“.

Ja, dieses Leben ist öde, daran ändern auch die Aufregungen nichts, die die Mutter von Laurence verursacht, weil ihr Geliebter sie wegen einer jungen Frau verlassen hat und sie deshalb am Boden zerstört ist. Das ist Alltag in den Kreisen, in denen sich Laurence bewegt. Sie kennt und verachtet sie, will jedoch nicht ausbrechen oder traut es sich nicht zu. Bis ihre ältere Tochter Catherine ihr Fragen stellt, für die sie eigentlich noch viel zu jung ist. Catherine stößt ihre Mutter ziemlich vor den Kopf, als sie von ihr wissen will, wie man das Unglück aus der Welt schaffen könne. Dass sie Ärztin werden und dann die kleinen Kinder pflegen könne, beruhigt das Kind zwar vorerst. Doch die nächste Frage: „Und was tust du, um den Unglücklichen zu helfen?“, begleitet von einem „unerbittlichen Blick eines Kindes, das sich nichts vormachen lässt“, führt Laurence nur allzu deutlich vor Augen, dass sich ihre Tochter nicht mit schönen Worten abspeisen lässt und dass sie letztlich sogar recht hat.

Laurence lernt nicht, die Dinge anders zu sehen und zu beurteilen. Vielmehr rutscht sie langsam in eine Depression – eine solche hatte sie bereits fünf Jahre zuvor –, bleibt dabei jedoch wach und aufmerksam. Dies ermöglicht ihr, den einen oder anderen Blick zu wagen, hinter die schönen Bilder zu schauen, sich aufrütteln zu lassen und nicht überhastet nach Lösungen zu suchen.

Simone de Beauvoir erzählt in „Die Welt der schönen Bilder“ eine Geschichte, die zum einen in gehoberen Pariser Kreisen Mitte des letzten Jahrhunderts angesiedelt ist, am Vorabend der Pariser Unruhen und der Neuen Frauenbewegung, und das kommt an vielen Stellen sehr deutlich zum Ausdruck. An den Soireen führt der Vietnamkrieg zu Diskussionen in diesen Kreisen, in denen den Frauen auch eine Erwerbsarbeit zugestanden wird, die sie befriedigen soll. Sexuelle Befreiung ist möglich – gibt es doch die Antibabypille. Dennoch sind es im Roman vor allem die Frauen, die unglücklich sind. Sie reagieren auf Geschehnisse – im Kleinen wie im Großen – sensibel und suchen einfühlsam nach Lösungen, während die Männer davon ausgehen, dass sich Probleme bequem lösen lassen. So beharrt Jean-Charles etwa darauf, dass Catherine nur zur Psychologin muss, die „das“ dann schon wieder einkriegt. Beauvoirs Roman ist aber keineswegs veraltet, denn die Fragen, die sie stellt, beschäftigen auch 50 Jahre später noch. So ist man bei der Lektüre von „Die Welt der schönen Bilder“ zum einen fasziniert von der Zeitlosigkeit der Probleme, die sich in Kleinfamilien aufstauen, zum anderen erfreut über die Erinnerungen, die wachgerufen werden an eine Zeit, die für die Generation, die jetzt ins Rentenalter kommt, von so großer Bedeutung gewesen ist.

Titelbild

Simone de Beauvoir: Die Welt der schönen Bilder. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Hermann Stiehl.
ebersbach & simon, Berlin 2016.
256 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783869151304

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