Trostloser Monolog
„Nationalstraße“ von Jaroslav Rudiš ist eine provozierende Beobachtung, in der vieles ungesagt bleibt
Von Nora Schmidt
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Zack. Zack.“ Mit dem Stakkato, das Jaroslav Rudiš in seinen letzten Romanen immer weiter entwickelt hat, versetzt uns der neue Roman sofort hinein ins Geschehen. Das heißt, im Grunde ist es kein Romangeschehen mit einer langen Erzählung, eher ein Dialog in der Severka, einer Kneipe in einer Plattenbausiedlung im Norden Prags. Und eigentlich ist es auch kein Dialog, sondern eher ein Monolog: Der Protagonist Vandam labert vor sich hin und den Leser voll – oder mit seinem Sohn, von dem wir nicht wissen, ob es ihn überhaupt gibt.
Rudišʼ neues Buch ist eine Aufforderung zum Zuhören: „Setz Dich hin, trink was und hör zu.“ Doch statt der „dumpfen Stille“ der Plattenbausiedlung hört man den larmoyanten Monolog des „Raufbolds und Kneipentyps“ Vandam, dessen Name eine nostalgische Anspielung an die fast schon vergessenen Martial Arts Filme ist, die sich eine Generation Jugendlicher um die Wendezeit auf VHS angesehen hat. Diese Generation ist gealtert und vom Leben frustriert. Aber Vandam weiß aus den Filmen, „wie das Leben läuft.“ Dieses Wissen gibt er weiter, wenn er jemandem eine reinhaut und wenn er über die Welt und die darin geführten Kriege und Schlachten schwadroniert. Der Leser ist Vandams Weltsicht und seiner immer gleichen Gerede ausgeliefert, was sich in Redundanzen und langen Wiederholungsmustern niederschlägt. Als wäre dies nicht schon genug, strotzt der Roman nur so vor Wiederholungen, die die Geduld des Lesers arg strapazieren.
Aber: „du musst stark sein. Konzentrier dich, Junge“. Es gibt einige wenige Hinweise, aus denen sich eine Story rekonstruieren lässt. Entscheidend ist das einzige, nicht nummerierte, mit „Narben“ betitelte Kapitel: Ein Kammerspiel mit Vandam und der Kneipenwirtin, bei dem zwischen Sex im Fahrstuhl und Blowjob zu erfahren ist, dass Vandam in der Vergangenheit einen wichtigen Moment seines Lebens auf der Nationalstraße im Zentrum Prags erlebte. Er meint nun, selbst im Zentrum der Stadt und der Geschichte gestanden zu haben, ja selbst eine Sternstunde der Menschheit ausgelöst zu haben. Der Roman versucht Kraft zu ziehen aus der Diskrepanz dieser Hybris und der trostlosen Realität des Helden, dieses „Versagers vom Dach“. Doch leider braucht es den Klappentext, um den plot zu rekonstruieren und das Nachwort zur deutschen Ausgabe, um zu verstehen, worum es Rudiš geht.
Dass die Kneipe ein besonderer Ort der tschechischen Kultur ist, das weiß auch der deutsche Leser bereits. Leider erreicht der Roman trotz der Versuche, mit den Römern und der Schlacht im Teutoburger Wald eine europäische Mythologie zu bemühen, nicht die philosophische Tiefe des Hrabalʼschen Kneipengeschwätzes Auch der einsame Wolf und die Krieger erreichen keineswegs die Bildgewalt eines Jachym Topol. Vandam lackiert nur einsam und mit der immer gleichen verdünnten Farbe die Dächer der Plattenbausiedlung, und nicht zusammen mit anderen Künstlern, frei und delinquent alte Sgrafitti wie in Libuše Monikovás Die Fassade. Zwischen der Behauptung „Adolf Hitler hat mir das Leben gerettet“ und „Adolf Hitler hat mir nicht das Leben gerettet“ will Jaroslav Rudiš wieder ein Buch geschrieben haben über „die Wende und die Jahre nach der Samtenen Revolution, die uns eine Freiheit beschert hat, die wir nicht zu schätzen gelernt haben.“ Vor allem ist es eine Provokation. Vandam schreit, fast totgeprügelt, um Hilfe mit den Worten: „Heil Hitler“.
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