Ein vielversprechendes Debüt
Zu Colin Barretts Erzählungen „Junge Wölfe“
Von Martin Gaiser
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEndlich gibt es in der europäischen Literatur wieder einmal eine frische, eine harte, eine ehrliche neue Stimme – Colin Barrett, Ire, Jahrgang 1982, legt mit seinem aus sieben Erzählungen bestehenden Debüt „Junge Wölfe“ ein Buch vor, das man vielleicht noch am ehesten (unter anderem wegen des geografischen Bezugs) neben Kevin Barrys „Dunkle Stadt Bohane“ und (der Härte und Direktheit wegen) neben Clemens Meyers „Als wir träumten“ und „Die Nacht, die Lichter“ stellen kann. Es beginnt mit einem Statement aus der ersten Erzählung, „Der kleine Clancy“, das sich direkt an den Leser richtet und das Programm vorgibt – sowohl für den Stil, als auch für die Gegend: „Meine Stadt liegt nirgends, wo Sie je gewesen sind, aber Sie kennen die Sorte. Ein Kreisverkehr an einer Nationalstraße, ein Industriegebiet, ein Cineplex mit fünf Sälen, eine Hundertschaft Pubs, die sich auf den zwei, drei Quadratkilometern des Stadtgebiets zusammendrängt.“ Die besagte Auftaktstory untermauert sofort Barretts nicht ausgesprochenen, aber deutlich spürbaren Anspruch, durch Sprache, durch Literatur, durch originelle, aber keinesfalls auf schnelle Effekte abzielende Beschreibungen ein Soziotop, eine Generation, ein Lebensgefühl darstellen zu wollen.
Die Beschreibungen sind es denn auch, die den Leser sofort für diesen vielleicht gar nicht so wilden und ungestümen, sondern vielmehr klug dosierenden Autor einnehmen. Wenn zum Beispiel junge Männer, die am Freitagabend die Kneipen stürmen, wie folgt beschrieben werden: „stiernackige Jungs mit tischtuchgemusterten Button-down-Hemden, Bauernsöhne, die sich die Hemdsärmel bis über die Ellbogen hochkrempeln, als könnte man sie jeden Augenblick auffordern, einer Kuh das dampfende Kalb aus dem Hinterleib zu ziehen“, dann bekommt man eine genaue Vorstellung davon, mit welchem Furor einerseits, mit welcher Fantasie und Vielfalt andererseits dieser Autor zu Werke zu gehen imstande ist. Und das tut er auf der kurzen Distanz so knapp, klar und überzeugend, wie man das in der Musik beispielsweise von den Sleaford Mods kennt: auf den Punkt gebracht, rotzig, trotzdem durchkonstruiert und nie eindimensional. Seine Figuren bekommen sofort Konturen, in aller Kürze eine Biografie. Ihre äußerliche Beschreibung hat Barrett sowieso im Griff, ebenso die Beschreibung der Örtlichkeiten.
Worum geht es Barrett in „Junge Wölfe“? Nun, man mag, allein des passenden Titels wegen, an Alan Silitoes „Samstagnacht und Sonntagmorgen“ denken, das berühmte Diktum „Working for the weekend“ fällt einem ein. Es geht darum, Spaß zu haben, die eigene Verzweiflung gegen eine Nacht im Pub, mit Alkohol, Drogen, eventuell Sex einzutauschen, sich gut zu fühlen, sich in einer Gruppe mit Menschen, denen es ähnlich geht, eine Art Zusammengehörigkeit vorzugaukeln. Das alles geht meist mit einer Art apokalyptischer Risikofreude einher; eine Schlägerei ist nichts, was man fürchten müsste, ganz im Gegenteil, man freut sich schon fast darauf, die eigenen Blessuren eingeschlossen. Im Band gibt es aber auch ruhigere Texte, etwa die Erzählung „Der Mond“, in der es ganz klassisch um eine Liebe und um die Sehnsucht nach Liebe geht, nur eben eingebettet in die Atmosphäre von Nachtclubs, Türstehern und harten Vokabeln – die Zartheit und Tiefe der Gefühle bleibt davon unberührt. Auch „Wehr dich deiner Haut“ ist eine solche Geschichte voller Niedergeschlagenheit, Durchhaltewillen (auch wenn man nicht recht weiß, wofür und was danach kommen könnte) und grauem Alltag; Eammonn Battigan, von allen außer seiner Haare schneidenden Mutter nur Bat genannt, arbeitet an einer Tankstelle. Vor Jahren wurde er in einem Pub von einem dumpfbackigen Großmaul übel zugerichtet, seitdem hat er ein leicht entstelltes Gesicht und wird von nie endenden Kopfschmerzen geplagt. Er geht nicht mehr aus, betäubt seine Schmerzen mit abendlichen Bieren und melancholischen Spaziergängen, wenngleich er dieses Wort wohl nie auf sich beziehen würde. Auch in dieser Geschichte findet sich die ewige Rivalität von Bleiben und Weggehen, von Kontinuität und Flucht, von Mut und Beständigkeit, von Stadt und Provinz. Colin Barrett zeigt diese Gegensätze kompromisslos auf, in schönen Bildern voller Schmerz und Blut, Poesie und Träumen.
Zentraler Text in „Junge Wölfe“ ist die mit 90 Seiten längste Geschichte, „Ruhig mit den Pferden“, die erneut an Alan Silitoes bereits genannten Roman erinnert und in der Barrett brillant demonstriert, dass er das Zeug zum Romancier hat. Hier werden die Biografien breiter angelegt, die Beziehungen Einzelner zueinander ausführlich beschrieben, Nebenhandlungen eingeführt, die zu einem verdichteten Erzählen führen und so die Komplexität der Handlung unterfüttern. Es geht um die beiden Typen Arm und Dympna, die Drogen verticken, die sie wiederum von Dympnas etwas außerhalb hausenden Onkels bekommen – zwei wahrhaft schrägen Vögeln, die direkt aus einem Roman von William Gay oder Daniel Woodrell in die irische Provinz gebeamt zu sein scheinen. Es geht das Gerücht, einer ihrer Unterhändler hätte bei einer feucht-fröhlichen Party eine von Dympnas minderjährigen Schwestern begrapscht, wenn nicht sogar mehr. Dympna und Arm kümmern sich darum, doch den Onkeln, denen die Familie heilig ist und die die Quelle für Dympnas und Arms Drogenmonopol sind, reicht das nicht, sie wollen quasi alttestamentarische Vergeltung. Und so gerät diese Geschichte, in der es auch noch um Arms Ex-Freundin und den gemeinsamen behinderten Sohn geht, um eine vielleicht sich anbahnende Liebe, um eine Death Metal-Band und vieles mehr, völlig aus dem Ruder, es kommt zu unglaublich spannenden und blutigen Szenen. Hier zeigt Colin Barrett, welche Register er ziehen kann, „Junge Wölfe“ ist der Beginn einer vielversprechenden Schriftstellerkarriere, die ersten gewichtigen Preise hat er bereits bekommen.
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