Raus aus dem „Urwald“

„Ingeborg Bachmanns Wien“ von Joseph McVeigh

Von Barbara MariacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Barbara Mariacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nur knapp sieben Jahre, nämlich die unmittelbare Nachkriegszeit von 1946 bis 1953, hat die in Klagenfurt geborene, österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (1926 –1973) in Wien verbracht. Diesem biografischen Abschnitt widmet sich das Buch des in Amerika lehrenden Germanisten und Bachmannkenners Joseph McVeigh. Anders als sein Titel vermuten lässt, geht es in dem Text nicht um den genius loci einzelner biografischer Schauplätze, sondern um Bachmanns sogenannten „Wiener Roman“, wie sie einmal ihre Wiener Zeit gegenüber ihrer Schwester Isolde in einem Brief bezeichnete.  Sie spricht darin von einem Lebensabschnitt, den sie wahrscheinlich auch in ihrem zeitgleich entstandenen, später jedoch vernichteten Romanmanuskript Stadt ohne Namen bearbeitet hat.

Es ist die Zeit, in der die junge Philosophiestudentin versucht, im Wiener Literaturbetrieb Fuß zu fassen. Kein einfaches Unterfangen, da das kulturelle und literarische Leben der damaligen Zeit völlig im Zeichen des Wiederaufbaus stand und durch die abwechselnde Einflussnahme der alliierten Ost- und Westmächte geprägt war. Besonders die Jahre 1949/1950 „markierten für die Kulturpolitik in Österreich“ den „Beginn einer […] Propagandaschlacht zwischen Ost und West“, wie Joseph McVeigh schreibt. Mitten in dieser Schlacht agiert der aus dem Schweizer Exil heimgekehrte Schriftsteller und Österreichpatriot Hans Weigel (1908–1991). Er fördert einen Kreis junger Autoren, die er regelmäßig im Café Raimund um sich schart und denen er in seinem Jahrbuch Stimmen der Gegenwart Gehör und damit ein wichtiges Publikationsorgan verschafft. Demgegenüber gibt es die vorwiegend kommunistisch orientierte Jugendgruppe des Pen-Clubs, die Weigel als „Stalins Brückenköpfe in Österreich“ abwertete.

In der Person Hans Weigels gewinnt Ingeborg Bachmann nicht nur einen einflussreichen Mentor, sondern auch einen Geliebten, dem sie offensichtlich „auch politisch ziemlich nahestand“, wie McVeigh zu beweisen versucht. Dies zeige sich unter anderem darin, dass „ihre Texte vorwiegend in christlich-konservativen bzw. antikommunistischen Publikationsorganen erschienen.“

Durch die Vermittlung der Journalistin Bobbie Loecker, bei der Bachmann auch eine Zeit lang wohnt, gelingt es ihr in dem von den Amerikanern errichteten Sender „Rot-Weiß-Rot“ in der Seidengasse 13, im 7. Wiener Gemeindebezirk, eine Stelle im Script Department zu bekommen. Sie schreibt vor allem für den Broterwerb und zur Finanzierung ihres Studiums: Quizbeiträge, Radiogeschichten, selbst als Mannequin tritt sie einmal für den Sender in Erscheinung. Daneben entstehen aber auch literarische Texte, so beispielsweise im Rahmen der Sendereihe Die Radiofamilie, worin sie einmal die notorische „Überfremdungsangst der Wiener Gesellschaft“ thematisiert.

Sowohl in privater als auch in politischer Hinsicht entfernt sich Ingeborg Bachmann jedoch immer mehr von Wien und ihrem Mentor. Ihr Blick richtet sich nach Deutschland und wendet sich dem eher links orientierten Engagement der Gruppe 47 zu. 1953 erhält sie die legendäre Einladung zu einer Lesung und in Folge davon den renommierten Preis der Gruppe. Ausgezeichnet werden ihre Gedichte aus dem Band Die gestundete Zeit, wodurch die junge Autorin schlagartig berühmt wird. Geografisch und geistig sieht sie sich immer weniger im deutschsprachigen Raum verankert. Sie zieht – nach Zwischenstationen in Berlin, München und Zürich – nach Italien. Ihr einstiger Mentor Hans Weigel kommentiert dies mit Unbill in einem Brief an den Schriftsteller Herbert Eisenreich mit den folgenden Worten:  „Inge Bachmann spinnt grössenwahnsinnig, hält sich für eine Dichterin mit grossem D, gibt ihren Roman nicht her, setzt sich nach Italien, dort pro Jahr drei Gedichte dichten und dürfte binnen kurzem eine komische Figur werden.“ Auch der zeitweise in die BRD umgesiedelte Herbert Eisenreich teilt die abschätzige Meinung Weigels anlässlich des Erscheinens der Anrufung des großen Bären in einem Schreiben an den Theater- und Fernsehregisseur Oswald Däpke: „[E]s ist ja wirklich nichts dran an diesen Verserln – im Verhältnis zu dem Beifall, der ihnen von den Anderschs hier gespendet wird. Nebenbei: in Österreich käme niemand auf die Idee, die Bachmann für eine große Dichterin zu halten. Genies in dieser Preislage haben wir rudelweise bittascheen!“

Glücklicherweise konnte sich ihr Werk trotz dieser negativen Einschätzungen schon bald international durchsetzen, wofür Bachmanns Weg aus dem kärntnerischen „Urwald“ – wie sie ihre Heimat einmal nannte – nach Wien und von dort nach Rom wohl eine wesentliche Voraussetzung war.

Es ist der Verdienst von McVeighs Buch, das auf eine Vielzahl bislang noch unveröffentlichter Dokumente zurückgreifen konnte, einen nahezu ungeschminkten Einblick in die Bedingungen des Literaturbetriebs der Nachkriegszeit zu geben und so ein realistisches Bild von der Schriftstellerin und ihrer Umgebung zu zeichnen.

Titelbild

Joseph McVeigh: Ingeborg Bachmanns Wien. 1946-1953.
Insel Verlag, Berlin 2016.
314 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783458176459

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