Supergirl vs. Bushido

Andreas Pflüger packt in „Endgültig“ alles hinein, was in einen phantastischen Thriller gehört

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Große Teile des Thrillers leben heute von einem Typus des Protagonisten, der mit dem mittleren Helden, eine Errungenschaft des Romans des 19. Jahrhunderts, kaum noch etwas zu tun hat. Die Selbstermächtigung und Armierung des einsamen Helden korrespondiert mit dem Bedeutungsverlust des männlichen Geschlechts. Damit kann und soll das Subjekt zwar gebrochen sein, aber gleichzeitig soll es Handlungsmacht demonstrieren. Es soll für die gute Sache tätig werden, aber auch ein gerüttelt Maß an Zufall darf dann schon dabei sein. In den Superhelden-Reihen, die sich vor allem nach dem Krieg umtrieben und die im Kino im letzten Jahrzehnt fröhliche Urständ feiern, ist dies paradigmatisch vorgeführt.

Der Thriller hat hier nachgezogen; erst ein wenig verhalten, dann aber mit großem Elan. Im Action-Film kann man diese Entwicklung offen nachvollziehen: Was frühe James Bond-Filme in dieser Sache zu bieten haben, ist mit dem, was der arme Kerl heute alles zu können hat, kaum noch zu vergleichen.

Die Romanhelden hatten anfänglich mit diesen Vorzeigeathleten wenig zu tun, ganz im Gegenteil: Im Vordergrund steht ihr Defizit, der Bruch, der sie bestimmt, das Manko, das sie nicht überwinden können – bis dann eben der Fall kommt, der es ihnen ermöglicht, wieder über sich hinauszuwachsen. Wenigstens ist das Konzept in den Hard boiled-Krimis bis in die jüngere Vergangenheit so ausgerichtet.

Moderne Thriller-Helden jedoch sind in selbstverständlicher Manier kompetent und machtvoll, ihre Defizite sind weitaus weniger bedeutsam; sie können zunächst einmal dies oder jenes tun – und nebenbei haben sie noch ein Defizit, das sie eigentlich aus dem Raster fallen lässt.

Der in Berlin lebende Andreas Pflüger hat nun eine weitere Variante dieses Musters vorgestellt: Endgültig mischt dabei in großer Geste eine Reihe von Themen, die den Thriller heute prägen, und er führt eine zweifelsfrei großartige Heldin ein. Jenny Aaron, die ehemalige Undercovervorzeigesuperagentin einer nicht weiter benannten Geheimbehörde („Die Abteilung“), ist blind. Bei einem völlig missglückten Einsatz in Barcelona wurde sie angeschossen, mit fatalen Folgen. Trotz des Handicaps hat sich Aaron (wie sie durchgängig genannt wird, in der Abteilung spricht man sich mit Nachnamen an, das ist wohl besonders cool) wieder ins BKA gehievt. Ihr Handicap hat sie, soweit es geht, ausgeglichen. Sie orientiert sich im Raum über eine Geräuschsonar genannte Technik, also über Geräusche, die sie selbst produziert. High Heels sind dafür anscheinend besonders gut geeignet. Sie schießt am Schießstand noch immer nahezu perfekt und ist selbstverständlich eine extrem gute Nahkämpferin, körperlich austrainiert sowie eine fast kühle Analytikerin. Zudem ist sie eine äußerst fähige Verhörspezialistin, was nach alledem kaum noch verwundern kann.

Aaron wird nach Berlin gerufen, weil ihr erster Fall, ein Frauenmörder, angeblich die Gefängnis-Psychologin ermordet hat. Aus dem Memorialstück wird allerdings schnell ein rasanter Thriller um einen geheimnisvollen Gegenspieler namens Holm, der ihr seinerzeit in Barcelona die verhängnisvolle Verletzung beigebracht hat. Selbstverständlich läuft alles auf eine direkte Konfrontation zwischen Holm und Aaron hinaus, deren Ende nicht ganz unerwartet ist. Ganz zum Schluss gibt es eine Variante zu Al Pacinos Autofahrt in Der Duft der Frauen, diesmal nur als Verfolgungsjagd.

Blickt man auf den biederen deutschen Krimi der vergangenen Jahrzehnte zurück, ist Pflügers Endgültig offensichtlich von ganz anderer Klasse – rasant, dicht geschrieben, spannend, wenngleich nicht mit wirklich überraschenden Wendungen: Das Ganze schreit dennoch nach einer guten Verfilmung.

Selbst bei den Motiven siedelt Pflüger seinen Thriller auf einem international gängigen Level an: Es geht um Rache, um Verrat, um die wahre Liebe, um Nähe und Treue. Garniert wird das Ganze mit einem anachronistischen Bushido/Samurai-Dekor: der Samurai, der sich im letzten Akt seinem Herrn opfert. Was wohl im Ganzen eigentlich nicht notwendig gewesen wäre.

Nun gut, für die Selbstermächtigung braucht es auch so etwas wie eine Handlungsanweisung, die fraglos ist und die ohne Weiteres befolgt werden kann. Schießen, kämpfen, sich orientieren üben reicht anscheinend nicht aus, der Plot muss mit Sinn hinterlegt werden, mit einem Ziel. Was allgemein ja als Lebensaufgabe zu bewältigen ist. In Aarons Fall ist das die entscheidende Frage: herauszubekommen, ob sie seinerzeit wirklich ihren Kollegen im Stich gelassen hat. Im Fall Holms ist es die Rache, respektive eine immerhin interessante Variante dazu.

Titelbild

Andreas Pflüger: Endgültig. Thriller.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016.
458 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783518425213

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