Amuse-Gueules
Christoph Ribbats Buch „Im Restaurant“ liefert mit seiner „Geschichte aus dem Bauch der Moderne“ statt eines runden Menüs nur viele kleine Häppchen
Von H.-Georg Lützenkirchen
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne“ kündigt der Paderborner Amerikanist Christoph Ribbat im Untertitel seines Buch „Im Restaurant“ an. Das weckt Erwartungen. Da ist zum einen das Restaurant selbst, das als ein öffentlicher Ort seit seiner ‚Erfindung‘ im revolutionären Paris des ausgehenden 18. Jahrhunderts in der Vielfalt seiner Ausprägungen eigene soziale und kulturelle Bedeutung hat. Da sind die gesellschaftlichen Bedingungen, die das Restaurant als wirtschaftlichen Betrieb ermöglichen, die Gäste, die Jobs, die Arbeitsbedingungen und die Hierarchien vom Küchenchef über das repräsentierende Servicepersonal bis zu den vielen Hilfskräften im Dunkeln, die man nicht sieht. Schließlich sind da die Profiteure im Umfeld, die Gourmants, die Gourmets, die Gastronomie- und Restaurantkritiker, die Michelin-Gault-Millau-Sterne-und-Punkteverteiler.
In drei Kapiteln gliedert der Autor seine Geschichte chronologisch: „Öffnungszeiten“ liefert einen Einblick in die frühe Geschichte des Restaurants seit seiner Erfindung im Paris zu Zeiten der Französischen Revoltion, im Mittelpunkt des Kapitels „Nachkriegshunger“ steht die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, ihm folgt das Kapitel „In die Gegenwart“. Ein viertes Kapitel „Restaurants deuten“ schließt das Buch ab.
Wer es bis dahin geschafft hat, hat eine Menge interessanter und weniger interessanter Episoden und Geschichten aus der Restaurantgeschichte gelesen: hat von frühen soziologischen Studien zur Arbeitssituation in Restaurants erfahren, weiß, was George Orwells Schriftstellerkarriere mit Restaurants zu tun hat und warum Würzburg in der bundesdeutschen Restaurantgeschichte bedeutsam ist. Ebenso erfährt der Leser, dass Elvis Presley nach schnellem Hotelsex von der soeben Geliebten ein Spiegeleisandwich erbat, lernte den gegen die fade deutsche Gewohnheitsmahlzeit anschreibenden Wolfram Siebeck genauso kennen wie Rolf Anschütz, der zu DDR-Zeiten in Thüringen ein ebenso kurioses wie anerkanntes Japanrestaurant führte, erhielt Informationen über das berühmte „El Bulli“ – und noch vieles andere mehr. Alles einem offensichtlich gut sortiertem Zettelkasten entnommen, wohl mit der Absicht, aus der Fülle der Einzelteile ein neues Ganzes entstehen zu lassen. Eine Methode, die als Montage (oder Collage) eine eigene ästhetisch-literarische Form möglich macht und darüber hinaus neue Erkenntniswege eröffnet. Aus Fragmenten und Bruchstücken einen neuen Sinnzusammenhang herstellen: In „der Analyse des kleinen Einzelmoments den Kristall des Totalgeschehens entdecken“, beschrieb Walter Benjamin dieses Verfahren und setzte es im „Passagen-Werk“ großartig um.
Ein unangemessener Vergleich? Jedenfalls fehlt Ribbals Buch eine erkenntnisleitende These, ein konzeptioneller Ansatz, der die vielen Einzelbetrachtungen zu einem sinnvollen Großen verbinden könnte. Stattdessen drängt sich beim Lesen der Eindruck auf, es ginge dem Autor vor allem darum, möglichst viele Anknüpfungspunkte für beliebige Assoziationen aufzulisten. Das wird ärgerlich, wenn ein spekulatives Moment hinzu kommt, etwa wenn der Autor unvermittelt einen Anschlag aus der Mordserie des NSU, der in Rostock an einem Döner-Imbiss ausgeführt wurde, anführt. Warum er dies tut, ist fraglich: Vielleicht, weil die Morde des rechtsextremen NSU von Polizei und Öffentlichkeit schändlicherweise lange als „Döner-Morde“ kommuniziert wurden?
Das vierte Kapitel endlich lässt erahnen, was dieses Buch hätte sein können. Denn nun benennt der Autor doch noch einmal, worum es ihm geht: das Restaurant als „Objekt für Kultur- und Gesellschaftsreflexion“. Also etwa, wie der wachsende Fast-Food-Sektor zur neuen „Klasse“ der „working poor“ beiträgt, was das Restaurant zum „Terrain der Körperlichkeit“ macht, welche kreativ-emanzipatorischen Potentiale die „Foodies“, die Slow-Food-Bewegung oder die „Food Trucks“ entfalten. Ganz am Ende kommt Ribbat auch auf seine Methode zu sprechen: Er verlasse sich, schreibt er „auf die Kraft der Geschichten und die Effekte der Montage“.
Zu Zeiten der alten Suhrkamp-Kultur hätte man gewusst, dass Hinweise zur Methode am Anfang einer „Studie“, wie der Autor seine Ausführungen nennt, besser aufgehoben sind. Auch hätte man wohl ein wenig mehr „Theorie“ eingefordert, um aus der losen Aneinanderreihung von vielen Einzelteilen tatsächlich eine aussagekräftige Montage entstehen zu lassen.
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