Vielfalt Moderne

Ein Handbuch versucht einen Überblick über das wissenschaftliche Moderneverständnis – herausgekommen ist ein Kaleidoskop gesellschafts- und kulturwissenschaftlicher Ansätze

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Begriff der Moderne ist in den Sozial- und Kulturwissenschaften beinahe ubiquitär, wobei seine Ausgestaltung vielfältig und widersprüchlich und auf das jeweilige Erkenntnisinteresse ausgerichtet ist. Ob die Moderne nun eine kulturelle Epoche, ein Attribut, eine Haltung respektive ein Bündel von Eigenschaften ist, die Prozessen zuzuordnen sind, oder ob sie eine Norm bezeichnet, ist jeweils gesondert auszumachen. Die Unbestimmtheit des Begriffs ist bereits von Hans Ulrich Gumbrecht in seinem 1978 erschienenen Beitrag zum Lemma „Modern, Modernität, Moderne“ in den „Geschichtlichen Grundbegriffen“ vermerkt worden. Spätere Bestandsaufnahmen haben seine Anamnese im Wesentlichen bestätigt – besser ist es also mit der Eindeutigkeit nicht geworden. Kommt noch die Überlegung vom „Projekt der Moderne“ hinzu, das noch nicht vollendet sei (Jürgen Habermas), dann ist der Anspruch an die Moderne zweifelsohne hoch, ohne dass Einverständnis darüber besteht, was darunter zu verstehen ist.

Ganz im Gegenteil, es scheinen sich zum Teil in denselben Fächern Lager auszubilden, die unverständig nebeneinanderstehen, man denke nur an jenes Moderneverständnis in der Literaturwissenschaft, das die ästhetische Wahrnehmung des Subjekts in den Vordergrund stellt, das sich im Widerspruch zu jenem befindet, das moderne Literatur als Verarbeitungs- und Reflexionsform der gesellschaftlichen Prozesse seit dem späten 18. Jahrhundert versteht. Hinzu kommt ein Lager, das Moderne als die Literatur des Zeitraums zwischen 1880 und 1930 respektive in einer zweiten Moderne zwischen 1945 und 1970 definiert, die dann von der Postmoderne abgelöst worden sei.

Modernität als Eigenschaft und Moderne als Epoche sind im Laufe der letzten Jahrzehnte mehr und mehr in den Hintergrund gerückt. Die Verarbeitungsmodi gesellschaftlicher Prozesse, die als Modernisierung beschrieben werden, haben hingegen größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen, mit denen auch Zielvorstellungen neu definiert beziehungsweise verhandelt werden. Das hat auch damit zu tun, dass im Entstehungsprozess der europäischen und nordamerikanischen Massengesellschaften ein basales Muster moderner Gesellschaften entwickelt worden ist. Das aber taugt nur bedingt zum Muster für die vormals als traditional bezeichneten Gesellschaften, deren wirtschaftliche und politische Macht im Globalisierungsprozess nachrangig ist. Wenn afrikanische, südamerikanische oder asiatische Staaten Veränderungsprozesse durchleben, die als Modernisierung verstanden werden, ist das Ergebnis auch dann deutlich von dem angenommenen Idealmuster einer modernen Gesellschaft entfernt, wenn sie dabei zentrale Elemente der westlichen Welt übernommen haben. Dennoch ist die Orientierung auf einen westlichen Prototyp der Moderne unübersehbar, zum Teil sogar sinnvoll, wenn es etwa um die Ausbildung von funktionsfähigen Zivilgesellschaften geht (siehe auch die Beiträge zu den Lemmata Urbanistik und Soziologie). Ob es Modernisierungsformen gibt, die voneinander unabhängig sind, bleibt dabei offen, auch wenn etwa schon Walther Rathenau um 1910 bereits von einer integrierten globalen Wirtschaft schrieb.

Naheliegend ist deshalb, so die Herausgeber des Handbuchs der Moderneforschung, die „Pluralisierung des Modernebegriffs“, die selbst schon wieder Gegenstand der Forschung geworden ist. Hinzu kommt, dass sich mit dem konstruktivistischen Paradigma, mit dem Diskurstheorien neuen Aufschwung bekommen haben, die Forschung in zwei Linien aufspaltet: in eine, die die Rede von der Moderne als eine Sprechweise unter mehreren konkurrierenden versteht, die als Diskurs realitätskonstituierenden Charakter haben, und in jene, die vermeintlich naiv die Realität moderner Gesellschaften zu beschreiben und zu diskutieren versuchen. Dass beide Linien nicht notwendig im Gegensatz zueinander stehen, wird dann erkennbar, wenn die divergierenden Ebenen in den Blick genommen werden, auf denen sie fußen. Was allerdings immer dann ignoriert wird, wenn das konstruktivistische Paradigma die freie, ja dezisionistische Verfügbarkeit über Positionen und Haltungen begründen soll, da hier ja nicht Wahrheiten, sondern Meinungen verhandelt würden.

Das bedeutet keineswegs, dass damit als universal geltende Güter wie etwa Menschenrechte oder demokratische Strukturen aufgegeben würden. Eine funktionierende Zivilgesellschaft, in der der Einzelne unveräußerliche Rechte hat und in der legalisierte Prozesse, nicht die individuelle Durchsetzungsfähigkeit entscheidend sind, ist auch im afrikanischen oder asiatischen Raum durchaus erstrebenswert. Unübersichtlich ist jedoch, dass sie insbesondere unter den jeweils gegebenen Bedingungen andere Formen annehmen, auch andere Inhalte repräsentieren, ja einen anderen Charakter erhalten können.

In der wissenschaftlichen Anamnese und Analyse spielen normative Elemente – wenn auch nicht zwingend – eine zentrale Rolle. Deshalb zeigen die von den Herausgebern des „Handbuchs Moderneforschung“ so herausgehobenen Regionalstudien enorme Abgrenzungs- und Differenzierungsbemühungen, die etwa in den Konzepten der „verflochtenen, globalen, postkolonialen oder multiplen Moderne(n)“ Ausdruck finden. Begrifflichkeit und ihre zweifellos positive Konnotierung sollen nicht aufgegeben, stattdessen sollen die vielfältigen Abweichungen vom Idealmuster als gleichrangig aufgewertet werden.

Das Konzept des „Handbuchs der Moderneforschung“ ist aufschlussreich: Grundlegend ist, dass in den jeweiligen Lemmata, die teils fächerorientiert, teils themenbezogen sind, die Bearbeiter keine eigenen Modernetheoreme vorstellen oder entwickeln, sondern die möglicherweise divergierenden Modernemuster, die in den jeweiligen Bereichen kurrent sind, vorstellen sollten. Hinzu sollte eine Skizze der historischen Entwicklung der Modernevorstellungen kommen. Das ist für konventionelle, fachlich eindeutig zuweisbare Einträge wie Literaturwissenschaft, Kunstwissenschaft, Politologie oder sogar Technikgeschichte trotz der historischen Tiefe relativ gut umsetzbar. Doch vor allem bei den Regionallemmata, für die die Beiträge verschiedener Fächer und Interessensgebiete zu berücksichtigen wären, stößt dieses Vorhaben immer dann an seine Grenzen, wenn die Zahl der Fächer und Fachbeiträge zu groß wird. In diesen Fällen ist die gewünschte Darstellung der Forschungsgeschichte nur über die Reflexion des Themenbereichs und seiner Entwicklung möglich.

Die Herausgeber des „Handbuchs der Moderneforschung“ gehen von drei Prämissen aus: Erstens: Der Begriff der Moderne habe sich in den Kulturwissenschaften etablieren können. Zweitens ermögliche er es, die zentralen Transformationsprozesse in Gesellschaften oder Kulturen zu identifizieren. Schließlich erlaube er drittens eine hinreichend tragfähige „zeitliche Verortung“ der Untersuchungsgegenstände. Dass sie damit die Moderne als „Epochenphänomen“ klassifizieren, ist begründbar, da dies ja in seinem Beginn so angelegt ist, führt aber dazu, dass „Moderneforschung“ derart allgemein würde, dass die je fach- und themenspezifischen Analysen zu den letzten 150 Jahren allumfassend angelegt sein müssten. Moderneforschung als Epochenforschung wird damit zur Superkategorie, die alle anderen unter sich vereinigt. Kategorie und Gegenstand können, ja müssen überall dort divergieren, wo der Begriff selbst erst in jüngerer Vergangenheit verwendet wird, die Gegenstände, die darunter gefasst werden, jedoch bereits vorher erforscht wurden. Die Beiträge zur Urbanistik und zur Technikgeschichte zeigen brauchbare Varianten, wie dieses Problem bewältigt werden kann.

Die BearbeiterInnen seien gebeten worden, weniger eigene Modernepositionen vorzustellen, sondern das im jeweiligen Themen- oder Fachbereich kurrente Verständnis vorzustellen und in der Forschungsgeschichte wie in der derzeitigen Forschungspraxis zu skizzieren. Die Beiträge sind nach einer vorgegebenen Struktur gegliedert: Definition, Forschungsgeschichte, geografische Reichweite, Periodisierung und Forschungsthemen sollen für alle Lemmata beschrieben werden. Gerade bei den Lemmata, die eine Vielzahl von Fächern und Themen übergreifen, muss dies zu schematisierenden Darstellungen führen – Sprach- und Verarbeitungsgrenzen einmal vernachlässigend.

Das Handbuch umfasst 28 Beiträge unterschiedlichen Formats aus den Kultur- und Sozialwissenschaften. Neben den auch im Fächerkanon vertretenen kulturwissenschaftlichen Lemmata wie Philosophie, Geschichts- und Literaturwissenschaft, Kunstwissenschaft, Theaterwissenschaft oder Filmwissenschaft sind auch sozialwissenschaftliche bearbeitet worden, so etwa Soziologie, Stadt-, Technik- und Wirtschaftsgeschichte. Daneben sind regionale Lemmata (auch „Area studies“) wie Afrika, Arabische Welt, China, Japan, Russland und Osteuropa oder Lateinamerika vertreten. Die American Studies werden im selben Artikel wie die Ästhetische Theorie behandelt, was befremdlich wirkt. Es gibt einen Artikel zur Religionswissenschaft, aber eben auch zur katholischen und evangelischen Theologie, während die muslimische Theorie, deren Modernisierungsfähigkeit derzeit gerade intensiv diskutiert wird, fehlt. Allerdings gibt es Beiträge zur arabischen Welt und zum muslimischen Südasien. Die jüdische Theologie fehlt ebenfalls, allerdings finden sich „Jüdische Studien“ berücksichtigt, was begründungswürdig ist. Die Herausgeber haben zwischen systematischen und regionalen Artikel unterschieden, um die systematische Differenz zwischen den Einträgen halbwegs zu erklären. Die Auswahl der Lemmata wirkt so zwar nicht beliebig, aber dennoch unvollständig.

Die Hauptlast für die Brauchbarkeit des Handbuchs müssen deshalb die einzelnen Beiträge tragen, die – angesichts der vergleichsweise geringen Zahl – recht großen Raum in Anspruch nehmen, dabei aber auch ein gerüttelt Maß an Aufgaben zu erledigen haben.

Dass dies gründlich misslingen kann, zeigt der Beitrag zur Literaturwissenschaft, der von Annette und Linda Simonis stammt. Das rührt insbesondere daher, dass die beiden Verfasserinnen einen großen Teil der literaturwissenschaftlichen Verwendung des Modernebegriffs und der Moderneforschung vernachlässigen. Als Konzepte nennen sie die Moderne als Gegenbegriff zur Antike, was auf die Diskussion der „Querelles“ zurückgeht, die sie vergleichsweise extensiv nachvollziehen. Daneben werde Moderne als Zeitraum seit der Frühen Neuzeit bis in die „aktuelle Gegenwart“ (!) verstanden. Schließlich werde die Moderne als „Zeitalter poetischer und künstlerischer Innovationen“ zwischen 1850 und 1930 definiert, wobei die Eckdaten – wie die Verfasserinnen wohl einräumen würden – unterschiedlich gesetzt werden können.

Auffallend ist, dass Annette und Linda Simonis das zweite Verständnis vor allem mit dem Fokus auf historiografische Stichwortgeber diskutieren. Die gesamte Diskussion um die Periodisierung der Literatur nach dem Mittelalter, die insbesondere in der literaturwissenschaftlichen Frühneuzeitforschung intensiv geführt worden ist und zu verschiedenen Konzeptionen geführt hat, bleibt unerwähnt. Walter Benjamins Trauerspielbuch wird zudem nicht hier, sondern an späterer Stelle als Beispiel für eine zunehmende „theoretische Sensibilität gegenüber dem Modernephänomen“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts angeführt. Der Ansicht kann man durchaus sein, doch sollte dabei bedacht werden, dass auch Sensibilität nicht einfach vom Himmel fällt. Selbst an dieser Stelle fehlt es an der Kontextualisierung (Urbanisierung, Industrialisierung, Technisierung, Kapitalisierung, Medienrevolution, Entstehung von Massen- und Konsumgesellschaft und Demokratisierung des politischen Systems, Auflösung von Handlungs- und Rollenkonzepten, um nur einige Stichworte zu nennen), die in der Literatur und in der Literaturwissenschaft zu heftigen Reaktionen und Reflexionen geführt haben. Die Analogie, die Benjamin zwischen Moderne und Früher Neuzeit sieht, wäre als spezifischer Ansatz vorzustellen gewesen, zumal diese Überlegung aufgenommen und diskutiert wurde (etwa bei Wolf Lepenies, „Melancholie und Gesellschaft“, 1969). Charles Baudelaires Schlüsselstellung für das Selbstverständnis der Moderne wird zwar erwähnt, aber nicht diskutiert. Gerade das doppelte Moment des Vorübergehenden und des Ewigen, das er anspricht, wird nicht problematisiert. Die Periodisierung der Moderne bleibt unabgeschlossen. Das Verhältnis von Moderne und Neomoderne der Nachkriegszeit wird nicht einmal angespielt. Die Überlegungen zur Postmoderne, die etwa Leslie A. Fiedler 1968 mit einem Playboy-Essay anstellte und mit der der Graben zwischen U- und E-Literatur geschlossen werden sollte, spielen hier keine Rolle. Überhaupt ist die Funktion der Unterhaltungsliteratur für die Literatur der Moderne – etwa mit Krimi und Science-Fiction – nicht existent.

Unter der Zwischenüberschrift „Themen und Leitprozesse“ wird ein Teil dieser Kontexte zwar erwähnt, aber inhaltlich kaum ausgeführt. Generell bleibt die Literaturwissenschaft in der Lesart der beiden Verfasserinnen merkwürdig selbstbezüglich. Dass der Fokus auf der germanistischen Literaturwissenschaft liegt, ist allerdings hinnehmbar. Zumal sich deren ältere Zweige (der gleichfalls viel zitierte Friedrich) intensiv mit der französischen Literatur beschäftigten, während deren neuere Anregungen bevorzugt aus der amerikanischen Literaturwissenschaft aufnahmen.

Ganze Forschungsphasen werden zudem vernachlässigt, wie etwa die Sozialgeschichtsschreibung von Literatur oder die Ideologiekritik, die möglicherweise den Modernebegriff weniger intensiv verwendet haben als die jüngere Forschung, sich jedoch zweifelsohne intensiv mit den Konstituenten moderner Gesellschaft, Kultur und Literatur beschäftigt haben. Die Containerisierung der Klassischen Moderne als abgeschlossene Phase literarischer Entwicklung und deren kritische Diskussion geht zwar in die Periodisierung der Verfasserinnen ein, wird aber nicht kritisch diskutiert, was umso bedauerlicher ist, als für die Darstellung der „Querelles“ und von Friedrich Schillers Verwendung des Modernebegriffs ausreichend Platz da war. Die Beiträge etwa zur Stadt- und Technikgeschichte zeigen, dass Alternativen bestanden hätten.

Eine Reihe von Studien und Darstellungen wird im Text nicht behandelt und nicht ausgewertet. Dazu gehört als Positionierung etwa Helmuth Kiesels „Geschichte der literarischen Moderne“ (2007), die im Literaturverzeichnis immerhin genannt wird, ebenso wie Walter Fähnders Darstellung von „Avantgarde und Moderne“ (1998, 2010), die nicht einmal im Anhang genannt wird. Der Sammelband zur „Literarischen Moderne“ (2007), der von Sabina Becker und Helmuth Kiesel herausgegeben wurde, hätte zahllose Hinweise geben können. Beide Verfasserinnen haben im Übrigen zu dem Band beigetragen. Zu den Themen, die aus dem Band hätten abgeleitet werden können, gehören etwa das Verhältnis von Moderne zur Aufklärung, die Ableitung der Moderne aus der Romantik oder ihr Verhältnis zur Anti-Moderne.

Die Anregungen, die Detlev J. Peukerts Darstellung der Weimarer Republik gegeben hat (1998), sind nicht erwähnt. Die Arbeiten Peter Bürgers („Theorie der Avantgarde“, 1974, „Prosa der Moderne“, 1988), wie auch weitere illustre Namen der Forschung fehlen, die seit 1968 für so manche Fehde stehen, die in der Literaturwissenschaft ausgefochten wurde. Die Diskussion um die Periodisierung der Avantgarde fehlt, für die etwa die Studie von Gustav Frank, Rachel Palfreyman, Stefan Scherer („Modern Times?“, 2005) stehen kann, auf die Walter Fähnders und Hubert Van den Berg in der Einleitung des „Metzer Lexikon Avantgarde“ (2009) reagiert haben. Stattdessen findet sich im Literaturverzeichnis die schlicht unbrauchbare Schrift von Klaus Beyme über „Das Zeitalter der Avantgarden“ (2005), wie überhaupt die Zusammenstellung des Literaturverzeichnisses nicht plausibel ist. Dass die gesamte DDR-Forschung zur Literatur zwischen 1900 und 1933 fehlt und unbehandelt bleibt, mag man hinnehmen – wenn man denn Mut zur Lücke hat und begründen kann, warum es darauf nicht ankommt. Es fehlt zudem die Diskussion zum kritischen Verhältnis der germanistischen Literaturwissenschaft zur Moderne, wie sie 2007/2008 zwischen Anke-Marie Lohmeier und Thomas Anz im Internationalen Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur geführt wurde. Eine vergleichbare Diskussion findet sich im Beitrag zu den American Studies.

Diese Lücken mögen darauf zurückgehen, dass der Blick der beiden Verfasserinnen durch ihr eigenes Konzept geprägt ist (worauf auch die häufige Bezugnahme auf eigene Arbeiten deutet), womit sie ihrem Auftrag nicht gerecht geworden wären. Die eigentümliche Darstellung kann aber auch damit zusammenhängen, dass die Literaturwissenschaft ihren Bedeutungsverlust der letzten Jahrzehnte durch die Fokussierung auf die ästhetische Wahrnehmung hat kompensieren wollen, sie also jene Arbeitsbereiche und Ansätze ignoriert, die dem entgegenstehen. Für eine einigermaßen angemessene Darstellung der Geschichte des literaturwissenschaftlichen Bemühens um die Moderne wie des Status quo ist dies aber kaum hinnehmbar.

Allerdings ist dieser Beitrag anscheinend eine Ausnahme: Die Artikel zur Kunst-, Theater und Filmwissenschaft sowie zur Urbanistik, Philosophie oder Soziologie beispielsweise sind gediegen, informativ und nützlich, auch und gerade dann, wenn der Begriff Moderne oder seine Implikationen im jeweiligen Themenbereich zweifelhaft ist.

Die Beiträge zu den Regionalthemen berühren hingegen derart intensiv aktuelle politische Debatten und kulturelle Brüche, dass sie weniger als Bestandsaufnahme, denn als Stellungnahmen gelesen werden können. Insgesamt erscheinen sie aber als diskussionsfreudig und kundig, dabei immer den Leser vor Augen, der sich mit einer bestimmten Fragestellung an diese Beiträge wendet.

Dabei wird erkennbar, dass Moderne als Muster für die politische Diskussion und die Entwicklung angemessener Zivilgesellschaften durchaus nicht an Bedeutung verloren hat. Dass sie dabei zu multiplen Modernen aufgefächert oder zur integrierten Moderne zusammengebunden wird, ist dabei folgerichtig und notwendig, hat doch die soziologische Modernediskussion als eines der Kriterien einer modernen, mithin offenen Gesellschaft entwickelt, dass sie Differenzen, Widersprüche und Kontingenzen aushalten muss. Das bleibt offensichtlich ein Auftrag, für dessen Erfüllung noch einige Zeit vergehen wird.

Titelbild

Friedrich Jaeger / Wolfgang Knöbl / Ute Schneider (Hg.): Handbuch Moderneforschung.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2015.
374 Seiten, 99,95 EUR.
ISBN-13: 9783476024428

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