Ich trinke, also bin ich

Pamela Moores Roman „Cocktails“ erzählt eine tragische Coming-of-Age-Story

Von Katharina RudolphRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Rudolph

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Amerika in den 1950er-Jahren: Ein hübsches junges Mädchen ist immer müde, schläfrig, vor allem am Morgen gleich nach dem Aufstehen. Die Mutter schickt sie zum Arzt. Das Mädchen schläft zehn Stunden pro Nacht, der Arzt kann keine körperlichen Ursachen feststellen. Er verschreibt Eisentabletten, die nicht helfen. Das Problem ist ein anderes: „Warum soll das Kind nicht schlafen, wenn es doch nichts hat, wofür sich das Wachsein lohnt?“

Courtney Farrell, das immermüde Mädchen, ist die Protagonistin des Romans „Cocktails“ von Pamela Moore. Das Buch, das im Klappentext der jüngst erschienenen deutschen Neuauflage als einer der großen vergessenen Romane der amerikanischen Literatur gepriesen wird, erschien in den USA bereits 1956 unter dem Titel „Chocolates for Breakfast“, kurz danach folgten Ausgaben unter anderem in Frankreich, Italien und auch Deutschland, die Coming-of-Age-Story avancierte zum Bestseller. Pamela Moore hatte das Buch im Sommer 1955 geschrieben, sie war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 17, genauso alt wie ihre Protagonistin am Ende der Geschichte.

Zu Romanbeginn ist Courtney 15 und lebt in einem Elite-Internat an der amerikanischen Ostküste. Sie ist klug, verschlossen, rebellisch. Das Zimmer teilt sie mit ihrer einzigen Freundin, der extrovertierten Janet, die sich gerne nackt auf dem Bett räkelt und darauf brennt, endlich ihre Jungfräulichkeit zu verlieren. Janets Vater ist ein aggressiver Alkoholiker, die Mutter psychisch labil. Courtneys Vater ist ein erfolgreicher Verleger, die Mutter eine abgehalfterte Schauspielerin. Beide Eltern geben ihren Kindern nur wenig Zuwendung und wenn, dann finanzielle.

Im Vergleich zu ihrer Freundin Janet, die schon etwas erfahrener ist, hat Courtney anfangs noch nicht einmal einen Jungen geküsst. Sie mag ohnehin eher ältere Männer, weil sie nur ältere Männer kennt, von den Hollywood-Cocktailparties ihrer Mutter, die seit jeher „zu den wenigen Konstanten ihres Daseins“ gehören. „Ihr Leben lang sollte Alkohol Erinnerungen an ihre Kindheit wachrufen“. Ihrer Freundin Janet erzählt Courtney: „Ich trinke Daiquiris, seit ich vierzehn bin“.

Im Internat verbindet Courtney eine besonders enge Beziehung mit ihrer Englischlehrerin Miss Rosen. Von ihr bekommt sie Bücher geliehen, auch solche, die in der Schule eigentlich verboten sind. Courtney fühlt sich wohl und geborgen bei der jungen Frau, in deren Zimmer sie sich abends schleicht, um über das zu sprechen, was sie gelesen hat. Doch weil das Gerücht umgeht, die beiden hätten eine lesbische Beziehung, und weil Courtney tatsächlich ein wenig verliebt ist in ihre Lehrerin, müssen die gemeinsamen Abende abrupt beendet werden. Es ist der Beginn einer Geschichte, die nur noch abwärts läuft. „Was denn, hast du außer dieser Miss Rosen vielleicht sonst nichts, wofür es sich zu leben lohnt?“, fragt Janet die Freundin. „Natürlich, ich habe jede Menge, wofür es sich zu leben lohnt“,antwortet Courtney, „vor allem habe ich mich selbst“.

So schlägt sie sich von nun an alleine durch. Sie zieht nach Los Angeles zu ihrer Mutter, in eine luxuriöse Wohn- und Hotelanlage am Sunset Boulevard, in der sich die illustren Gäste unter Palmen um den lotusförmigen Swimmingpool versammeln und dem Nichtstun hingeben. Die Mutter verspricht: „Wir werden Champagner zum Frühstück trinken, […] es wird ein grandioser Sommer […] werden!“. Eigentlich aber ist Sondra Farrell längst pleite, sie ist einsam und frustriert. „Du versaust mir das Leben, weil ich Verantwortung für dich empfinde“, wirft sie Courtney vor. Während die Mutter mit sich selbst und damit beschäftigt ist, das eigene Versagen zu verschleiern, taumelt Courtney haltlos durch schummrige Bars und Restaurants, durch eine glitzernde Hollywood-Welt auf der Suche nach sich selbst und der erwachenden Weiblichkeit, nach Anerkennung, Zuneingung, Liebe. Immer dabei: Ein Drink, am besten schon zum Frühstück. Das Mädchen, das den Körper eines Kindes längst abgeschüttelt hat, beginnt eine Affäre mit einem selbstsüchtigen schwulen Schauspieler, der ihr zuerst einen fahlen Abglanz von Geborgenheit bietet, sie dann aber schlägt und als Hure beschimpft.

Schließlich, nach einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik, weil Courtney sich mit einer Rasierklinge die Finger aufgeschnitten hat, geht es für sie und ihre Mutter nach New York, wo es finanziell etwas besser läuft. Courtney hat die Haltung der Eltern, die glauben, Geld könne glücklich machen, längst übernommen. Das Mädchen braucht edle Restaurants und dekadente College-Feiern als Ersatz für die Wärme, die ihr niemand gibt und die sie auch längst nicht mehr bereit wäre, zu empfangen. Gemeinsam mit ihrer alten Internatsfreundin Janet, die ebenfalls in New York lebt, zieht sie Nacht für Nacht von einer ausschweifenden Cocktailparty zur nächsten. „Ich liebe Cocktailpartys“, sagt Courtney. „Da muss ich nicht nachdenken, ich brauche nichts zu sagen, was ich ernst meine, und ich weiß genau, nichts, was ich sage, kann jemals gegen mich verwendet werden, weil sich kein Mensch daran erinnern wird.“

Es sind die hässlichen, welken braunen Blätter, die einsam auf der glatten türkisfarbenen Oberfläche eines Swimming-Pools treiben, die sich wie ein roter Faden durch das Buch ziehen. Sie verfolgen Courtney, die doch eigentlich nur ein schönes, ein leichtes, ein „charmantes“ Leben führen möchte, bis zuletzt: Janet stürzt sich, nachdem ihr Vater sie vergewaltigt hat, in den Abgrund der Hochhausschluchten von Manhattan. Courtney lebt weiter – vorerst. Am Schluss stirbt auch sie auf eine gewisse Art und Weise. Nicht im Buch, sondern im realen Leben. Pamela Moore, die Autorin, die in „Cocktails“ viel Autobiografisches verarbeitet hat, erschoss sich 1964 mit nur 26 Jahren.

Die Stärke dieses Romans mag vor 60 Jahren darin gelegen haben, dass er ein Skandal war, dass er Tabus brach, dass er im prüden Amerika von erwachender weiblicher Sexualität, von Promiskuität, von Schwulen und von Lesben, von Vergewaltigung in der Familie erzählte. Heute fasziniert etwas anderes an „Cocktails“: Es ist die zwar nicht fulminante, aber doch gelungene Darstellung der Tragik einer Jugend, die sich selbst im Alkohol ertränkt.

Titelbild

Pamela Moore: Cocktails. Roman.
Mit einem Nachwort von Emma Straub.
Übersetzt aus dem Englischen von Tanja Handels.
Piper Verlag, München 2015.
302 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783492056922

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