„Tonight the streets are ours”

Pop meets Art meets Street: „Banksy – Exit Through The Gift Shop”, eine Dokumentation als Spiel

Von Nathalie MispagelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nathalie Mispagel

Banksy ist ein gefeierter Star, freilich einer, den niemand genau kennt. Dafür kann sein Werk im öffentlichen Raum von London und New York, im Gazastreifen oder in Disney World bestaunt werden, und zwar auf Mauern, Türen, Schildern, direkt auf dem Gehweg und unvermittelt in Freizeitparks. Ganz freiwillig, gar legal ist die Kunst dort nicht hingekommen, sondern wurde schnell und heimlich vor Ort installiert bzw. inszeniert, wie es sich eben für die echte Street-Art-Szene gehört. Ein bisschen Guerilla-Flair muss sein. Tatsächlich haben Street Artists den urbanen Raum für sich erobert, um Kunst dorthin zu bringen, wo sie herkommt und hin soll, jedoch selten zu finden ist: mitten im Leben.

Allein die Intention, Kunst ohne finanzielles Interesse buchstäblich auf die Straße zu bringen, hat eine anarchische Attitüde in unserer kapitalistischen Gesellschaft mit kommerzialisiertem Kunstmarkt. Wenn aus Verkehrsschildern plötzlich Krallen ragen, eine aufgeplatzte Mauer den Blick auf ein Südseeparadies freigibt oder sich an einer Wand zwei Polizisten küssen, dann entspricht das zwar nicht ästhetisch hochintellektuellen Ansprüchen, versprüht dafür aber frische Originalität und arrangiert die Wahrnehmung auf Vertrautes neu – im Übrigen eine wichtige Aufgabe von Kunst. Street Art, auch als Post-Graffiti bezeichnet, bedient sich verschiedener Techniken und Utensilien, etwa Malerei, Sprühdosen, Schablonen, Plakaten, Stickern, präsentiert sich als optische Erweiterung des Raumes und als mal spielerisch-witziger, mal politisch-alternativer, provokanter Kommentar. Man könnte es kaum schöner ausdrücken als mit einem Song von Richard Hawley: „Tonight the streets are ours”

Ebenso wie Land Art bleibt Street Art allerdings dem Moment verhaftet und kann dem nächsten Regen, einer Gebäudereinigung oder einfach dem Städtebau zum Opfer fallen. Entweder man bannt also Street-Art-Motive auf Posterformat in vertretbarer Galeriegröße oder dokumentiert sie durch Photos und Film. Gerade letzteres kann zudem den Akt der Entstehung, ein wichtiges Element der Street Art, festhalten. 

Auf den Spuren der Künstler

An diesem Punkt setzt „Banksy – Exit Through The Gift Shop“ ein, eine Art Dokumentation mit Fakeappeal, Metaebene und selbst wieder ein Stück Kunst, das beworben wurde mit „The world’s first Street Art disaster movie“. Der Inhalt scheint zunächst klar: Thierry Guetta, Exil-Franzose in Los Angeles, hat seine Obsession im Videofilmen und seine Passion im Dokumentieren von Street Art gefunden. Zuerst begleitete er in Frankreich seinen Cousin, den Künstler Space Invader, weitete dann sein Aktionsfeld auf England und Amerika aus, wo er weitere Street Artists wie Shepard Fairey, Ron English oder Borf kennenlernte. Mit Ihnen begibt er sich auf mitternächtliche Streifzüge durch die Metropolen, wird für sie zum Komplizen ihrer meist illegalen Aktionen, zum begeisterten Helfer sowie Location-Scout. Nur den geheimnisumwitterten, auf seine Anonymität bedachten Banksy konnte er bisher nicht kennenlernen.

Unglaublich viel Footage-Material sammelt sich derweil an, das Thierry Guetta jedoch nicht auswertet; vielmehr ist er mit seiner Kamera mittlerweile selbst zum Bestandteil des Entstehungsprozesses von Street Art geworden. Sein heterogenes Videomaterial spiegelt dabei die subversive, bunte Szene auf technische Weise wider: Farbige Bilder wechseln sich mit schwarzweißen ab, grobkörnige mit feinen, amateurhafte Handkameraszenen von Kunstexpeditionen mit Interviewsequenzen, Guettas Kommentare mit einer neutralen Voice-over. Eben jene mag als erstes Indiz gelten, dass Realität hier relativ ist und sich irgendwo bereits ein wenig ironisierende Inszenierung hineingemogelt hat. 

Rollentausch

Spätestens als Guetta endlich doch Banksy trifft, der im Film nur mit verpixeltem Gesicht, verzerrter Stimme oder Kapuze über dem Kopf präsentiert wird, lässt sich die Dokumentation endgültig auf ein schräges Vabanquespiel mit den verschiedenen Ebenen von Wirklichkeit ein. Vorerst allerdings begleitet Thierry den hochverehrten Graffiti-Outlaw zu dessen Einsatzgebieten, etwa im kalifornischen Disneyland, wo Banksy die Figur eines Guantánamo-Häftlings in der Nähe einer Abenteuerbahn platziert. Weil Thierry neben der spektakulären Genese dieser Kunst auch die spontanen Reaktionen des Publikums filmt, lässt er die Street Artists selbst an der Wirkung ihrer Werke teilhaben. Und die ist elementar für eine Kunstform, deren triviale Bildlichkeit und massentaugliche Popularität wie in der Pop Art nun selbst zu Kunst werden soll.

Oder sie wenigstens imitieren soll. Denn nachdem Banksy Guettas völlig verunglückte Filmversion von dessen überbordendem Footage-Material gesehen hat, will er sich selbst an den Schnitt machen und rät Guetta, unterdessen eigene Street Art zu gestalten. Der Künstler wird zum Regisseur bzw. Cutter, der Filmemacher zum Street Artist. Mit ebenso arglosem wie unkoordiniertem Feuereifer stürzt Guetta sich in die Aufgabe. Weil er selbst gen Talentlosigkeit tendiert, beschäftigt er ein Team aus Graphikern, die seine seichten ’copy & paste’-Ideen umsetzen und erobert in kürzester Zeit als Mr. Brainwash die etablierte Kunstwelt. Seine prominenten Street-Art-Kollegen, die ihn gerade noch freundlich unterstützt hatten, sind verwirrt. Während sie mühsam an Ruf und Erfolg arbeiteten, hat Mr. Brainwash mit der Banalisierung ihrer Werke, die ja ebenfalls bereits die Kunst banalisierten, ohne weitere Umschweife den Kunstmarkt spontan erobert. Sie unternahmen verbotene nächtliche Kunstattacken, er ist als beglückt vor sich hin bastelnder Dilettant über Nacht ein Star geworden. Wie peinlich! 

Wirklichkeit und Inszenierung

Aber vielleicht ist das ja gar nicht so blamabel, vielleicht ist das alles nur ein herrlich satirischer Kommentar zum Kunstkommerz und dessen Mechanismen. Überhaupt hält Regisseur Banksy seinen ersten Spielfilm (?) / Dokumentarfilm (??) / Kunstfilm (???) in einer formidablen Schwebe, lässt offen, wo die erfahrbare Realität aufhört und die artifizielle Fiktion beginnt, ignoriert mit smarter Nonchalance die Grenzen des Gewohnten. Von wegen unzuverlässiges Erzählen! Hier versucht sich einer am unzuverlässigen Dokumentieren und trifft trotzdem bzw. gerade deswegen punktgenau den Kern von Street Art. Sie soll unverfälscht, bewusst unmittelbar, aufsässig frech, sorglos rebellisch wirken und erzeugt gleichwohl gesellschaftliche Resonanz, teils gar politische Relevanz, weil sie sich vor geschriebenen wie ungeschriebenen Gesetzen sperrt. Eben solche fröhliche Renitenz vermittelt auch Banksys kühnes cineastisches Werk, indem es sich aus den konventionellen Verbindlichkeiten zur Definition von Realität löst und stattdessen einer eigenen Wirklichkeit bzw. deren Inszenierung den Vorzug gibt.

Darüber hinaus funktioniert der schillernde Film auch als Dokument der Street Art, ihrer unorthodoxen, mutigen Vertreter, ihres oft wunderbar eigenwilligen Œuvres und der ’Bedrohung’ durch den internationalen, sich immer auf der Suche nach Hippem befindlichen Kunsthandel. Sollte Street Art der einzig legitime Nachfolger von Punk sein, hat sie auch mit den gleichen Problemen zu kämpfen, nämlich Auslöschung des einstigen Rebellengeistes durch gesellschaftsfähige Kommerzialisierung. Das Establishment schaufelt bereits am nächsten Grab.

Auch Banksy ist trotz seiner phantomartigen Undercover-Existenz heute ein angesehener Künstler, der seine eigenen Bilder in den Museen dieser Welt nicht mehr klammheimlich zwischen die anderen Meisterwerke schmuggeln muss (was für ein köstlich anarchisches Manöver!), sondern selbst hochpreisig gehandelt wird. Immerhin hat er diesen ausgesprochen unterhaltsamen, humorig-kritischen Film, dieses kluge Spiel um die Frage nach wahrer Kunst gedreht und damit viel coole Selbstironie bewiesen. Street Art’s Not Dead! 

Banksy – Exit Through The Gift Shop“ (U.S.A., Großbritannien 2010)
Regie: Banksy
Laufzeit: 87 Min.
Verleih: Alamode Film
Format: DVD / Blu-ray

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

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