Aus der Zeit gefallen?
Simone Regina Adams Roman „Glück“ verhandelt Fragen der Identität auf psychologisch subtile Art und Weise
Von Anton Philipp Knittel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Antworten auf die Frage „Was ist Glück?“ sind vermutlich so unterschiedlich wie die Situationen, in denen sich Menschen diese Frage stellen. Für die Hauptfiguren in „Glück“, dem neuen Roman der in Freiburg lebenden Schriftstellerin und Psychotherapeutin Simone Regina Adams, ist Glück auf jeden Fall „ein Ausdruck von Identität“. Nicht umsonst steht diese Glücksdefinition des Schriftstellers Dieter Wellershoff als Motto dem schmalen Roman voran.
Denn Identitätssucher sind sie alle in dieser klug und subtil konstruierten Geschichte, die auf verschiedenen Zeit- und Erzählebenen spielt. Die ehemalige Erzieherin Lea, Liebhaberin mittelalterlicher Traktate über den Tod, trifft fünf Jahre nach dem Suizid des gemeinsamen Freundes David ihren Halbbruder Bruno wieder. Wenige Tage, bevor David aus dem Leben schied, waren die drei nach Zürich gefahren. Dort sollte Bruno endlich seinen leiblichen Vater kennenlernen. Eingefädelt hatte das Treffen David, Leas Freund zu Schulzeiten. Diesem war sie kurz zuvor beim zehnjährigen Abi-Treffen wieder begegnet. Und noch immer versucht Lea, ihren „Erinnerungen standzuhalten“, „den Anfang zu finden, um zu begreifen, wie es so weit kommen konnte.“
Hatte es damit zu tun, dass sie Bruno verschwiegen hatte, dass er sein Leben einer Affäre der Mutter verdankte? Wäre Davids Suizid zu verhindern gewesen, wenn sie nicht zur Abi-Wiedersehensfeier gefahren wäre? Oder wenn sie nicht mit nach Zürich gefahren wäre? Antworten auf diese selbstquälerischen Fragen erhält die Protagonistin nicht. „Vielleicht hat Bruno recht, und ich bin einfach aus der Zeit gefallen“, sinniert sie.
In Rückblicken auf die kindlichen Gewalterfahrungen durch die Väter – bei Bruno vor allem körperlich, bei David psychisch – in den verschiedenen Lebensphasen sowie auf die psychischen Verletzungen Davids und Leas entfaltet Adams einen psychologisch stimmigen Text, der in den Bann zu ziehen vermag. Am Ende bleibt die Hoffnungskonstellation des Familienvaters Bruno mit seinem fünfjährigen Sohn Leon. Fragile Identitäten, die sich in Abgrenzung mit dem anderen bilden, zeichnen sich ab, auch für Lea, die ehemalige Erzieherin, deren psychische Verkrustung im Umgang mit ihrem Neffen Leon aufzubrechen beginnt.