Neue Erkenntnisse über eine Männerfreundschaft Albrecht Dürers

Das Pirckheimer Jahrbuch 28 (2014) erkundet das Umfeld des Nürnberger gelehrten Patriziers auf der Grundlage seines in sieben Bänden neu edierten Briefwechsels

Von Herbert JaumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Herbert Jaumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das im Jahre 2014 bei Band 28 angelangte Jahrbuch der Willibald Pirckheimer-Gesellschaft macht dieses Mal seinem Namen Ehre und beschäftigt sich wieder einmal mit Pirckheimer selbst, dem großen Humanisten der führenden deutschen Renaissance-Stadt Nürnberg im 16. Jahrhundert. Es enthält, mit einiger Verzögerung, Vorträge eines Symposions über Pirckheimer und sein zeitgenössisches Umfeld, das im Juli 2010 im Welserschloss Neunhof (in Lauf bei Nürnberg) veranstaltet wurde. Anlass für das Symposion und die Beiträge war 2009 das Erscheinen des siebten und letzten Bandes und damit der erfolgreiche Abschluss der großen Edition des kommentierten Pirckheimer-Briefwechsels (im Beck-Verlag, München), die noch Anfang des letzten Jahrhunderts von Emil Reicke begonnen und im 21. Jahrhundert von der 2011 verstorbenen Helga Scheible fertiggestellt wurde. So ist es naheliegend, dass sich eigentlich alle Beiträge in diesem Jahrbuch über Pirckheimer in seinem zeitgenössischen Umfeld mit Briefen und Briefwechseln beschäftigen. Der Brief im Humanismus war ja bekanntlich ein grundlegendes Medium für den Austausch in der humanistischen Gemeinschaftskultur und selten lediglich privater Natur, da Briefe häufig geschrieben und versandt wurden, um sie in Freundes- und Fachkreisen  zirkulieren und wirken zu lassen, ohne dass dabei immer an einen sofortigen oder späteren Druck gedacht war.

Auch eine der Rezensionen, die das Jahrbuch wie gewöhnlich enthält, hat einen neu edierten Briefwechsel zum Gegenstand: Über Band IV des Reuchlin-Briefwechsels (erschienen 2012 bei Frommann-Holzboog in Stuttgart) berichtet Antonia Landois (Würzburg). In der zweiten Rezension (von Robert Seidel) wird der 2014 in demselben Verlag erschienene Kommentarband zu Band III der Werke von Nicodemus Frischlin besprochen, der die beiden bekannten neulateinischen Dramen des Späthumanisten enthält. Die Edition von Reuchlins Epistolar konnte mit Band IV ebenfalls abgeschlossen werden. Sie wurde von Matthias dall’Asta, einem der Editoren des sehr viel umfangreicheren und noch lange nicht fertiggestellten Melanchthon-Briefwechsels, mit Gerald Dörner zusammen bearbeitet. Dörner ist auch der Autor eines der drei Hauptbeiträge zum vorliegenden Jahrbuch.

Als der beste Kenner dieses Briefwechsels gibt Dörner einen sehr instruktiven Umriss beider Biographien sowie der Freundschaftsbeziehungen des älteren Johannes Reuchlin (geboren 1455) zu Willibald Pirckheimer (geboren 1470). Grundlage sind die gut 18 erhaltenen Briefe im Reuchlin-Epistolar. Während der Pirckheimer-Briefwechsel sehr viel umfangreichere Korrespondenzen enthält wie die mit dem Augsburger Adelmann von Adelmannsfelden, dem Bamberger Kanoniker Lorenz Behaim oder vor allem mit dem Erzieher seiner Neffen und führenden Reformationskritiker Johannes Cochläus, gehört die Korrespondenz mit Pirckheimer unter den Reuchlinbriefen zu den umfangreichsten. Da die meisten der Briefe aus den Jahren 1518-1520 stammen, sind die Bezugnahmen auf Reuchlins ‚Exil’ an der bayerischen Universität Ingolstadt und die letzten Jahre des „Judenbücherstreits“ besonders häufig und aufschlussreich auch für die Position des Nürnberger Freundes, der neben Ulrich von Hutten zu den namhaftesten Unterstützern Reuchlins gehörte.

Über einen anderen Sektor von Pirckheimers Umfeld und ein anderes Thema berichtet aufgrund seines Briefwechsels Eva Schlottheuber in ihrer Skizze über „Willibald und die Klosterfrauen von Sankt Klara – eine wechselhafte Beziehung“. Ein religiös-kirchlich gebundenes Leben als Alternative zur Ehe war für die weiblichen Mitglieder der Familie und damit auch für den durchaus weltlich lebenden Willibald schon deshalb ein dauerhaft aktuelles Thema, weil allein sechs seiner Schwestern (von zwölf Geschwistern) und drei Töchter in Nonnenklöster eintraten. Mit mehreren von ihnen wechselt der Bruder und Vater im Laufe der Jahre viele Briefe, im Zentrum steht aber auch hier die Beziehung zur älteren Schwester Caritas mit dem Geburtsnamen Barbara (1467-1532), selbst gelehrte Humanistin, die von Konrad Celtis als „virgo docta Germana“, eine Art Äquivalent des „poeta doctus“, geadelt wurde, und seit 1503 Äbtissin des Nürnberger Klarissen-Konvents. In dieser Rolle steht sie jahrelang im Brennpunkt der Auseinandersetzungen um ihren Konvent, der wie die übrigen Klöster der Stadt aufgelöst werden soll und sich nach Kräften dagegen wehrt, nachdem 1525 die Reformation per Ratsbeschluss eingeführt worden ist. Die Einstellung des Bruders Willibald zur Lutherischen Reformation ist auf eine komplizierte Weise positiv, gelegentlich auch eher ambivalent. Er ist zwar fromm, führt aber ein höchst profanes Leben als gelehrter Patrizier und mächtiger Ratsherr und sucht der Schwester wie auch den anderen Nonnen aus der Familie mit großem Einfühlungsvermögen und auf ebenso diplomatische wie intelligente Weise zu helfen. Sehr aufschlussreich ist hier die Einschaltung auch anderer Freunde und Autoritäten wie Christoph Scheurl und sogar Philipp Melanchthon und 1530 Willibalds „Apologie für die Nonnen von Sankt Klara“, ein meisterhafter lateinischer Traktat zur Verteidigung der Nonnen vor dem Rat der Stadt Nürnberg. Vieles ist schon häufiger dargestellt worden, beispielsweise von Anne Bezzel, Helga Scheible oder Gudrun Honke, der Reiz liegt auch hier in der aspektreichen Auswertung vor allem (aber nicht nur) der Korrespondenzen.

Den ergiebigsten Beitrag, der auch mit neuen Ergebnissen aufwarten kann, liefert der Göttinger Kunsthistoriker Thomas Noll über Facetten der Freundschaft Pirckheimers mit Albrecht Dürer.

Diese ungewöhnliche, die Standesgrenzen überschreitende, sehr enge Freundschaft ist bisher nicht sehr gründlich erforscht. Aber allein durch die eingehende Lektüre jedes einzelnen der insgesamt zehn zum Teil ausgesprochen privaten Briefe, die Dürer auf seiner zweiten Italienreise während seines Aufenthalts in Venedig zwischen Januar und Oktober 1506 an den Nürnberger Freund schreibt (Gegenbriefe Pirckheimers an Dürer sind verloren), gelingt es Noll, zentrale Aspekte des Verhältnisses beider deutlich werden zu lassen, deutlicher als man das in den bisherigen Briefkommentaren finden kann.[1] Vor allem gehören dazu in den Briefen aus Venedig immer wieder ermunternde Nachfragen nach den diversen „Buhlschaften“ des Freundes in Nürnberg, dessen Ehefrau Crescentia im Jahre 1504 gestorben war, sowie drastische Anspielungen, die gemeinsame homosexuelle Interessen vermuten lassen. Während auch die neueren Untersuchungen[2] an diesen Stellen über vordergründige Verharmlosungen in verschämter Diktion nicht hinauskommen („rhetorische Schmähtopik“, „derber Witz“), bemüht sich Noll auch in seinen eigenen sprachlichen Mitteln nicht ohne Erfolg um größere Differenzierung und Präzision der Beschreibung und Interpretation. Erweitert und vertieft werden die Befunde insbesondere dadurch, dass er neben einem aufschlussreichen Schreiben des Bambergers Lorenz Behaim an Pirckheimer vom Mai 1507 in Teil III und IV seines Textes auch die drei bekannten Pirckheimer-Porträts erneut untersucht und seine Beobachtungen auf die Befunde aus den Briefen zurückbezieht. Im Zentrum steht hier Dürers auch auf dem Cover des Jahrbuchs abgebildetes, „ungewöhnlich inoffizielles“ (Satzinger) Silberstift-Porträt (undatiert, etwa von 1503). Das im Profil von rechts gezeichnete fleischige Gesicht unter einer Haube zeigt die denkbar ‚unideale’ Darstellung des grinsenden Freundes, mit halb geöffnetem Mund, und die offenbar nachweislich mit dem gleichen Silberstift wie das Porträt wohl von Pirckheimer darüber gesetzte Beischrift macht die Skizze zu einem ebenso reizvollen wie skatologischen Rätsel: Sie enthält, auf Griechisch, eine direkte Aufforderung zum homosexuellen Analverkehr („ársenos tê fōlê es tòn prōktón“). Es handelt sich nicht um ein Zitat aus Aristophanes, wie man gemeint hat; und worauf oder gar auf wen die Zeile sich bezieht, bleibt bis auf weiteres ungewiss.

[1] Das ist vor allem die Edition Dürer. Schriftlicher Nachlaß, Band 1. Hrsg. von Hans Rupprich. Berlin: Deutscher Verein für Kunstwissenschaft 1956, S. 39-60, die betreffenden Briefe Dürers in der Ausgabe des Pirckheimer-Briefwechsels, Band 1, hrsg. von Emil Reicke. München: Beck 1940, sowie die Auszüge aus dem Briefwechsel in: Albrecht Dürer. Schriften und Briefe. Hrsg. von Ernst Ullmann, Textbearbeitung von Elvira Pradel. 6., veränderte Auflage Leipzig: Reclam 1993 (zuerst 1978), S. 68-85 und 274-280; auch die mehrfach überarbeiteten Kommentare in dem Reclam-Band gehen über die Angaben in den älteren Editionen kaum hinaus.

[2] Neben älteren Bemerkungen Rupprichs und Panofskys sind das aktuell vor allem Georg Satzinger: Dürers Bildnisse von Willibald Pirckheimer. In: Autorbilder. Zur Medialität literarischer Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. von Gerald Kapfhammer u. a. Münster: Rhema-Verlag 2007 (Tholos. Kunsthistorische Studien, 2), S. 229-243, und Corine Schleif: Albrecht Dürer between Agnes Frey and Willibald Pirckheimer. In: The Essential Dürer. Ed. by Larry Silver and Jeffrey Chipps Smith. Philadelphia: University of Pennsylvania Press 2010, S. 185-205 und 267-271.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

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Franz Fuchs (Hg.): Pirckheimer Jahrbuch 28 (2014). Willibald Pirckheimer und sein Umfeld. Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance und Humanismusforschung.
Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2015.
130 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-13: 9783447103268

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