Gekommen, um die anderen Helden abzumelden
Sebastian Koch eröffnet neue Perspektiven auf die „Kudrun“ und den „Tristan“
Von Miriam Strieder
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie „Kudrun“, oft beschrieben als Antwort auf das „Nibelungenlied“, und den „Tristan“ zusammen zu betrachten und am Ende auf eine auf beide Werke anwendbare Synthese zu kommen, könnte man als gewagt bezeichnen. Sebastian Koch unternimmt genau diesen Versuch in seinem Band „Der Kampf des Helden gegen den egeslîchen trachen: Zur narrativen Funktion des Topos vom Drachenkampf in vergleichender Perspektive“ und er glückt ihm in sehr überzeugender Weise.
Der Eindruck der ersten Kapitel ist, dass Koch eine Vielzahl von Großbaustellen innerhalb der Forschung eröffnet (Held, Mythos, Aktantenmodell). Er lässt sich allerdings im Folgenden nicht auf Stellungskriege um Definitionen und Beschreibungen ein, sondern arbeitet souverän mit den Begrifflichkeiten, indem er einen Minimalkonsens zu Grunde legt, der für seine Betrachtungen ausreichend ist. So verstrickt er sich nicht in Diskussionen über das Wesen des Helden, sondern unterteilt die Helden in die der Heldenepik, der Hagiografie und des höfischen Romans und arbeitet von dort aus mit dem Heldenbegriff. Er wendet den Mythenbegriff Blumenbergs an und legt ihn souverän an die „Kudrun“ an, um seiner Argumentationslinie folgen zu können. Wie ein roter Faden zieht sich dabei die Anwendung des Aktantenmodells durch seine Betrachtungen, auf die er seine Überlegungen immer wieder zurückführt, und so kann Koch eine in sich schlüssige Argumentation vorlegen, die immer wieder in einem Zwischenfazit oder einer Standortbestimmung übersichtlich aufbereitet wird.
Auch den Drachen beleuchtet er schlaglichtartig mit Isidor von Sevilla, Hildegard von Bingen und Konrad von Megenberg, um einen Eindruck der mittelalterlichen Auffassung des Drachen geben zu können, ohne auch hier einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen oder zu können. Für Kochs Überlegungen sind allerdings diese drei Schlaglichter der mittelalterlichen naturkundlichen Gelehrsamkeit ausreichend und Rückbezüge zu ihnen im Verlauf der Argumentation zeigen, dass diese Betrachtung keine Auflistung pro forma ist, sondern einen argumentativen Nutzen aufweist.
Insgesamt erweist sich Kochs Argumentation von großer Überzeugungskraft, auch wenn für ihn der Drache mehr Mittel zum Zweck als eigentlicher Untersuchungsgegenstand ist: Er zeigt anhand des topischen Drachenkampfs auf, wie sowohl Hagen als auch Tristan einen neuen Heldentypus bilden, der sich unter anderem im Kampf mit dem Ungeheuer manifestiert und dort eine (erste) Initiation stattfindet. Für Hagen aus der „Kudrun“ kann Koch deutlich machen, wie das heroische Heldentum des ‚alten Mythos‘ im ‚neuen Mythos‘ der höfischen ordo domestiziert wird während im „Tristan“ der Titelheld als neuer Heldentypus des Minnehelden durch seinen Namen, seine Unintegrierbarkeit am Marke-Hof und seine schwächliche Performance im Drachenkampf präfiguriert wird, bevor der Minnetrank einen endgültigen Bruch mit allen bis dahin aufgerufenen Figurencharakterisierungen darstellt.
So überzeugend Kochs These auch ist, stellt sich doch seine Herangehensweise als teilweise problematisch dar: Sowohl Titel als auch ein mehr als zwanzig Seiten umfassendes Kapitel zum Drachen lassen den Leser erwarten, dass der Drache demnach auch das eigentliche Ziel der Untersuchung ist. Entgegen dieser Erwartung wird aber der eigentliche Drachen- beziehungsweise Greifenkampf recht kurz abgehandelt und die entsprechenden Begleitumstände machen mindestens die Hälfte von Kochs Argument aus. Weniger geglückt ist auch die Gleichsetzung des Greifen mit dem Drachen – sicherlich werden beide Gegner des Helden als monströs und furchterregend beschrieben und Koch geht auch auf Parallelen der beiden Fabeltiere ein, eine differenzierte Betrachtung fehlt hier allerdings. So vernachlässigt Koch die durchaus positiven Eigenschaften des Greifen (Wachsamkeit, Isidors Auslegung des Greifen als Sinnbild für Christus etc.), um ihn vollständig mit dem Drachen parallelisieren zu können, den Koch als Helfer des Teufels liest. Gerade das würde in der „Kudrun“, wo Koch Gott als eine schützende Macht für den jungen Hagen ausmacht, aber eine weitere Deutungsperspektive hinzufügen.
Dies sowie kleinere sprachliche Mängel können den überaus positiven Eindruck der Arbeit aber nicht weiter schmälern. Interessant wäre ein weiterer Vergleich mit dem „Nibelungenlied“, um die von Koch immer wieder angeschnittenen Unterschiede zwischen den beiden Texten, ihren Helden und ihrem Ausgang weiter auszudifferenzieren. Hier müsste dann ein quasi nicht stattfindender und ausgeblendeter Drachenkampf in den Fokus rücken.
Zusammenfassend ist Kochs Betrachtung der „Kudrun“ und des „Tristan“ eine bereichernde Untersuchung, die ihren Fokus vielleicht weg vom Drachen hin zum Helden legen sollte – besonders im Titel, da er ansonsten irreführende Erwartungen im Leser aufbaut.
Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg
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