Über Helden, Händler und Abenteurer

Raimund Schulz legt mit seinem Buch eine Globalgeschichte der Entdeckungen von der Bronzezeit bis in die Spätantike vor

Von Simone HackeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Hacke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eines der bekanntesten Reiseabenteuer der Antike handelt von dem griechischen Helden Odysseus, der nach dem trojanischen Krieg eine zehnjährige Irrfahrt durchleiden muss, bevor er in seine Heimat zurückkehren kann. Auf dieser Irrfahrt verschlägt es ihn in unbekannte Gewässer und auf rätselhafte Inseln, er muss sich gegen den einäugigen Riesen Polyphem behaupten und gegen Sirenen und Seeungeheuer kämpfen. Dies ist nur eine von vielen Geschichten über wundersame Reisen zu mystischen Inseln und die Bezwingung des Meeres als Urquelle des Bösen, wie sie sich in der Antike größter Beliebtheit erfreuten. Nicht nur Dichter wie Homer widmeten sich diesem Stoff ausführlich, auch ‚seriöse Gelehrte‘ wie Aristoteles oder Herodot zeichneten Berichte von Wundern neu entdeckter Regionen und Kulturen auf. Beide Textgattungen – Epen gleichermaßen wie Werke wissenschaftlicher Autoren – sind für den Althistoriker Raimund Schulz wichtige Quellen bei der Beantwortung der Frage, wie weit die Menschen schon in der Antike in fremde Welten vorgedrungen sind, was sie antrieb und welche Konsequenzen neue Entdeckungen für das bestehende System hatten. Vollständige Reiseberichte sind aus der Antike nicht erhalten, allerdings wurde dieses Wissen auf mythische und epische Weise in anderen Texten codiert. Diesen Code zu entschlüsseln, stellt sich Schulz in seinem neuen Buch Abenteurer der Ferne. Die großen Entdeckungsfahrten und das Weltwissen der Antike zur Aufgabe.

Seine Spurensuche beginnt der Autor jedoch bereits über 2.000 Jahre vor der Verschriftlichung der homerischen Epen (700–650 v. Chr.), in der Bronzezeit. In dieser Zeit war alles Leben auf die wenigen Palastzentren fokussiert. Das überseeische Verteilungsnetz erstreckte sich zwar über den Mittelmeerraum hinaus, allerdings handelte es sich noch nicht um einen regen Warenaustausch, sondern vielmehr um sich langsam vorantastende Erkundungsversuche der mächtigsten Stadtstaaten. Getauscht wurden nicht nur Güter, sondern auch Menschen – in Form von Sklaven, Söldnern oder Handwerkern. Für kleinere Händler- und Seefahrervölker wie etwa die Phöniker entwickelte sich schließlich die Chance, durch spezielle Fähigkeiten in der Seefahrt für die Nachbarn zu einem attraktiven Verbündeten und Handelspartner zu werden. Die spätere Macht und der Reichtum der Phöniker beruhten zum Großteil auf diesem Wissen über die Bedürfnisse anderer Länder. Sie waren es auch, denen Herodot als erste die Umrundung Afrikas zuschrieb. Belegt werden kann eine derartige Fahrt auch durch archäologische Funde bis heute nicht. Schulz stellt allerdings heraus, dass die Phöniker für ein solches Unternehmen technisch, nautisch und logistisch durchaus in der Lage gewesen wären. Der antike griechische Geschichtsschreiber Herodot ist eine der Hauptquellen, die Schulz für sein Buch verwendet. Dies ist vor allem deshalb sinnvoll, weil Herodots Weltbild für Generationen Maßstäbe setzte und sich bis ins Mittelalter kaum veränderte.

Neben den epischen Helden wie Odysseus oder Herakles betrachtet Schulz in ausführlichen Studien auch die großen Feldherren der Antike wie Alexander den Großen oder Julius Caesar und ihre jeweilige Suche nach den Enden der Welt. Während Alexander bis nach Indien vordrang und über den Indus sogar bis an den Rand der bewohnten Oikumene fuhr, gelang es Caesar, das römische Imperium bis an die westlichsten und nördlichsten Grenzen auszubauen. Anschaulich und an konkreten Beispielen stellt der Autor das Bestreben der antiken Herrscher, die gesamte bewohnte Welt zu entdecken und zu beherrschen, dar. Die Motivationen für Entdeckungsfahrten in der Antike waren somit klar definiert. Es dominierte die machtpolitische Motivation mit dem Streben nach Ruhm und Legitimation für den Herrscher. Erst im Anschluss folgten merkantilistische Antriebsfaktoren; rein wissenschaftliche Erkundungen oder missionarische Bestrebungen hingegen spielten zu dieser Zeit kaum eine Rolle.

Besonders hervorzuheben ist auch das abschließende Kapitel, in dem Schulz den Bogen zwischen den Entdeckungen der antiken Welt und der Rezeption im Mittelalter sowie der frühen Neuzeit zieht. Das geografische Weltbild der Antike veränderte sich bis zu den frühneuzeitlichen Erkundungsfahrten kaum, es wurde lediglich in den christlichen Kontext eingebunden. Auch an der Existenz der Monster und Mirabilien, von denen Herodot und Plinius in ihren Schriften berichten, zweifelte lange Zeit niemand. So hatten auch die Bestrebungen des italienischen Seefahrers Christoph Kolumbus, den Atlantik zu überqueren und einen direkten Weg nach Indien zu finden, nichts Revolutionäres an sich, wie Schulz betont. Vielmehr folgte der Genuese einem langfristigen Trend, der sich bereits zu Zeiten Alexanders des Großen abzuzeichnen begann. Leider findet das letzte Kapitel, das die antiken Entdeckungen und das Weltwissen so gekonnt mit den kommenden Epochen verknüpft, keinen Eingang in die Zeittafel am Ende des Buches. Diese bricht im Jahr 160 n. Chr. mit der Ankunft griechischer Gesandter Mark Aurels im Han-Reich ab. Eine Einbindung auch des letzten Kapitels in die Zeittafel hätte den Rundgang durch die Geschichte der Entdeckungen abgerundet. Außerdem hätten die farbigen Abbildungen im Mittelteil besser in den Kontext des Buches eingebunden werden können. Es wird nicht deutlich, welches Bild sich auf welches Kapitel bezieht.

Positiv hervorzuheben sind vor allem die vielen zwar schwarz-weißen, aber sehr übersichtlichen Karten in den Kapiteln, die eine gute Orientierung im behandelten Raum ermöglichen. Auch Seitenverweise innerhalb des Textes auf vorangegangene sowie kommende Themen und das ausführliche Personen- und Ortsverzeichnis im Anhang geben dem Leser die Chance, das Buch bei Interesse quer und nicht chronologisch zu lesen. Selbst Abschnitte, die Themen auf Grundlage von detailliertem Seefahrer-Wissen – Raimund Schulz’ Paradedisziplin – behandeln, werden vom Autor klar und informativ erläutert, was das Buch nicht allein für ein Fachpublikum interessant macht.

Insgesamt liefert Schulz nicht nur ein Buch über Abenteurer und Entdecker, sondern eine antike Globalgeschichte, in der alle Bereiche von Politik über Wirtschaft, Geografie, Philosophie sowie antikem Weltwissen abgedeckt werden. Sein Versuch, eine integrierte Entdeckungsgeschichte für die Antike zu verfassen, gelingt in vollem Maße.

Titelbild

Raimund Schulz: Abenteurer der Ferne. Die großen Entdeckungsfahrten und das Weltwissen der Antike.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2016.
654 Seiten, 34,95 EUR.
ISBN-13: 9783608948462

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