Weimar – einmal (fast) ohne Goethe

Ein Journal über Weimar als Ort der Reformation

Von Sabine GruberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Gruber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Weimar – das ist doch die Stadt Goethes, Schillers, Herders und Wielands, so meint man zu wissen, vielleicht auch noch die Stadt des Bauhauses und – leider auch das – die Stadt des Konzentrationslagers Buchenwald, aber auch eine Stadt der Reformation? Mit dieser kirchlichen Bewegung würde man Weimar eher nicht in Verbindung bringen. Ein 2015 erschienenes Journal, das Steffen Raßloff und Mark Schmidt im Rahmen der Reihe Orte der Reformation bei der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig herausgegeben haben, will diesem Eindruck entgegenwirken. Hier spielt der „große Heide“ Goethe ausnahmsweise nur eine Nebenrolle. Stattdessen stehen Personen der Glaubens- und Kirchengeschichte im Vordergrund.

Zehn Beiträge verschiedener Autoren und Autorinnen (alle ausgewiesene Expert/innen für ihre Themen) gehen der Frage nach den Orten der Reformation in Weimar und ihren kurzfristigen und langfristigen Wirkungen in der Stadt nach. Es geht um die Stadtkirche St. Peter und Paul, das Weimarer Stadtschloss und die Landesfürsten, die hier residierten, Luthers Schrift Von weltlicher Obrigkeit und mehr. Dabei kommt auch manch weniger bekanntes Detail der Stadtgeschichte ans Licht. So erwähnen die Weimar-Reiseführer allenfalls am Rande das wichtige karitative Wirken Johann Daniel Falks, des Gründers des Weimarer Waisenhauses, dem der Beitrag Freunde in der Not von Christian Hain gewidmet ist. Die mit einem Stadtrundgang verknüpfte Einführung Nun sag, wie hast Du’s mit der Religion? von Jayne Obst und Mark Schmidt erwähnt nicht nur Gebäude mit direktem Bezug zur Reformation, sondern bezieht auch einige andere Sehenswürdigkeiten ein. Der Beitrag macht nebenbei deutlich, wie viel von der Bausubstanz aus der Zeit Luthers im Laufe der folgenden Jahrhunderte verschwunden ist. Als Luther Weimar besuchte, sah er noch ein ganz anderes Stadtbild. Und doch – einiges ist immer noch vorhanden: das Äußere der Stadtkirche St. Peter und Paul entspricht im Wesentlichen dem Eindruck, den Besucher im 16. Jahrhundert von ihr hatten, der Hauptbau des Franziskanerklosters aus dem 15. Jahrhundert ist noch erhalten, die Keimzelle des Stadtschlosses entstand im Mittelalter und das Cranachhaus wurde wie das ihm benachbarte Gebäude kurz nach dem Tod Luthers errichtet.

In der Stadtkirche St. Peter und Paul, mit der sich der Beitrag Reformationsort und Klassikerstätte von Heinrich Herbst beschäftigt, verbinden sich Reformationsgeschichte und Erinnerung an die Weimarer Klassik. Das macht schon ihr zweiter Name „Herderkirche“ deutlich, den sie im Volksmund trägt, weil Herder hier seit 1776 als Prediger und Bischof für das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach wirkte. Sie war auch ein wichtiger Ort der Reformation, nicht zuletzt durch das mehrmalige Auftreten Luthers als Prediger in dieser Kirche. Auch dunkle Kapitel der Kirche spart der Beitrag nicht aus: so wurden 1938 hebräische Buchstaben von der Kanzel entfernt und in der Herderkirche zu den Novemberpogromen im gleichen Jahr geschwiegen. Ein Glanzstück der Kirche ist der Cranach-Altar von 1555, letztlich eine ins Bild gefasste lutherische Predigt.

Wie wichtig der Einfluss der Weimarer Herzöge als weltlicher Obrigkeit für die Verbreitung der Reformation in den ernestinischen Gebieten war, wird in mehreren Beiträgen deutlich. Im Gegensatz zu seinem Bruder Friedrich dem Weisen, der weiterhin dem alten Glauben anhing, setzte sich der in Weimar residierende Johann Friedrich von Sachsen für die Reformation ein. Im August 1525 sagte er sich offiziell von der Papstkirche los (Kai Fischer Auf den Spuren von „Herzog Hans“). Martin Luther bestärkte die Ernestiner in seinen Weimarer Predigten zwischen 1518 und 1540 in ihrer „Reformation von oben“ (Steffen Raßloff Kulturstadt zwischen Reformation, Klassik und Moderne) und Luther entwickelte in seiner Predigt in Weimar vom 24. Oktober 1522 seine Idee vom geistlichen und weltlichen Regiment (Christopher Spehr „Von Weltlicher Obrigkeit“).

Sehr lobenswert ist, dass das Heft schön und qualitativ hochwertig bebildert ist. So strahlt das Exlibris aus der ersten Gesamtausgabe von Luthers Bibelübersetzung von 1534, einem besonderen Schatz der Anna Amalia Bibliothek, wie im Original in seinen kräftigen, über die Jahrhunderte hinweg erstaunlich gut erhaltenen Farben (Michael Knoche und Jeanine Tuschling Hort der Reformation). Etwas problematisch sind in dem Heft eingestreute Bemerkungen eher werbenden Inhalts. Jedenfalls verwundert es ein wenig, dass in einem sonst interessanten Beitrag en passant auf ein Café, das im Wohnhaus Herders „selbstgebackene Kuchen und mittags eine kleine Karte“ anbietet, hingewiesen wird. Auch der kurze Beitrag von Uta Kühne über Weimars genüssliche Seite, bietet außer einem Info-Kasten über den historischen Weimarer Zwiebelmarkt vor allem allgemeine Bemerkungen zu Einkehr-Möglichkeiten wie die, dass Weimars Gastronomen „regelmäßig in den einschlägigen Gourmet-Zeitschriften lobend erwähnt“ werden. Hier wäre es interessanter gewesen zu erfahren, wie man in Weimar wohl zu Luthers Zeiten gespeist hat oder welche historischen Gasthäuser es damals gab (oder sogar noch heute gibt?).

Insgesamt ist das Journal inhaltlich vielfältig und optisch ansprechend gestaltet und macht neugierig auf das Weimar jenseits von Klassik und Goetheverehrung. Es lädt seine Leserinnen und Leser dazu ein, hinter dem gegenwärtig eher vom Klassizismus geprägten Stadtbild Zeugnisse früherer Epochen zu entdecken.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Mark Schmidt / Steffen Raßloff (Hg.): Orte der Reformation. Weimar.
Band 26.
Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2015.
53 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783374041176

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