Abgetaucht und abgehoben

François Garde begibt sich auf die Spur der Wale über und unter der Wasseroberfläche

Von Miriam StriederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Miriam Strieder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die sympathischen Meeressäuger haben – bis vielleicht auf die als Killerwale verschrienen Orcas – eine ausgezeichnete Lobby. François Garde muss also nicht mehr die Werbetrommel für die Meeresriesen rühren, wenn er sich mit Das Lachen der Wale. Eine ozeanische Reise auf die Suche macht nach den Spuren, die Wale in unserem Leben auf festem Grund hinterlassen haben.

Wale, die viele Tonnen schweren Tiere, sind kaum zu übersehen, so könnte man meinen. Trotzdem sind sie, wie auch Garde feststellt, in unserem Leben merkwürdig unsichtbar und erst bei genauerem Hinsehen fallen Straßenbezeichnungen, Ortsnamen oder Geschäfte, die das Wort ‚Wal‘ im Namen tragen, auf. In die Geschichte muss man gehen, wenn man Produkte finden will, die aus Walen hergestellt wurden. Walfangnationen sind heute ein No-Go und werden sowohl von der Weltöffentlichkeit als auch Umweltschutzorganisationen mit mehr als einem missbilligendem Stirnrunzeln betrachtet.

Ein Lobbybuch ist Gardes Lachen der Wale also auf gar keinen Fall; im Gegenteil schaut er halb amüsiert, halb verständnislos auf unsere große Sympathie für die tonnenschweren, stromlinienförmigen Unterwasserriesen, die als Maskottchen bei Demonstrationen, auf Duschvorhängen und als Kuscheltiere auftauchen. Wir teilen, so findet Garde, eine geheimnisvolle Gemeinsamkeit mit diesen Säugetieren. Um diese zu erkunden, reist der Autor um den Erdball, von Réunion bis zu den Kerguelen, von der Biskaya bis nach Kanada, schreibt fiktive Briefe an Hermann Melville, wirft fragende Blicke in den Himmel zum Sternbild Walfisch und in die Bibel auf die Geschichte Jonas. Er vermisst den Wal (in zweifacher Hinsicht), zerlegt und seziert ihn, sprengt ihn in die Luft und setzt ihn gekonnt wieder zusammen. Er lauscht seinen Gesängen, versetzt sich in ihn hinein und bleibt doch allein über Wasser zurück, wenn der Wal mit dem eleganten Abschiedsgruß seiner Fluke wieder abtaucht.

All seine Beobachtungen verpackt Garde in eine leichte, poetische Sprache, die die Gefühlsklaviatur mühelos bedient: Lachend, nachdenklich, klüger und verloren lässt er seinen Leser nach der Lektüre zurück, der viel gelernt hat über flackernde Sterne, Bibelexegese, Denkmalschutz unter subantarktischen Klimabedingungen, Evolution und vieles andere. Leichtfüßig und unterhaltsam bewegt sich Garde von einem Wa(h)lthema zum anderen. Über alles kann er staunen, für alles kann er sich interessieren, hat es nur mit dem großen Meeressäuger zu tun, den er trotz verlockender Seitenstraßen doch immer wieder in seinem Netz aus Worten einfängt.

Der Leser muss sich jedoch damit abfinden, dass Garde alles aus einer überwiegend französischen Perspektive betrachtet: Die von ihm besuchten Orte gehören zu Frankreich oder sind wenigstens französischsprachig, Museen und Klöster sind in Frankreich und auch die Weltumseglerin ist eine Französin. Durch diesen verengten Fokus geht viel verloren, der Walfang in der Arktis, die Fangberechtigung der Inuit, die die einzigen zu sein scheinen, denen man ihre Jagd auf Wale nicht nachträgt, Whale-Watching-Tourismus überall auf der Welt. Die Geschichte der Essex wird nur gestreift, Melville zwar ein langer Brief gewidmet, aber Frank Schätzings Dystopie Der Schwarm, in der Mutter Natur unter anderem mithilfe der Wale zurückschlägt, nicht erwähnt. Gleichzeitig eröffnet Garde aber mit seinem Fokus einen kulturwissenschaftlichen Blick in die französische Seele und ihr spezielles Verhältnis zum größten Säugetier der Welt.

Und wer sich fragt, woher der vielleicht etwas kurios anmutende Titel Das Lachen der Wale kommen mag: Auf Französisch lacht man eben nicht wie eine Seemöwe, sondern wie ein Wal (rire comme une baleine) – bei dem milden Lächeln, das die meisten Walarten so sanftmütig im Gesicht zu haben scheinen, irgendwie schwer vorstellbar. Vielleicht sind auch deshalb auf dem Buchcover unübersehbare Wale zu bewundern.

Titelbild

Francois Garde: Das Lachen der Wale. Eine ozeanische Reise.
Übersetzt aus dem Französischen von Thomas Schultz.
Verlag C.H.Beck, München 2016.
231 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406689574

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