In den Fängen von Macht und Korruption

Stefan Schweizer thematisiert im Regionalkrimi „Goldener Schuss“ Drogen, Prostitution und die Rockerszene in Ravensburg

Von Lisa Cathrin MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisa Cathrin Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Tod eines türkischen Mädchens aus vermeintlich gutem Hause erschüttert die Welt des selbsterklärten Hip Hoppers Enzo Denz. Für ihn ist ganz klar: Canan wurde mit einem goldenen Schuss aus der Heroinspritze aus dem Weg geräumt. Der Privatdetektiv beschäftigt sich normalerweise mit Aufträgen, die mit untreuen Ehefrauen oder kleineren kriminellen Vergehen zu tun haben. Dass dieser Fall eine Nummer zu groß für ihn sein könnte, wird ihm spätestens dann schmerzlich bewusst, als er sich sowohl mit Rockerbanden, der örtlichen Ravensburger Polizei und sogar der Bundeswehr anlegt, um der Wahrheit ein Stückchen näher zu kommen. Doch ganz gleich, was Enzo dabei aufdeckt, sein Ziel rückt in weite Ferne – denn mit jeder geklärten Frage tauchen zehn neue auf. Und schon bald ist auch Enzos Leben in Gefahr.

Eines lässt sich vorwegnehmen: Wer von leuchtenden Vorbildern der Moral träumt, die das niederträchtige Böse bekämpfen, dem sei von der Lektüre des „Goldenen Schusses“ abgeraten. Stefan Schweizer, selbst gebürtiger Ravensburger, stellt mit Enzo Denz einen unbeherrschten, impulsiven Privatermittler in den Mittelpunkt des Geschehens, der gerne ein Bier über den Durst trinkt, eine Langzeitaffäre mit einer verheirateten Frau eingeht und zudem selbst zu der ein oder anderen Droge wie Marihuana nicht Nein sagt. Verhöre führt er gerne durch Androhung oder sogar Ausführung physischer Gewalt. Der undisziplinierte Protagonist entwickelt sich im Laufe des Romans deutlich in die Richtung des US-typischen Hardboiled Detective, passt jedoch nicht gänzlich in diese Kategorie. Enzos Wesen wirkt für den harten Ermittlerjob hin und wieder etwas zu naiv: Gewissen Figuren vertraut der Halbitaliener aus Sympathie zu schnell, andere hingegen ordnet er ein wenig zu leichtfertig seinen offenbar reichlich vorhandenen Vorurteilen unter. So wird dem aufmerksamen Leser von Anfang an kaum entgehen, dass bestimmte Figuren mehr Dreck am Stecken haben, als sie zugeben wollen. Währenddessen ist Privat Eye Enzo noch munter darauf aus, für ebendiese Menschen zu kämpfen. Als der „große Bösewicht“ am Ende offiziell entlarvt wird, schockt diese Figur weniger mit ihrer Identität als durch das hohe Maß an Unmoral, Sittenlosigkeit und geistiger Labilität. Hier setzt Stefan Schweizer das i-Tüpfelchen durch Einblicke in psychische Abgründe der menschlichen Seele und die Frage, ob nach außen geistig gesund wirkende Nachbarn möglicherweise im Privaten unentdeckt monströse Taten begehen, die ihre Mitmenschen für immer zeichnen werden.

Der „Goldene Schuss“ braucht von seinen 312 Seiten ungefähr die ersten 100, um so richtig in Schwung zu kommen. Erst als man als Leser die Hoffnung auf einen Höhepunkt bereits aufgibt, entwickelt sich aus der Spannungswaagerechten eine waschechte Kurve. Die Verhöre werden gelegentlich im Stil einer Mitschrift präsentiert, so dass der Leser Dialogsequenzen ohne die Wertung des Erzählers erleben und sich über die Aussagen der Befragten den Kopf zerbrechen darf. Einen offenbar auflockernden Effekt sollen die sehr oft eingeschobenen Multiple-Choice-Fragen erzielen, die Enzo bei seinen Überlegungen einsetzt. Anfangs wirken irrelevante Sequenzen wie Enzos Möglichkeiten der Mittagessengestaltung tatsächlich spaßig. Leider wird im Laufe der Geschichte der Lesefluss durch zu viel des Guten ausgebremst.

Einen erneuten Stilbruch vollzieht Schweizer, wenn er hin und wieder Rückblicke aus Enzos Vergangenheit bei der Bundeswehr einschiebt, ausgelöst von unerwarteten Ereignissen in der Gegenwart. Die Erinnerungen Enzos verwirren zuerst mit aneinandergereihten Wortfetzen oder Halbsätzen und lassen den Leser über die wahren Begebenheiten weitestgehend im Dunkeln. Hier wird ein hoher Anspruch an die Vorstellungskraft des Lesepublikums gestellt. Sehr viel erfährt man über Enzos Kriegsvergangenheit trotz alledem nicht, was leider einen enttäuschenden Effekt hervorruft. Da der Untertitel des Romans jedoch „Enzo Denz’ erster Fall“ lautet, bleibt die Hoffnung, dass das Thema in kommenden Bänden noch einmal aufgegriffen und ausgebaut wird, denn hier lauert doch eine Menge Potential, der Figur Enzos eine stabile Dreidimensionalität einzuhauchen. Trotzdem wird die Persönlichkeit des Protagonisten ausgeprägt dargestellt. Nicht selten regt der Sarkasmus in Enzos Gedanken zum Schmunzeln an. Leider erscheint die Entwicklung der anderen Figuren daneben etwas flach. Wenngleich im Laufe der Geschichte interessante Charaktere auftauchen, wünscht man sich hier noch etwas mehr Tiefgang.

Der „Goldene Schuss“ ist trotz der genannten Kritik ein spannendes Debüt, aus dem eine ungewöhnliche Kriminalreihe entstehen könnte. Stefan Schweizer liefert eine sehr interessante Geschichte mit Einblicken in dunkle Abgründe der Drogen- und Rockerszene sowie einem bitteren Geschmack hinsichtlich offenbar uneingeschränkter Macht und dubioser Machenschaften von Politik und Staat. Der oberschwäbische Autor spielt mit Sarkasmus, Täuschung, Mord und Totschlag. Die Fälle des Jogginghosen-Liebhabers Enzo Denz besitzen im Bereich der Figurenentwicklung durchaus Potential, was auch bedeutet, dass die Möglichkeit besteht, noch viele Möglichkeiten zur Intensivierung und Wende zu ergreifen.

Titelbild

Stefan Schweizer: Goldener Schuss. Ein Oberschwabenkrimi.
Gmeiner Verlag, Meßkirch 2015.
308 Seiten, 11,99 EUR.
ISBN-13: 9783839216880

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