Spaß an eigenwilligen Drehungen und intelligenten Scherzen

G. K. Chesterton begeistert in seinen Erzählungen „Vier verehrungswürdige Verbrecher“ mit einer paradoxen Verteidigung der Moral

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Wir brauchen mehr Diebstahl, Wohnungseinbrüche und Straßenräuberei“, sagt der „ekstatische Dieb“, „um die Möbel der Gesellschaft auszuwechseln und umzuarrangieren, um das Mobiliar beziehungsweise das bewegliche Hab und Gut neu zusammenzustellen“. Und das macht er dann auch: Alan Nadoway bricht in drei Häuser ein, aber was er mitnimmt oder zurücklässt, wird nicht ganz klar. Dann verlegt er sich auf den Taschendiebstahl. Auch da verhält er sich nicht so, wie es sich für einen Verbrecher gehört, sogar die „Beraubten“ benehmen sich seltsam: Der erste, dem er die Hand in die Tasche steckt, verschwindet und ward nie wieder gesehen. Der zweite bemerkt, was passiert, schlägt dem „Taschendieb“ auf den Kopf und geht in einen Pub, wo er seinen Freunden einen ausgibt. Der dritte, ein Musiker, hatte nach dem „Diebstahl“ mehr Geld als vorher.

Der englische Autor Gilbert Keith Chesterton (1874–1934) liebte das Paradox. So sehr, dass er sogar eine „Verteidigung des Unsinns, der Demut, des Schundromans und anderer missachteter Dinge“ schrieb. Auch in seinen Romanen geht es zwar logisch zu (immerhin sind es oft Kriminalerzählungen), aber nicht so, wie der normale Verstand will: Bei Chesterton geht es oft um die Ecke. So wie in seinen jetzt auf Deutsch erschienenen Stories „Vier verehrungswürdige Verbrecher, in der vier Männer ihre Geschichte erzählen: der „moderate Mörder“, der „aufrichtige Quacksalber“, der „ekstatische Dieb“ und der „loyale Verräter“. So wie der Dieb nur scheinbar ein Dieb ist, ist auch der Mörder kein Mörder: Er schoss auf den Gouverneur, um ihn vor einem Mord und einem Staatsstreich zu bewahren und ihm durch die Verwundung die Zeit und die Gelegenheit zu geben, sich wieder auf die wahren moralischen Werte zu besinnen. Und auch die anderen Verbrecher werden nur Verbrecher, um ein Verbrechen zu verhindern.

Die vier Erzählungen sind in ihrer mäandernden Stringenz sehr pfiffig aufgebaut, die Wendungen sind nicht vorhersehbar, und erst am Schluss wird das ganze Ausmaß der Täuschungen und Selbsttäuschungen sichtbar. Dabei wirken Chestertons Figuren sofort lebendig, sie sind fein und direkt gezeichnet, die Dialoge haben oft einen subtilen Humor, die Atmosphäre wird in rhythmischen, bildhaften, bunten Worten wiedergegeben.

Die Vielschichtigkeit dieser zutiefst philosophischen Erzählungen und die theologischen Implikationen (denn in Chestertons Sinn tarnte sich auch Jesus als Verbrecher, um Gutes zu tun) muss man aber nicht bemerken, um seine Freude am Erfindungsreichtum, am Humor und der Phantasterei zu haben, seinen Spaß findet der Leser an den eigenwilligen Drehungen, intelligenten Scherzen und an den skurrilen Figuren, wie Alan, der während eines Einbruchs überrascht wird und erst einmal über Geoffrey Chaucer (1343–1400) und „die Tapferkeit der englischen Lady“ redet. Neben „Vier verehrungswürdige Verbrecher“ hat Chesterton über 100 Werke geschrieben. Es wäre nun an der Zeit für eine Gesamtausgabe.

Titelbild

Gilbert Keith Chesterton: Vier verehrungswürdige Verbrecher. Übersetzt aus dem Englischen von Boris Greff und Matthias Marx.
AB - Die andere Bibliothek, Berlin 2016.
330 Seiten, 42,00 EUR.
ISBN-13: 9783847703747

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