Auf Schritt und Tritt eine Leiche

„Wenn der Weinhändler kommt“ ist das literarische Debüt der ,Soko Taraxacum‘

Von Caroline DöschnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Caroline Döschner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Helge Wichmann hat es scheinbar schwer. Der Weinhändler aus der Leeraner Altstadt begegnet auf Schritt und Tritt Leichen und Mördern. Selbst der befreundete Kriminalkommissar Karstens spricht das aus, was wohl auch der Leser denken mag: „Du steckst doch schon wieder mittendrin.“ Doch dieser Umstand stört den beliebten Weinhändler kein bisschen, vielmehr kann der Privatdetektiv wieder Fakten und Umstände miteinander in Verbindung setzen, und löst ganz bestimmt den Fall. Unterstützt durch seinen Freund, den Kriminalkommissar, hat Wichmann immer polizeiliche Rückendeckung, auch wenn es einmal brenzlig werden sollte. In den achtzehn Kurzgeschichten wird er immer wieder in kriminelle Machenschaften verwickelt, blickt ungewollt in die seelischen Abgründe seiner Mitbürger und wird selbst zum Verdächtigen. Die ostfriesische Altstadt an der Leda und ihre historischen Sehenswürdigkeiten werden dabei zu Schauplätzen des Bösen, des Blutigen und des Brutalen.

Das Autorenteam, welches sich im Krimi-Café Taraxacum trifft (daher auch der Name der „Soko“), hat mit dem sympathischen Protagonisten Wichmann eine fiktive Figur geschaffen, die dem typischen Detektiv entspricht. Er ist alleinstehend, geschieden und meist in Gesellschaft seiner Hündin Nancy, die mit Vorliebe Frauenhandtaschen stiehlt, in der Leeraner Altstadt und Umgebung unterwegs. Nicht zu vergessen ist natürlich seine Liebe zum Wein, welche er auch jeden Abend zelebriert. Das Thema Wein wird übrigens sowohl auf dem Cover des Bandes thematisiert als auch am Ende, wo man in den Autorenbiografien noch die jeweilige Lieblingssorte erfährt. Wer also Ostfriesen bisher nur mit Tee und Kluntje in Verbindung brachte, wird hier eines Besseren belehrt.

Die Herausgeber der ‚Soko Taraxacum‘, bestehend aus einem Kreis von Krimi-Fans und -Autoren, führen anhand ihrer Geschichten durch die Altstadt von Leer und heben die Besonderheiten der historischen Gebäude und Plätze hervor. Jede Erzählung ist einem historischen Ort oder einer Sehenswürdigkeit gewidmet und wird von einem Bild des Schauplatzes, der dazugehörigen Adresse und deren Koordinaten eingerahmt. Nach den Erzählungen findet der Leser noch Informationen, die ihn über die historische Bedeutung der Örtlichkeiten aufklären. „Wenn der Weinhändler kommt“ gleicht dadurch einem Touristenführer der besonderen Art, an dessen Ende man jede Sehenswürdigkeit mit einer Leiche verbindet.

Die Themen der einzelnen Krimigeschichten hingegen zeugen nicht von viel Fantasie. Entführung, Drogenschmuggel, Rachemord oder auch einfach unglückliche Umstände – hier wird wenig Überraschendes geboten. Auch Titel wie „Der Gärtner“, „Tödlicher Wein“, oder „Der Organist“ lassen wenig Spannung und Überraschung zu, da bereits der Titel den folgenden Mordfall mehr oder weniger aufklärt. Hinzu kommt der relativ vorhersehbare Ermittlungsgang durch den Weinhändler, der keinen Raum zum Rätseln oder Mutmaßen lässt. Auf eine Leiche folgt recht schnell ein Tatverdächtiger mit Mordmotiv. Die Fälle weisen dadurch leider wenige plötzliche Wendungen auf.

Einigen wenigen Geschichten des Bandes gelingt es dennoch, auf wenigen Seiten eine spannende Atmosphäre zu entfalten. Wie beispielsweise in „Nasser Tod“ von Wilma Lüken, in der alles harmlos mit einer alleinerziehenden Mutter beginnt, die mit ihrem Kind auf den Spielplatz geht. Oder auch „Blutiges Volksfest“ von Klaus E. Spieldenner, dass dem Gallimarkt gewidmet ist. Hier wurde Wichmanns Ex-Frau lebensgefährlich verletzt und ausgerechnet Wichmann findet sie. Leider zur falschen Zeit, da im gleichen Augenblick die Polizei erscheint und Wichmann als Tatverdächtigen festnimmt. Auch im Krimi-Café Taraxacum geschieht in „Tatort“ ein Mord. Diese Geschichte wurde von Peter Gerdes geschrieben, der nicht nur Besitzer des Krimi-Cafés ist, sondern auch noch Verleger des Leda-Verlages. Diesen drei Autoren ist gemein, dass sie auch beruflich entweder als Schriftsteller oder anderweitig in der Krimi-Szene tätig sind. Das alles soll nun nicht heißen, alle anderen Geschichten seien von geringerer Qualität. Doch wenn man einen VHS-Kurs „Krimis Schreiben – aber richtig“ belegt, wie im Autorenanhang zu lesen ist, kann nicht allzu viel schriftstellerisches Können vorausgesetzt werden.

Abgesehen davon hätte dem Band ein aufmerksameres Lektorat gut getan. So hätten einfache Tippfehler, Passagendopplungen oder gestelzte Formulierungen verbessert werden können. Wer reagiert schon bei der Aufhebung des Tatverdachts mit: „Helge zuckte mit den Schultern und erwiderte: ‚Das ist zunächst eine sehr erlösende Nachricht. Wie wollt ihr weiter vorgehen? ‘“  Oder „Eigentlich ging Helge nie in die Kirche. Er glaubte nicht.“ Solche und andere Ausdrucksweisen stören den Lesefluss ungemein.  

Trotz dieser Mängel macht es Spaß, den Weinhändler Helge Wichmann bei seinen kriminellen Streifzügen zu begleiten. Besonders seine handtaschenliebende Hündin amüsiert immer wieder, ebenso wie die vielen Weine, die der Weinhändler im Laufe der Zeit trinkt. Man könnte sich auch fragen, ob der Hobbydetektiv bei solch horrendem Alkoholkonsum überhaupt zum Ermitteln in der Lage ist.

Wenn man also einen Ausflug ins wunderschöne Leer plant und die Altstadt mal aus einem anderen Blickwinkel betrachten will,  bietet sich diese Krimi-Anthologie hervorragend als Urlaubslektüre an. In Zukunft wären für Helge Wichmann jedoch neuartigere und komplexere Fälle besser. Einen sympathischen Detektiv hat die Soko Taraxacum schon einmal.

Titelbild

Soko Taraxacum (Hg.): Wenn der Weinhändler kommt…. Krimineller Streifzug durch die Altstadt von Leer.
Leda Verlag, Leer 2014.
249 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783864120688

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch