Auf dem Weg in die Knechtschaft

Hartmut Rosa legt mit „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“ eine plausible und spannend zu lesende Phänomenologie unserer modernen Lebensweise vor – mit gefährlichen Lösungsvorschlägen

Von Gunnar KaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gunnar Kaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stellen Sie sich vor, Sie würden morgen früh aufwachen und besäßen genau das Doppelte von dem, was Sie heute besitzen. Wären Sie glücklicher? Für‘s erste schon, werden Sie vielleicht sagen; aber wir wissen auch, dass eine bloße Verdopplung der Ressourcen, über die wir verfügen, nicht automatisch dazu führen wird, dass wir ein glücklicheres Leben leben. Zumindest nicht auf lange Sicht.

Und nun stellen Sie sich jemanden vor, der soeben eine Runde Tennis gespielt hat – er oder sie ist erschöpft, sogar leicht verletzt, und hat noch dazu hat das Spiel verloren und muss dem Gegner ein Bier ausgeben. Und doch hat diese Person den Ausdruck von Zufriedenheit, ja von Glückseligkeit auf dem Gesicht. Würden Sie sich wundern?

Wahrscheinlich nicht. Denn da scheint etwas geschehen zu sein, was uns allen bekannt vorkommt – trotz der „objektiven“ Verschlechterung seines momentanen, körperlichen und finanziellen Zustandes erlebt dieser Mensch einen Zustand, den wir kennen, den wir herbeisehnen und der recht schwer zu definieren ist. Es ist der seelische Zustand, für den Hartmut Rosa in seinem neuen, gleichnamigen Buch den Begriff „Resonanz“ gefunden hat.

Wie das erste Beispiel zeigt, liegt es nicht allein am Grad des Wohlstands, ob und wie viele Momente der Resonanz ein Mensch erlebt. Reichtum und die damit einhergehende Freiheit sind sicherlich nicht gleichzusetzen mit einem gelingenden Leben. Trotzdem wird Ihr Glückszuwachs wohl davon abhängen, was und wie viel Sie bereits besessen haben. Jeweniger, desto schwerer fällt der Zuwachs ins Gewicht, und desto stärker schlägt das Pendel des Glücks aus. Das liegt vor allem daran, dass wenig zu besitzen den Menschen einengt, beschränkt, reduziert – wer über keinerlei Ressourcen verfügt, wird sein Leben nicht in der gleichen Freiheit und Selbstbestimmung führen können wie der, dem die materielle Welt offensteht. Und damit, so Rosa, auch seltener Resonanzerfahrungen machen.

Das zweite Beispiel macht aber auch klar, dass sich Resonanz bisweilen in Momenten einstellt, die mit einer bloßen Vermehrung von Ressourcen nicht viel zu tun hat. Resonanz ist eine Art und Weise, wie man sich zu Welt verhält – aber auch, wie diese sich zu dem empfindenden Menschen verhält – eine Weltbeziehung. Sie soll, so Rosa, „den Maßstab für ein gelingendes Leben liefern, einen Maßstab, der es erlaubt, Lebensqualität nicht mehr nur direkt an der Steigerung von materiellem Wohlstand, Optionen und Ressourcen, sondern direkt an der Qualität der Weltbeziehung zu messen. Ein gutes Leben ist dann eines, das reich an Resonanzerfahrungen ist.“

Der Ökonom und Sozialphilosoph Friedrich August von Hayek hat festgestellt, dass der moderne Mensch stets in zwei Welten zu Hause sein muss. Sein „Zwei-Welten-Theorem“ besagt, dass es ein Reich des Gefühls, der engen persönlichen Bindung, der Familie und der Gemeinschaft gibt, in dem die Regeln der Reziprozität gelten. Dann aber müssen wir auch in abstrakten, logischen Zusammenhängen denken und in Maßstäben, die unser privates Leben übersteigen. Hier gelten die Regeln von Konkurrenz und kühler Kosten-Nutzen-Rechnung.

Die Präsenz einer solchen Denkweise in der Moderne hat Philosophen, Soziologen und Künstler dazu verleitet, von einer Entzauberung der Welt zu sprechen, vom stahlharten Gehäuse des Kapitalismus, in dem nur Wettbewerb, Leistung, Effizienz zählen würden, in der der Mensch vom Produkt seiner Arbeit entfremdet sei, ebenso aber auch von sich selbst und seinen sozialen Kontakten. Die Welt antwortet nicht mehr, sie ist verstummt und kalt, man fühlt sich einsam und ungehört. Es ist die Erfahrung, die der Pubertierende macht, wenn ihm die Welt plötzlich nicht mehr nur ein großes Reich von Angst und Begehren ist, sondern teilnahmslos gegenübersteht. Es ist aber auch die Erfahrung, die das moderne Subjekt macht, wenn es gewahr wird, dass der Himmel leer ist, es selber nur ein unbedeutendes Staubkorn in Raum und Zeit, ein Produkt unpersönlicher Evolution, nicht einmal Herr im eigenen Hause und noch dazu von den bösen Kapitalistenschweinen ausgebeutet und verdinglicht.

Die Sehnsucht nach einem ursprünglichen, authentischen Verhältnis zur Welt, in dem die Dinge einem antworten, ist zurzeit präsenter denn je. Gleichwohl war sie schon ein Signum der Romantik und ihr folgender Traditionen, die den Verlust der Einheit in den Vordergrund stellten.

Im Grunde, ließe sich polemisch sagen, ist Rosas „Resonanz“ nichts als ein langes Elaborat von Erich Fromms „Haben oder Sein“. Und doch bringt der Begriff der „Resonanz“ auf wunderbare Weise auf den Punkt, worum es doch eigentlich all unseren menschlichem Bestreben geht: um den Wunsch, gehört zu werden und wiederum antworten zu können. Unsere Sehnsucht nach Natur, nach einer echten Beziehung, lässt sich mit dem Verlangen nach Resonanz begründen und auf den Punkt bringen. Resonanz – beziehungsweise ihr Fehlen – ist der Grund, warum wir uns inmitten einer Menschenmenge einsam fühlen können, ja sogar dann, wenn wir viele Freunde haben. Sie ist auch der Grund, warum zwischen der Anzahl an Freunden und dem Erleben resonanter Beziehungsmomente ein Zusammenhang besteht. Je mehr Freunde man hat, desto öfter ist eine Beziehung ja auch gefährdet, verdinglicht zu werden. Denn Resonanz ist zeitintensiv.

Aber auch Erfahrungen mit Drogen werden nicht selten aus einem Gefühl heraus begonnen, aus ihrem Gebrauch Resonanzerfahrungen zu ziehen. Auch ein guter Text ist einer, der im Leser resoniert, ebenso ist es mit einem Lied, einem Gemälde – gleichwohl, so stellt Rosa klar, liegt es nicht an dem Ding in der Welt allein, ob es Resonanzerfahrungen zulässt, sondern es geht in erster Linie um eine bidirektioniale Erfahrung, eine Beziehung. Das Subjekt muss fähig sein, das Resonanzangebot anzunehmen, ebenso muss das Objekt dazu geeignet sein, die subjektiven Voraussetzungen für Resonanzerfahrungen widerzuspiegeln, aufzunehmen und wiederzugeben. Da dies nun so vielfältig ist, wie es Subjekte gibt, lässt sich auch nicht exakt bestimmen, wie sie herzustellen ist, worin sie besteht und warum sie wieder verfliegt. Resonanzerfahrungen sind unverfügbar, das heißt sie wehren sich gegen eine bloße instrumentelle Herstellung. Sie stellen sich ein – oder auch nicht.

In seinem Buch dekliniert Rosa nun durch, was Resonanz und ihr Gegenteil, die Entfremdung, in den einzelnen Lebensbereichen 
bedeuten. Diese beziehen sich auf rein körperliche Weltbeziehungen wie Körperhaltung, Atmung, Stimme und Blick, auf Medien als Mittel der Weltaneignung und -erfahrung, auf Arbeit, Schule, Sport, Kunst, Natur, den Alltag. Der Blick, den Rosa hier einnimmt, die Auswahl seiner Beispiele, die Präzision seiner Beschreibungen, die Originalität seiner Erkenntnisse – all dies ist bemerkenswert und macht die Lektüre zu einer spannenden und erhellenden Erfahrung. 

„Resonanz“ lässt sich als Folgebuch zu Rosas „Beschleunigung“ lesen, es setzt seine These, die Spätmoderne sei durch Steigerungslogik geprägt, notwendig voraus. Dies scheint auch hier sehr plausibel: Je schneller das Leben läuft, desto weniger Zeit bleibt dem Menschen, sich auf das Wesentliche zu besinnen: Resonanz zu erleben. Doch dass die Lösung nicht Entschleunigung heißen kann, davon ist Rosa überzeugt – private, individuelle Entschleunigung sei nicht möglich in einem System, dessen Stabilität auf ständiger Dynamik beruht. Wer entschleunigt, wird gnadenlos abgehängt. Für Rosa ist dieses System, das er „Kapitalismus“ nennt, ausgelegt auf einen exponentiellen Steigerungszwang, der in einen durch ökonomische Notwendigkeiten entstehenden Teufelskreis führe, immer mehr Waren in immer geringerer Zeit zu produzieren und zu konsumieren – und das alles in erster Linie nicht zum Zwecke des Fortschritts, sondern bloß, um den Status quo zu erhalten.

Man hat ja beim Lesen von Büchern, die von Sozialwissenschaftlern geschrieben sind, deren Gesellschaftsanalyse sich an Marx, an die Frankfurter Schule, an Habermas orientiert (Rosa schließt zudem noch stark an Axel Honneth und Charles Taylor an), stets die Angst, dass auf der nächsten Seite eine politische Forderung um die Ecke kommt, die einen noch stärkeren bürokratischen Apparat, noch mehr Zwang und noch mehr politische Macht zur Notwendigkeit macht. 

So auch hier. Zwar müssen wir 700 Seiten warten, bis Rosa die Katze aus dem Sack lässt, doch in den Schlussbemerkungen endlich schlägt er den Bogen zwischen seiner sehr konzisen Phänomenologie der Resonanzerfahrung und undurchdachten, wenig originellen, dafür umso gefährlicheren Vorschlägen. Es sind nun Vorschläge, die der herrschenden Klasse neue Rechtfertigung geben, ihre Herrschaft über das Volk zu vergrößern:

Wir (der Staatsapparat) müssen gewährleisten, dass die Menschen ein gelingendes Leben führen können – als Maßstab gelten uns die Häufigkeit von Resonanzerfahrungen – diese können die Menschen nun nur bei größtmöglicher Abwesenheit von Angst machen – der böse Kapitalismus aber vergrößert die Angst, abgehängt zu werden und verhindert so Resonanz – wir müssen allen ein Bedingungsloses Grundeinkommen gewährleisten, und das am besten mittels Erbschaftssteuer. Trifft ja dann nur die, die eh zu viel Geld haben oder es unverdient erhalten würden.

Dass dieser auf den zigfach widerlegten Analysen von Thomas Piketty beruhende Vorschlag die traurige politische Realisierung dessen darstellen soll, was als Sozialtheorie und psychologische Studie so überzeugend beginnt und begründet wird, muss nicht wundern – schließlich ist Rosa kein Ökonom. Gefährlich wird es allerdings da, wo sich Laien für neue staatliche Zwangsmechanismen stark machen, deren tatsächliche Konsequenzen sie nicht absehen können, und andere Laien ihnen naiv Glauben schenken. Hier gilt dann für Rosas Werk das Motto allen linken und sozialistischen Denkens: Es ist immer schön, wenn man Gutes mit dem Geld anderer Leute schaffen kann.

Dies ist nun auch der Grund, warum ein solches Buch bei vielen Intellektuellen großen Anklang finden kann – es erzeugt Resonanz, weil es mit ihrer Weltsicht in Einklang steht. Zum einen beschreibt es auch ihre Sehnsucht, wieder gehört zu werden und gesellschaftliche Bedeutung zu erlangen, zum anderen gibt es ihnen eine Existenzberechtigung an die Hand: Wer aufgrund seiner soziologischen Analyse politische Forderungen aufstellen kann, der zeigt, dass seine wissenschaftlichen Erkenntnisse der politischen Klasse neue Begründungen dafür liefern kann, noch größer und mächtiger zu werden.

Und auch beim interessierten Leser wird Rosas Analyse auf Resonanz stoßen. Schließlich ist die Klage, das moderne Leben laufe immer schneller und werde gleichzeitig immer schaler, allgegenwärtig – und Bücher, die dieser diffusen Ahnung einen Begriff geben, ja für sie sogar einen Schuldigen nennen können, erzeugen wiederum das wohlige Gefühl, endlich die Ursache für all unser Unbehagen in der Kultur zu kennen – und eine Lösung. Der Schuldige ist für Rosa, auch das ist in intellektuellen Kreisen gern gehört, der Kapitalismus. Rosa grenzt ihn begrifflich von der freien Marktwirtschaft insofern ab, als der Kapitalismus schrankenlose Steigerung und private Akkumulation von Ressourcen zum Imperativ mache – während man früher bedürfnisorientiert gewirtschaftet habe, sei nun das Muster G – W – G’ zum Signum jeglicher ökonomischen Tätigkeit geworden (auch dieses auf Marx’ Arbeitswertlehre beruhende Muster ist zur Genüge, wie man meinen sollte, entkräftet worden). Dies wiederum führe dazu, dass die Menschen von den Dingen in ihrer Lebenswelt, von den Mitmenschen und von sich selbst entfremdet würden. Diese Beobachtung an sich nun lässt sich schwer von der Hand weisen, zumal wir ja immer annehmen, früher, in der guten alten Zeit, seien die Menschen noch unentfremdet, authentisch, im Einklang mit sich und der Umwelt gewesen. Nun aber habe die zu große Freiheit der Menschen alles, aber auch wirklich alles dem Konsumzwang und dem Warenfetischismus unterworfen – Rosas Leistung ist es, der Analyse dieser Veränderung in der spätmodernen Psyche der Menschheit mit Resonanz und Entfremdung ein nützliches Begriffspaar in die Hand zu geben.

Resonanz ist das, was wir verloren haben, als der Kapitalismus Einzug hielt in unsere Seelen und zwischenmenschlichen Beziehungen, und nun bedarf es also einer staatlich erzwungenen Korrektur: Im Orwell’schen Neusprech muss das schließlich folgendermaßen formuliert werden: „Die Resonanztheorie zielt deshalb darauf ab, den Machtlosen Selbstwirksamkeit zurückzugeben.“ Zwar bezieht Rosa Stellung gegen Paternalismus und betont den Wert menschlicher Autonomie. Andererseits sei Autonomie im Sinne der Kantischen Selbstgesetzgebung als normatives Kriterium doch reichlich veraltet. Wohin zu viel Freiheit führen kann, haben wir schließlich gesehen.

Angesichts seiner Forderungen, die zwar nur einen Bruchteil des Buches ausmachen, seinen an sich nützlichen Erkenntnissen aber geradezu zu einer gefährlichen Grundlage für eine neue staatliche Ideologie verleihen, mit der sich Freiheit weiter einschränken lässt. Rosas politische Forderungen liefern einer politischen Partei eine willkommene Vorlage, um erneute Umverteilung begründen zu können. Dass diese Umverteilung dann die Konsequenzen nicht zeitigen wird, die sie beabsichtigt, muss die Partei dann ja nicht kümmern. Dann benötigt sie eben noch mehr Geld anderer Leute, um dem Mann und der Frau von der Straße wieder Resonanzerfahrungen zu ermöglichen. Dies wird nicht Rosas Intention gewesen sein, doch der Missbrauch seiner Analysen zugunsten einiger weiterer Meilen auf dem Weg in die Knechtschaft ist schon deutlich im Buch selber angelegt.

Titelbild

Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016.
815 Seiten, 34,95 EUR.
ISBN-13: 9783518586266

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