Seeohren, Chinesen und Shakespearebezüge

Im neuen Thriller des Südafrikaners Mike Nicol hat Mace Bishop, Held der viel gerühmten Rache-Trilogie des Autors, die Geschäfte an die nächste Generation übergeben

Von Dietmar JacobsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Jacobsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ihr Vater hat sie Christa genannt – mit weichem „Ch“ am Anfang. Der gewaltsame Tod ihrer Mutter, den sie als Kind miterleben musste, und eine militärische Ausbildung, für die sie sich als junge Erwachsene entschied, aber haben sie hart gemacht. Deshalb das „K“, mit dem sie ihren Namen nun beginnen lässt. Es soll signalisieren: Mit dieser Frau ist nicht zu spaßen. Die meint ernst, was immer sie sagt. Und wenn es sein muss, schreckt sie auch vor brachialen Methoden nicht zurück. „K“ wie Kalaschnikow!

Krista Bishop also, Tochter von Mace Bishop, einem der beiden Helden aus Mike Nicols vielgelobter „Rache-Trilogie“ (2008 – 2011), hat die Geschäfte ihres inzwischen auf den Caymans lebenden Vaters übernommen. Mit einer Ausnahme: „Complete Security“, die kleine Sicherheitsfirma, die sie Mace und dessen Partner Pylon Buso abkaufte, um sie mit Tami Mogale, die schon mit den beiden Männern zusammengearbeitet hat, weiterzubetreiben, beschäftigt sich in der Regel mit dem Personenschutz von vermögenden Frauen. Nun aber hat sie der Geheimdienstmann Mart Velaze – für Nicol-Leser ebenfalls kein Unbekannter – mit einer kleinen Erpressung dazu gebracht, sich entgegen diesem Firmengrundsatz für ein paar Tage um die Sicherheit zweier Geschäftsleute aus dem Reich der Mitte zu kümmern. Kaum aber haben Krista und Tami den dicken und den dünnen Chinesen, die wegen eines geheimen Deals nach Südafrika gekommen sind, am Kapstadt International Airport in Empfang genommen, beginnen schon die Schwierigkeiten. 

Was zunächst aussieht wie der Krieg zweier rivalisierender Banden – der Mongols und der Pretty Boyz – um die Vorherrschaft beim Seeohrenfang, einem lukrativen Geschäft mit den vor allem in Ostasien begehrten Schalentieren, entwickelt sich in Power Play mehr und mehr zu einer Geschichte, in der viele ihre Finger haben. Nicht zuletzt die beiden Personenschützerinnen, die schnell merken, dass das Interesse der Chinesen, denen sie nicht von der Seite weichen sollen, keineswegs dem Bergbau gilt, sondern sich ebenfalls auf jene Meeresfrüchte richtet, deren Ausfuhr von der südafrikanischen Regierung zeitweise ganz verboten wurde und um deren Fang und illegale Weiterverarbeitung gerade mit harten Bandagen gerungen wird. 

Wie man das aus den bisher auf Deutsch erschienenen vier Romanen des 1951 in Kapstadt geborenen Schriftstellers und Journalisten Nicol bereits kennt, ist viel Gewalt im Spiel der Kräfte am Kap. Honorable Gangster, die sich die Hände schon längst nicht mehr selbst beschmutzen, undurchsichtige Regierungs- und Geheimdienstleute, die teils mit-, teils gegeneinander arbeiten, bezahlte Killer ohne Skrupel und Kleinkriminelle, die im Drogenrausch zu wilden Bestien werden, bevölkern die Seiten des Romans. Es wird – für zartbesaitete Leser gelegentlich die Grenzen des Erträglichen überschreitend – gefoltert und gemordet, intrigiert und erpresst, vergewaltigt und hintergangen. Neu für Nicol-Leser ist der Humor in einigen Szenen – etwa wenn es ein bezahlter russischer Killer selbst mit mehreren Anläufen und schwerster Artillerie nicht fertigbringt, seine Zielpersonen ins Jenseits zu befördern. Nicht neu hingegen sind die kritischen Töne, die der auch mit einem Interviewband über Südafrikas Lichtgestalt Nelson Mandela hervorgetretene Nicol seiner Heimat und ihrer politischen, wirtschaftlichen und geistigen Neuausrichtung nach der Apartheid gegenüber anschlägt.

Mike Nicol erzählt seine Geschichte von großen Deals und kleinen Dummköpfen, die dabei verfeuert werden, skrupellosen Männern und taffen Frauen, in undurchschaubare Machenschaften verwickelten Geheimdienstleuten und korrupten Regierungsbeamten routiniert, mit viel Tempo und deutlichen, bis in die Namen des Personals und ihre Beziehungen untereinander hineinreichenden Anklängen an das Shakespeare-Stück „Titus Andronicus“. In den immer wieder die Szene wechselnden Text hat er raffinierte Rück- und Gegenblenden eingebaut und wie unbedarft das Fußvolk aus kleinen Gangstern ist, das seinen Kopf hinhalten muss für die Pläne der Großen, zeigen die am Ende jedes einzelnen Kapitels platzierten Abschnitte aus dem Vernehmungsprotokoll einer jener armseligen Gestalten aus den Cape Flats.

Den Gipfel der erzählerischen Ironie erreicht der Autor indes, wenn er ausgerechnet einen der drei Bandenchefs, die den Seeohrenschmuggel vor dem Erscheinen der Chinesen aufgezogen haben und damit reich und unberührbar geworden sind, ein Bewusstsein von der historischen Größe seines Landes haben lässt – etwas, das dessen neuen Machthabern, die seinen Reichtum gerade mit maximalem Profit an die Meistbietenden versteigern, vollkommen abhandengekommen ist. Dass es gerade in dieser Beziehung noch jede Menge zu erzählen gibt, dürfte Mike Nicol am besten wissen. Und so ist es sicher kein Zufall, dass Power Play über eine Menge von Erzählfäden verfügt, an die weitere Romane locker anknüpfen könnten. Zumal eine Figur wie diese Krista Bishop verschenkt wäre, würde man nur ein einziges Buch um sie herumkomponieren.

Titelbild

Mike Nicol: Power Play. Thriller.
Übersetzt aus dem Englischen von Mechthild Barth.
btb Verlag, München 2016.
410 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783442713776

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