Poetologisches Multitasking

Manuel Bodenmüller nimmt sich Benns „Dichtung als Lebensform“ vor

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Der Herr drüben bestellt sich noch ein Bier, / das ist mir angenehm. Dann brauche ich mir keinen Vorwurf zu machen.“ Wohl aber Gedanken über Krankheit und Tod. Der Dichter und Arzt Gottfried Benn, der „auch gelegentlich einen zisch[t]e“, aber ebenso gut über „Fragwürdigkeitsfragmente“ philosophierte, ist ein Poet mit Widersprüchen. Das ist immer noch reizvoll für die Forschung. Der Würzburger Literaturwissenschaftler Manuel Bodenmüller hat sich das „Doppelleben“ Benns in der Formel „Dichtung als Lebensform“ vorgeknöpft.

Das klingt einfach und ist einleuchtend genug, um den Weg des eisgekühlten Ausdruckskünstlers zum verkappten Metaphysiker und Radardenker nachzuvollziehen. „Gleichgültigkeit und Geist“ sind für Bodenmüller die Pole, zwischen denen Benn sein „Doppelleben“ in Masken und Rollen durchspielt. Es ist ein „Doppelleben“, das mit seiner eigenen Konstruiertheit liebäugelt. Ist der 1949 publizierte biographische Schlüsseltext doch selbst eine Collage aus dem Lebensweg eines Intellektuellen aus dem Jahr 1934 und dem von seinem Nachkriegsverleger Max Niedermayer bestellten Titelessay Doppelleben. Bodenmüller gelingt es immer wieder, uns durch jene Spalten schauen zu lassen, die Benns poetische Masken lüften. Heraklit und Jesus, Friedrich Nietzsche und Oswald Spengler sind die Sendboten einer „Dichtung an sich selbst“. Die Formel trifft die Selbstreflexivität von Benns „Doppelleben“ hinreichend genau: einserseits ahmt er im Leben die Literatur nach, andererseits imaginiert er in der Dichtung seine Künstlerexistenz in verschiedenen Zeiten – eine Art autobiographisches Multitasking.

Die Grenzen dieser Darstellung enthüllt die Anekdote, die Ilse Benn erzählt. Sie ist 27 Jahre jünger als Benn, Zahnärztin und in ihrer Bedeutung für das Dichterleben längst noch nicht genügend betrachtet. Benn ging mit seiner Frau in ein Lokal und nahm an der Bar neben einer „blöndlichen fülligen Dame“ Platz. Als er nach einer Weile des Scherzens mit der Blondine seine Frau fragte, ob sie nicht nach Hause gehen sollten, musste sich die Dame auf der anderen Seite doch sehr wundern. Benn wand sich aus der Affäre: „Ja, Sie wissen doch, wenn man immer alle Tage Fasan um sich hat, dann will man auch manchmal Erbsensuppe essen.“ Kein Kommentar, schreibt Bodenmüller in einer Fußnote. Doch: Zwischen den Stühlen von verkappter Metaphysik und Männerphantasie ist Platz für provozierende Anmerkungen. Und für vielfältige Deutungen. Benns Gedichte zu lesen wie Bodenmüller es tut, ist wie die „Zahl Pi mit Seiltricks“ auszurechnen. Die Widersprüche der so untersuchten Dichtung als Lebensform sind beinahe unendlich und nett anzuschauen.

Kein Bild

Manuel Bodenmüller: Dichtung als Lebensform. Gottfried Benn.
Ergon Verlag, Würzburg 2013.
275 Seiten, 42,00 EUR.
ISBN-13: 9783899139761

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