Kunst als Umbruch

Hieronymus Boschs verkehrte Welt im Kirchengestühl von Sint Jans

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Stefan Fischer, der Autor des vorliegenden Buches „Im Irrgarten der Bilder“, ist ein ausgewiesener Bosch-Fachmann, wie seine Dissertation zu diesem Maler und andere Veröffentlichungen beweisen. Die dezente Aufmachung, die farbige Bebilderung und der überaus flüssige Stil dieses Buches im handlichen A6-Format lassen vermuten, dass es auf einen breiten Leserkreis abzielt, unter anderem die Besucher der bis zum 16. Mai dieses Jahres geöffnete Bosch-Ausstellung in S’Hertogenbosch.

Den Ausgangspunkt von Fischers Buch bildet die biografische Verortung von Boschs Schaffen in seiner Geburtsstadt, dem niederländischen S’Hertogenbosch mit seinem lebhaften religiösen Treiben, deren geistlichen Mittelpunkt die Kirche Sint Jans bildete. Dort trafen sich im Jahr 1430 die Vertreter des Ordens vom Goldenen Vlies unter dem Vorsitz des späteren römisch-deutschen Königs und Kaiser Maximilian I. zu einer Zusammenkunft. Maximilian I. war es auch, der die letzten Reichskriege um das burgundische Erbe in einer Zeit austrug, die Huizinga treffend den „Herbst des Mittelalters“ genannt hat.

Wie schon der Name S’Hertogenbosch (in etwa: der Busch des Herzogs) impliziert, besaß die Stadt eine herausgehobene wirtschaftliche und politische Bedeutung in dieser Zeit. Vertreter des begüterten Hochadels sollten in Zukunft auch die Auftraggeber von Bosch sein, der eigentlich Jeroen van Aken hieß, aber offensichtlich seinen Künstlernamen mit Bezug auf seine Heimatstadt wählte.

Wie der Autor zu Recht hervorhebt, war das religiöse Milieu, in dem er aufwuchs, die zentrale Inspiration für seine Werke. So gehen die ungewöhnlichen Figurenschöpfungen Boschs offensichtlich auf Drolerien mit Szenen der verkehrten Welt im Inneren von Sint Jans zurück, die seinerzeit nur Klerikern zugänglich waren und moralisierende Botschaften in Bezug auf das rechtschaffende Leben enthielten.

Hiermit führt Fischer ein für allemal die weitverbreitete Annahme ad absurdum, das Personal auf Boschs Werken sei eine Ausgeburt seiner wilden Fantasie. Die Unrichtigkeit dieser Annahme zeigt sich auch daran, dass bedeutende Arbeiten des Meisters wie der „Garten der Lüste“ schon früh in bedeutende fürstliche Kunstsammlungen aufgenommen wurden, namentlich in die des römisch-deutschen Kaisers Karl V. und seines Sohnes König Phillip II. von Spanien. Heute kann man das Gemälde im Prado bewundern.

Auch ist Boschs Schaffen, wie Fischer zutreffend betont, in seiner Technik der Ölmalerei von den gegen Ende des 15. Jahrhunderts tätigen Meistern der altniederländischen Tafelmalerei wie Rogier van der Weyden und den Brüdern van Eyck beeinflusst, deren religiöse Inhalte er auf innovative Weise darstellte. Darin ist ein Resultat der im nachfolgenden 16. Jahrhundert stark gewachsenen Wertschätzung für die innere Vorstellungskraft des Künstlers zu sehen, die sich auch in einer wachsenden Begleitung des Kunstschaffens durch die zeitgenössische Kunsttheorie äußerte. Dies führte dazu, dass Boschs Kunstwerke schon früh von Künstlern aufgegriffen wurden, die seine Bildfindungen verbreiteten und somit popularisierten. Heute zählt man nur noch etwa eine Handvoll Gemälde und Zeichnungen zu den eigenhändigen Werken des Meisters.

Die didaktische Ausrichtung von Boschs Gemälden kann auch als Ausfluss der devotio moderna verstanden werden, die Ende des 15. Jahrhunderts die wichtigsten Orden erfasste. Dazu zählten auch die in S’Hertogenbosch lebenden Dominikaner. Diese religiöse Erneuerungsbewegung befürwortete unter anderem eine asketische Lebensweise. Dies kommt auf Boschs Gemälden in einer Anzahl von weltabgewandt lebenden Einsiedlern und Kirchenvätern zum Ausdruck. Die humanistische Ausrichtung dieses Reformchristentums zeigt sich in der erwähnten moralisch fundierten Geißelung von menschlichen Sünden und Torheiten in Boschs Bildern und als Aufruf zu christlicher Umkehr und einem Neubeginn.

Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang auch die wachsende Bedeutung von frühhumanistischer Bildung und Rhetorik sowie der Einfluss der Schriften des Erasmus von Rotterdam auf die gebildeten Eliten der Zeit. Auch diese gingen in die ausdrucksstarken Bildfindungen des Hieronymus Bosch ein. Nicht zufällig wählte dieser den Namen des Kirchenvaters, Bibelübersetzers und Eremiten als nome de plum für sich.

Neben der Parodie und Zuschreibung lächerlicher menschlicher Verhaltensweisen an verschiedene Stände der damaligen Gesellschaft tragen Boschs monströse, deformierte Figuren noch eine weitere Sinnschicht in sich, nämlich als Zeichen für das allgegenwärtige Wirken Satans unter den Menschen, der alles auf den Kopf stellt, buchstäblich die Welt verkehrt und somit als Allegorie des Bösen fungiert. Auch eine weitere innovatorische Leistung Boschs benennt der Autor, nämlich die Auffassung der Genre- und Landschaftsmalerei als eigenständige Gebiete künstlerischen Interesses und Ausdrucks. All diese vielfältigen Aspekte in Boschs Schaffen belegt der Autor detailliert und ausführlich an Boschs einzelnen Gemälden und Zeichnungen.

Titelbild

Stefan Fischer: Im Irrgarten der Bilder. Die Welt des Hieronymus Bosch.
Reclam Verlag, Ditzingen 2016.
240 Seiten, 34,95 EUR.
ISBN-13: 9783150110034

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