Deine Frau, die Fähe
Über David Garnetts Roman „Dame zu Fuchs“
Von Oliver Pfohlmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNein, es war nichts ungewöhnlich an jener Mrs. Silvia Tebrick bis zu jenem Januartag im Jahr 1880 – das wird vom Erzähler gleich zu Beginn klargestellt. Gut, sie sei von eher kleiner Statur gewesen, wie es heißt, mit zierlichen Händen und Füßen – aber das trifft ja auf viele Frauen zu. Was ihr Auftreten anging, so muss Mrs. Tebrick für eine junge englische Dame sogar vorbildlich gewesen sein: „zurückhaltend bis zur Schüchternheit“ sei sie gewesen, betont der Erzähler, „absolut selbstbeherrscht und absolut wohlgeraten“. Ein merkwürdiger Zufall ist allerdings, dass ihr Mädchenname ausgerechnet Fox – also Fuchs – lautete.
Denn in eben einen solchen – oder besser gesagt, in eine Fähe, eine Füchsin – verwandelt sich diese Mrs. Tebrick in David Garnetts Kurzroman „Dame zu Fuchs“ ganz plötzlich und unvermittelt, während eines Spaziergangs mit ihrem frisch angetrauten Ehemann. Nachdem ein verwirrt-liebevoller Blick aus Fuchsaugen diesem versichert hat, dass seine Frau noch immer sie selbst ist, wenn auch in anderer Gestalt, reagiert Mr. Tebrick erstaunlich pragmatisch: Zuerst schmuggelt er seine verwandelte Frau unter seiner Kleidung zurück ins ländliche Herrenhaus, dann entlässt er unter einem Vorwand seine Angestellten. Außerdem erschießt er seine beiden Hunde, zur Sicherheit.
Was folgt, ist der Versuch, sich mit der neuen Situation zu arrangieren. Das gelingt überraschend gut. Zunächst jedenfalls. Man schläft gemeinsam im Ehebett und nimmt zusammen den Tee ein – das „beißend“ riechende Tier stets rücksichtsvoll parfümiert und im sittsamen Seidenjäckchen. Das erhoffte Eheglück scheint noch immer möglich, wenn auch von nun an in strikter Zweisamkeit, fern der Gesellschaft. Sogar dem Kartenspiel frönen die beiden – nur dass die Füchsin immer öfter nach dem Taubenkäfig schielt …
Würde der Roman hier enden, wäre David Garnetts „Dame zu Fuchs“ aus dem Jahr 1922 eine Art Karikatur einer viktorianischen Ehe. Tatsächlich beschreibt dieser entzückende Kurzroman aber im Eskalationsmodus ihre Überschreitung: erst durch allmähliche Auflösung, dann durch Umkehrung überlieferter Geschlechterrollen. Gegen Ende wird auf eindrucksvolle Weise von einer zumindest zeitweise gelingenden Form selbstloser Liebe erzählt – mag diese auch Besessenheit zum Verwechseln ähnlich sehen. Mit dieser Thematik unterscheidet sich Garnetts Roman gründlich von den familiär-ödipalen Verstrickungen in Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“, mit der er bis heute immer wieder verglichen wird. Frauen in Fähengestalt: Das ist nicht kafkaesk, sondern ein klassisches Märchenmotiv, das der englische Autor aufgegriffen hat.
Maria Hummitzsch hat „Lady into Fox“, so der Originaltitel, nun in ein modernes, elegantes Deutsch neu übersetzt. David Garnett, der von 1892 bis 1981 lebte, war Mitglied der „Bloomsberries“. Die berühmte Intellektuellengruppe, zu der auch Virginia Woolf gehörte, ist heute nicht zuletzt bekannt für das Eintreten für die Frauenemanzipation und das Ausleben offener, auch homosexueller Beziehungen. Naheliegenderweise sahen einige Interpreten in Mrs. Silvias Verwandlung eine Metapher für weibliche Sexualität. Dazu passt, dass die Ehefrau bald auch innerlich immer mehr zum wilden Tier wird.
Doch ist nicht sie die Hauptfigur von Garnetts Roman, sondern der Ehemann: Der englische Gentleman gerät bald schon an seine Grenzen, spätestens als seine Fähe – statt die mitgebrachten Lieblingsblumen zu bewundern – ein Kaninchen massakriert und ihren entsetzten Mann mit blutverschmiertem Mäulchen dankbar anblickt. Später ignoriert sie all seine Appelle an ihr Schamgefühl, zerfetzt sich das Seidenjäckchen und geht Enten jagen: „als splitternackte Fähe“, wie es heißt, „ohne ihrem armen Mann auch nur einen Blick zu schenken, der jetzt stumm vor Verzweiflung und Schrecken am Ufer stand.“
Ob und wie Mr. Tebrick die immer neuen Abgründe der Verzweiflung überwindet, soll hier nicht erzählt werden. Es genügt der Hinweis, dass seine Fähe so einige Prüfungen für ihn bereithält und dass dabei seine viktorianischen Vorstellungen von „Männlichkeit“ radikal in Frage gestellt werden. Wie an jenem Tag, als ihm seine Frau im Wald fünf süße Welpen präsentiert und Mr. Tebrick von einem stolzen Fuchsrüden misstrauisch beäugt wird.
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