Inspirationen in der gefährlichsten Stadt der Welt

Ein Gespräch mit der Krimiautorin Gisa Klönne über menschliche Abgründe, die Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Ermittlern und die Schwierigkeit, eine Spannungskurve aufrechtzuerhalten

Von der Übung LehrredaktionRSS-Newsfeed neuer Artikel von  der Übung Lehrredaktion

Einer dieser heißen Junitage, an denen selbst die Abendstunden keine Abkühlung bringen. Das alte Gebäude der Philosophischen Fakultäten der Philipps-Universität Marburg trotzt der Hitze. Im obersten Stockwerk eine klassische Krimisituation: Ein „locked room“. Zwar ohne Leiche, aber mit acht tatverdächtigen Studentinnen samt dem Dozenten. Auf dem Tisch: ein Telefon. Am anderen Ende der Telefonverbindung die Autorin Gisa Klönne in ihrem selbst errichteten „Schmelztiegel“ in Köln. Bei Anruf Mord? Nicht ganz, zumindest aber eine Spezialistin für literarische Morde. Gisa Klönne zählt zu den bekanntesten Krimiautorinnen Deutschlands. Nach ihrer Arbeit als Journalistin schrieb sie mehrere Kurzkrimis, bevor sie 2005 mit Der Wald ist Schweigen den ersten von bisher fünf Bänden der Reihe um die Ermittlerin Judith Krieger veröffentlichte. Für den dritten Band der Reihe, Nacht ohne Schatten, erhielt sie den renommierten Friedrich-Glauser-Preis. Auf den bislang letzten Krimi mit dem Ermittlerteam Judith Krieger und Manni Korzilius im Jahr 2011 folgten die autobiographisch inspirierten Familienromane Das Lied der Stare nach dem Frost (2013) und Die Wahrscheinlichkeit des Glücks (2014). Jetzt kehrt Gisa Klönne zu ihrer Krimi-Reihe zurück.

Lehrredaktion[1]: Frau Klönne, im Herbst erscheint der 6. Fall rund um Ihre Ermittlerin Judith Krieger. Welche Überlegungen stecken hinter der Namenswahl für diese Figur?

Gisa Klönne: Das war eine lange Geschichte. Man wird als Autorin immer für ein bisschen durchgeknallt gehalten, wenn man sagt: Ich hatte mir einen schönen Namen für meine Figur ausgedacht, hatte dann angefangen zu schreiben und gemerkt, dass die Figur so aber nicht heißen wollte. Ich wähle die Namen natürlich bewusst, ein Name sagt schließlich sehr viel. Ich wollte außerdem nichts zu besonderes, auch nichts alliteratives, wie es damals, vor zehn Jahren, gerade bei diesen heiteren Krimis in Mode war. Der Name Krieger stand schnell fest, der ist nicht zu abgedreht und besagt natürlich auch etwas über die Figur, er ist sprechend und weckt Assoziationen. Der Vorname war schwieriger, Judith war nicht die erste Wahl, aber beim Schreiben merkte ich plötzlich: Der passte. Und Judith hat natürlich auch eine Bedeutung. Judith Krieger ist ein dunkler Name für eine Figur mit dunkler Geschichte. Sie hat ja als Kind ihren Vater verloren, der Engel hieß. Sie ist also eine geborene Engel und wurde dann zum Krieger. 

Lehrredaktion: Welche Assoziationen werden denn mit dem Namen Krieger verbunden?

Gisa Klönne: Es ist etwas Kämpferisches, aber in meiner Romanserie nicht in dem Sinne, dass meine Kommissarin Judith Krieger mit der Pistole durch die Gegend rennt und alles niederknallt. Sie macht ihre größten Kämpfe mit sich selbst aus. Es ist immer wieder eine Geschichte des sich selbst Überwindens. Sie ist eine starke Figur, aber nicht im Sinne einer klassischen Actionheldin. Sie kann Schmerz spüren, fällt hin, leidet wie ein Hund und steht wieder auf. Das ist das eigentlich Kämpferische. Der Name Krieger steht nicht für eine Soldatin, sondern für jemanden, der den Schmerz kennt und sich durch ihn hindurch kämpft.

Lehrredaktion: Ist das Kämpferische deshalb so wichtig, weil Sie in Ihren Büchern eine weibliche Kommissarin als Hauptfigur haben?

Gisa Klönne: Absolut. Bevor ich anfing, die Serie zu schreiben, habe ich mit zwei Kriminalkommissarinnen der Kölner Mordkommission gesprochen und erfahren, dass Frauen dort immer noch in der Unterzahl sind. Trotz Frauenförderprogramms und öffentlichen Dienstes, was auch daran liegt, dass die Schichtdienste in der Mordkommission nicht sehr familienfreundlich sind. Im Fernsehen gibt es mittlerweile zwar zahlreiche Kommissarinnen, aber in der Realität ist das immer noch ein Männerjob. Erst seit Mitte der 1980-er Jahre war es ja für Frauen in der Bundesrepublik uneingeschränkt möglich, alle Karriereleitern bei der Polizei zu erklimmen, auch weil sie bis dahin keinen Dienst an der Waffe verüben durften. Deswegen gibt es einen gewissen Aufholbedarf. Eine Kommissarin wie Judith Krieger ist dementsprechend in der Mordkommission immer noch eher eine Ausnahme und muss sich in einer Männerdomäne behaupten. Sie muss sich also auch hier durchkämpfen.

Lehrredaktion: Gibt es generelle Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Ermittlern in der Realität und auch in der Literatur?

Gisa Klönne: Ich mag dieses „männlich“ und „weiblich“ als pauschale Einteilungen eigentlich überhaupt nicht. Ich dachte früher, dass Frauen etwas gefühlvoller seien und intuitiver agieren. Tatsächlich habe ich aber im Laufe der Jahre mit so vielen Kommissarinnen und Kommissaren gesprochen, die mir gesagt haben, dass es wirklich um Intuition geht, wenn man sich auf eine Fährte setzt. Natürlich gibt es unterschiedliche Typen: Es gibt die Sensiblen, die Stillen, es gibt die Ellenbogen-Typen – und das bei Frauen ebenso wie bei Männern. Im Fernsehen oder in der Literatur ist es etwas typisierter – in der Realität eigentlich nicht.

Lehrredaktion: Da Sie an der Pauschalisierung von „weiblich“ und „männlich“ Anstoß nehmen: Stört Sie dann auch das Label „Frauenkrimi“?

Gisa Klönne: Ja. Ich mag auch die Bezeichnung ‚Frauenministerium’ nicht, das ist ja schließlich genau genommen für Familienfragen und nicht ausschließlich für Frauen zuständig. Die Bezeichnung „Frauenkrimis“ schließt Männer als Zielgruppe aus. Es gibt natürlich trotzdem Bücher, die die Rollenklischees bedienen. „Rosawohlfühlliteratur“ für Frauen, die auch Landhaus- oder Kuschelkrimis heißt. Und für Männer diese derben hard-boiled-Krimis, in denen Frauen nur als Sekretärin, Leiche oder als Geliebte vorkommen. Zwischen diesen beiden Klischees gibt es Grauzonen, in denen Literatur nicht so eindeutig klischeebehaftet und stereotyp ist, sondern im Ungefähren bleibt – und dort wird es erst spannend.

Lehrredaktion: Ist es Ihr Ziel, Ihre Romane in dieser Grauzone anzusiedeln?

Gisa Klönne: Ja, absolut. Mich interessieren keine Klischees, sondern eher diese urmenschlichen, existentiellen Fragen. Es gibt nichts Einschneidenderes als einen plötzlichen, gewaltsamen Tod, der alles auf den Kopf stellt und der jedem die eigene Verletzlichkeit und Sterblichkeit vor Augen führt. Damit kämpfen wir alle als Menschen, damit kämpfen auch meine Figuren. In meinen Romanen lote ich folglich aus, wie sie damit umgehen.

Lehrredaktion: Was hat Sie dazu motiviert Romane außerhalb des Krimigenres zu schreiben, wenn der Tod Sie so sehr fasziniert?

Gisa Klönne: In der großen Literatur geht es doch eigentlich auch immer um die beiden großen Themen: Liebe und Tod, vielleicht noch um Familie, Freundschaft, Verrat. Die ganz großen Gefühle und Lebensthemen. Ich wusste schon als Kind, dass ich Bücher schreiben will, weil mich Geschichten faszinieren. Ich habe aber nie gesagt, dass ich nur Krimis schreiben will. Meine ersten zwei Versuche, die ich nicht zu Ende geführt habe, waren keine Krimis. Ich habe damals aber bereits Krimis gerne gelesen, weil ich das Spannende an dem Genre so mag. Tatsächlich war es dann beim Konzipieren von „Der Wald ist Schweigen“ für mich auch ein Halt, dass ich im Krimigenre ein gewisses Muster habe, das ich bedienen muss: Es gibt ein Verbrechen und einen Täter, der am Ende von einer Kommissarin oder einem Kommissar überführt werden muss.

Lehrredaktion: Diese Muster sind nicht zuletzt dafür verantwortlich, dass Kriminalromane oft als Trivialliteratur gesehen werden.

Gisa Klönne: Ich wollte natürlich keinen trivialen Krimi schreiben. Da sind wir wieder bei diesen Grauzonen. Ich habe weder einen Regionalkrimi, noch einen Frauenkrimi, noch einen lustigen Krimi entwickelt. Ich wollte eine existentielle und berührende Geschichte erzählen – mit den Mitteln des Kriminalromans. Und von wegen trivial: Auch bei Krimis gibt es eine große Spannbreite, genau wie bei der Nicht-Kriminalliteratur. Eine Liebesgeschichte ist auch erst mal trivial, aber wenn sie ein Shakespeare schreibt, dann wird es schon spannender. Es geht immer wieder um den Stil und darum, wie man seine Geschichten erzählt.

Lehrredaktion: Wünschen Sie sich eine größere Beachtung der Kriminalliteratur durch die Literaturwissenschaft und die großen Feuilletons?

Gisa Klönne: Das fände ich in Teilen durchaus gerechtfertigt und wünschenswert. Speziell das deutsche Feuilleton und die deutsche Literaturwissenschaft sind generell gegenüber der gehobenen Unterhaltung sehr vorsichtig. Im Deutschen muss Literatur, die etwas gilt – salopp ausgedrückt – immer wehtun. Im angelsächsischen Sprachraum geht es da viel lockerer zu. Dort darf ein Roman, der im Feuilleton gelobt wird, einen wichtigen Preis bekommt und der an den Universitäten gewürdigt wird, auch unterhalten und total spannend sein. In Deutschland ist Unterhaltung oft geradezu ein Schimpfwort. Ich muss gestehen: Während meines Germanistik-Studiums habe ich meine Liebe zur Literatur auch deshalb bewahrt, weil ich Krimis gelesen habe.

Lehrredaktion: Von welchen Autorinnen und Autoren haben Sie am meisten gelernt? Welche Klassiker des Krimigenres haben Sie am stärksten beeinflusst?

Gisa Klönne: Ich bin weniger über Klassiker, wie etwa Agatha Christie, zum Krimi gekommen. Ich habe Ende der 1980-er Jahre die beiden Amerikanerinnen Elizabeth George und Sue Grafton entdeckt. Die eine, Sue Grafton, mit einer hard-boiled-Privatdetektivin, sehr witzig, mit einer Art Road-Movie-Atmosphäre, und Elizabeth George mit ihren sehr psychologischen Romanen. Das war tatsächlich noch während meines Studiums, die habe ich in der Bibliothek der Anglisten entdeckt. So kann man Krimis auch erzählen, habe ich gedacht! Mit ganz spannenden psychologischen Figuren, quasi als Gesellschaftsroman. Dann war ich angefixt und habe danach die Skandinavier entdeckt, vor allem die Klassiker-Serie von Maj Sjöwall und Per Wahlöö, die von 1965 bis 1975 eine Krimireihe geschrieben haben und dabei den gesellschaftlichen Wandel Schwedens weg vom alten, sozial-gemütlichen „Kuschel-Schweden“ hin zu einem modernen Staat beschreiben. Das fand ich großartig und sehr inspirierend: gesellschaftliches Anliegen, psychologische, spannende Figuren, aber mit den Mitteln des Kriminalromans.

Lehrredaktion: War das das Schlüsselerlebnis in Ihrer Lesebiografie, das Sie dazu veranlasst hat, Kriminalromane zu schreiben?

Gisa Klönne: Das kann schon sein. Aber man könnte auch argumentieren, dass ich schon als Kind mit Kalle Blomquist dabei war, mich in das Kriminalgenre zu verlieben. Das war sicherlich die Erstinfektion. Aber ja, als Erwachsene waren das Grafton, George und Sjöwall / Wahlöö.

Lehrredaktion: Im Krimi geht es im Allgemeinen meist um Mord und zwischenmenschliche Probleme. Was fasziniert Sie so stark an den menschlichen Abgründen?

Gisa Klönne: Naja, ich bin Mensch. Beim Krimischreiben habe ich die Gelegenheit, mich tief in eine Figur reinzudenken. Was könnte jetzt jemand tun oder denken, was motiviert jemanden etwas zu tun, was ich selbst überhaupt nicht fassen kann? Ich kann mich in andere Köpfe und andere Welten hineinversetzen. Das ist immer auch ein Versuch, Verbrechen und Unrecht zu verstehen. Meine Kommissarin Judith Krieger will immer Gerechtigkeit und sie weiß genau, dass sie diese Gerechtigkeit nie erreichen wird, aber sie versucht es trotzdem verzweifelt. Vielleicht teilt sie diese Sehnsucht nach einer gerechteren und besseren Welt auch mit mir.

Lehrredaktion: In welcher Welt fühlen Sie sich sicherer – in der echten oder der von Verbrechen durchzogen fiktionalen?

Gisa Klönne: Wenn ich mich in meine fiktionale Welt und die Fälle Judith Kriegers wirklich hineinversetze, dann fühle ich mich in meiner echten Welt doch sicherer. Als Autorin aber habe ich es in der Hand, wen ich sterben lasse oder nicht. Und es gibt eine gewisse Genre-Konvention, die poetische Gerechtigkeit also: Meistens überleben die Kommissare und die großen Sympathieträger, und am Ende ist die Welt wieder ein bisschen in Ordnung. Das ist im Krimi besser als in der richtigen Welt.

Lehrredaktion: Damit diese fiktionale Welt im Krimi auch richtig funktioniert: Wie schwierig ist es, eine Spannungskurve aufrechtzuerhalten?

Gisa Klönne: Total schwierig. Ich weiß natürlich viel darüber, wie Spannung funktioniert, wie man Handlung, Szenen und Perspektiven plant. Erste Regel: Man darf nie alles auf einmal verraten. Wenn man einen Handlungsbogen gelöst hat, muss sofort eine neue Frage aufgeworfen werden. Man muss die Informationen also nur häppchenweise einstreuen. So viel zur schönen Theorie. Praktisch ist es aber so: Was ich mir ausdenke, kann mich ab einem bestimmten Punkt selbst überhaupt nicht mehr überraschen. Ich finde dann jede noch so irre Wendung total plausibel. Es gibt also immer einen Punkt beim Schreiben, an dem ich denke: „Das ist alles total langweilig.“ Für diesen Fall habe ich glücklicherweise meine Testleser. Denen verrate ich nicht, wie der Roman ausgeht, sondern frage sie: „Was überrascht dich an dieser Stelle? Was erwartest du?“ Meistens bin ich dann wieder beruhigt, weil sie mir auf den Leim gehen. Wenn die Testleser aber den Täter schon früh erraten, weiß ich, dass ich etwas falsch gemacht habe und nachbessern muss.

Lehrredaktion: Welche Tipps können Sie Nachwuchsautorinnen und -autoren geben?

Gisa Klönne: Viel Lesen und viel Schreiben. Das klingt total banal, ist aber tatsächlich die Grundvoraussetzung. Man muss sich an seine Erzählsprache herantasten und natürlich muss man sein Genre kennen. Man darf nicht aufgeben und sich der Kritik stellen. Schreiben ist ein sehr einsamer Prozess und hat viel mit Konzentration zu tun. Aber es gibt auch Punkte, an denen man sich ein Feedback holen muss. Das kann natürlich auch wehtun. Ich habe das selbst noch als junge Frau während meiner Schulzeit erlebt. Da hatte ich eine Kurzgeschichte bei einem Wettbewerb eingereicht und kam nicht unter die besten 30, die in einer Anthologie erscheinen sollten. Das hat mich damals total getroffen. Und so würde ich jedem Nachwuchsautor heute sagen: Juroren haben einen Geschmack, der muss aber überhaupt nichts über die Qualität aussagen. Und in jeder Krise steckt eine Chance. Also weiter machen, dabei bleiben und sich trotzdem immer wieder der Kritik stellen.

Lehrredaktion: Wie lange schreiben Sie ungefähr an einem Roman?

Gisa Klönne: Das variiert. Mein aktueller Roman, dessen Druckfahne gerade vor mir liegt, hat fast zwei Jahre gedauert. Für „Unter dem Eis“, Judith Kriegers zweiten Fall, habe ich nur neun Monate benötigt, davon waren sechs Monate reine Schreibarbeit. Es ist aber in der Regel so, dass ich sehr lange plane, korrigiere, anfange und immer wieder verwerfe. Ab dem Moment, in dem ich die Sprache, die Figuren und die Handlung gefunden habe, schreibe ich dann meistens etwa fünf bis sechs Monate. An meinem Familienroman „Das Lied der Stare nach dem Frost“ habe ich insgesamt fünf Jahre geschrieben. In dieser Zeit sind aber auch noch zwei Krimis entstanden. Es gibt also keine Grundregel.

Lehrredaktion: Worin sehen Sie das besondere Potenzial einer Krimi-Reihe gegenüber einzelnen Kriminalromanen?

Gisa Klönne: Wenn die Leser sich in eine Figur verliebt haben, wollen sie mehr von dieser Figur. Das sehen wir ja beim „Tatort“, da hat man seine Lieblingsermittlerteams, die dann für Quoten-Hits sorgen. Man lernt als Leser eine Welt kennen, auch die Gefühls- und Beziehungswelt einer Figur. Wo, wenn nicht in der Literatur, können wir so weit und immer tiefer in die intimsten Gedanken einer anderen Person eintauchen? Das ist der klare Vorteil einer Serie.

Lehrredaktion: Schränkt Sie das dann eventuell auch ein?

Gisa Klönne: Es ist ein Balanceakt. Eine Serie ist ja immer ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Ein Lektor hat mal gesagt: „Der Anspruch der Leser ist: Erzähle mir dasselbe noch einmal, aber ganz anders.“ Das kann man auf Dauer schlecht durchhalten. Deswegen war es für mich sehr wichtig, nach meinem fünften Krimi eine Pause einzulegen. Mir war klar, dass ich etwas ganz anderes erzählen möchte, andere Geschichten auf eine andere Weise und mit anderen Figuren. Auch, um nicht nur mit einer Figur und einer Sorte Kriminalroman identifiziert zu werden. Als ich nach zwei Romanen wieder zu Judith Krieger zurückgekehrt bin, habe ich gemerkt, wie gut das dem Buch getan hat. Aber auch, wie gut es mir und meiner Art, einen Krimi zu erzählen, getan hat. Ich konnte dann ein paar Stellschrauben verändern und das Projekt weiterentwickeln. Das finde ich sehr wichtig für eine Serie.

Lehrredaktion: Ist in den nächsten Jahren ein Krimi von Ihnen außerhalb der Judith-Krieger-Reihe zu erwarten?

Gisa Klönne: Vermutlich ja. Ich habe noch so viele Ideen, dass ich es einfach gerne probieren möchte. Vielleicht noch nicht mal einen Krimi, der in der Polizei angesiedelt ist, weil Mordkommission und Rechtsmedizin zwar durchaus sehr spannend sind, aber erzählerisch auch einschränken. Denn Polizeibeamte sind in der Realität eben Beamte und ein großer Teil ihres Lebens besteht in Protokoll- und Sitzungswesen. Das ist in keinster Weise spannend. Und sie müssen Auflagen befolgen, müssen sich rückversichern, dürfen keine Alleingänge unternehmen. Wenn ich das als Krimiautorin so beschreiben würde, schließt das aus, dass ich meine Figuren in Gefahr oder in brenzlige Situationen begeben. Aber genau da wird es spannend. Das heißt, ich bin die ganze Zeit dabei, etwas zu erfinden, und so zu motivieren, dass meine Kommissarin zwar als Polizistin plausibel bleibt, aber doch nicht so brav ist und irgendwie am Rande der legalen Möglichkeiten ihr eigenes Ding dreht. Inzwischen denke ich, eine Figur, die gar nicht bei der Polizei ist, wäre toll.

Lehrredaktion: Also ein Privatermittler?

Gisa Klönne: Ja, andererseits hat das – wie ich von Kollegen weiß – wieder andere Tücken. Die Polizei hat ja einen gewissen Ermittlungsvorsprung und ein Hoheitswissen. Wie kommt also ein Privatermittler an diese Informationen? Oder gar ein Nicht-Detektiv in einem Thriller? Das kann schräg, dreckig, knifflig und spannend sein. Und auf andere Art schwierig. Ich werde es wohl mal probieren.

Lehrredaktion: Was dürfen wir von Ihrem neuen Buch erwarten, das im Herbst erscheint?

Gisa Klönne: Ich habe mit „Die Toten, die dich suchen“ meine Lust am Kriminalroman neu entdeckt. Die neu erstarkte Judith Krieger arbeitet nicht mehr bei der Mordkommission, sondern leitet die Vermisstenfahndung. Es geht um die Folgen eines Bürgerkriegs, um Flucht und Vertreibung. Wichtigste Inspiration war eine Einladung zu einem Krimifestival in Medellín/Kolumbien – in die einstige Drogenhauptstadt von Pablo Escobar, die damals die gefährlichste Stadt der Welt war. Ich habe die Einladung erst für einen Scherz gehalten. War sie aber nicht. Und so habe ich beim Festival ein paar Vorträge über den deutschen Kriminalroman gehalten und bin im Anschluss in die Bürgerkriegswelt und in die Welt des Pablo Escobar eingetaucht. Danach hatte ich so viel Material zusammen, dass ich unbedingt wieder einen Krimi schreiben wollte.

[1] Das Gespräch führten Lisa Müller und Hannah Varinia Süßelbeck nach gemeinsamer Vorbereitung der im Sommersemester 2016 am Institut für Neuere deutsche Literatur der Universität Marburg unter der Leitung von PD Dr. Manuel Bauer durchgeführten Übung „Lehrredaktion“. In der praxisorientierten Übung, die Bestandteil des Master-Studienganges „Deutsche Literatur“ ist, wurden den Studierenden Einblicke in den Literaturbetrieb, speziell in die Arbeitsabläufe der Redaktion von literaturkritik.de, gegeben und von diesen unterschiedliche kulturjournalistische Texte eingeworben (zum Teil auch selbst geschrieben), in Redaktionssitzungen gemeinsam diskutiert, redigiert und zu diesem Schwerpunkt zusammengestellt. An der Vor- und Nachbereitung des Interviews beteiligt waren Caroline Döschner, Angelika Klassen, Anna-Lena Schmied, Anja Schneider, Svea Wessels und Manuel Bauer.