Viel Lärm um nichts

Über den Aufruhr um Jakob Wassermanns „Der Aufruhr um den Junker Ernst“

Von Benedikt KleinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Benedikt Klein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es herrscht heller Aufruhr im Lande. Vor allem aus religiösen Gründen. Grund dazu liefert unter anderem das im Jahr 2017 bevorstehende 500. Reformationsjubiläum. Es rückt damit ein historisches Ereignis in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, das seiner Zeit nicht zuletzt im Rahmen der Hexenverfolgung oder des Dreißigjährigen Krieges religiös fundierten Massenmord begünstigt oder gar initiiert hat. Verständlich also, wenn die Evangelische Kirche in Deutschland und die katholische Deutsche Bischofskonferenz nicht nur einen gemeinsamen Versöhnungsgottesdienst zelebrieren, sondern dieser Tage auch noch eine ökumenische Pilgerreise nach Israel und Palästina antreten wollen. Nach jahrhundertelangem Mord und Totschlag also endlich die Fraternisierung im großen Stil. Im Zuge dieser Feierlichkeit werden natürlich zahlreiche Texte aus der Versenkung gehoben, die ohne den Anlass wohl für immer im Dunkeln geblieben wären. Luther als Geburtshelfer der Kunst. Wer hätte das jemals gedacht?

So erblickt auch Jakob Wassermanns historische Novelle „Der Aufruhr um den Junker Ernst“ (1926) das Licht des 21. Jahrhunderts. Wassermann, der unter anderem mit „Caspar Hauser“ (1908) internationale Popularität erlangte und bis zu seinem Tod im Jahr 1934 ein prominenter Autor blieb, ist heute nicht mehr kanonisch. Ob sein Werk zu Recht oder Unrecht in Vergessenheit geraten ist, soll an anderer Stelle diskutiert werden. Fest steht, dass Kanonisierungsprozesse nicht im luftleeren Raum stattfinden und selten unbegründet ablaufen.

Die Handlung des „Junker Ernst“ spielt während der dritten Dekade des 17. Jahrhunderts, also mitten im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges und während des Höhepunkts der Hexenprozesse. Damit ist die Erzählung für eine Re-Rezeption zumindest im Kontext der Reformationsfeierlichkeiten prädestiniert. Doch damit nicht genug: der Verlag wittert zudem weitere Absatzmöglichkeiten und bringt im Zuge der Kampagne „Würzburg liest ein Buch“ eine vollständige Lesung sowie eine Neuausgabe des „Junkers“ nebst kleinem Glossar und einem Nachwort von Wolfgang Riedel auf den Markt. Ein wenig vermessen und mit großem Wirbel als „kulturelles Großereignis“ auf der Startseite der Homepage bezeichnet, macht der Veranstalter „Würzburg liest e. V.“ auch den regionalen Bezug von Wassermanns Erzählung zu Franken beziehungsweise der Stadt Würzburg stark. Dass die Lesung von Martin Menner sowohl produktionstechnisch als auch die Sprecherleistung betreffend nicht auf der Höhe der Zeit ist, sorgt nach dieser fulminanten Ankündigung natürlich für Enttäuschung. Zwar lassen sich die unterschiedlich langen Kapitel des Hörbuchs benutzerfreundlich einzeln anwählen, die andauernden Pausen am Ende eines Stücks jedoch, teilweise bis zu acht Sekunden, lassen den Hörer immer wieder denken, dass entweder das Abspielgerät spontan den Dienst verweigert oder die Lesung zu Ende ist. Irritierend sind zusätzlich die Modulation und Intonation des Sprechers. Auf einer rudimentären Ebene wird Menner der sperrigen Ästhetik des Textes sicher gerecht, aber gerade die betont starre, monotone und kühle Stimme machen das Zuhören nicht einfach – zumal sich Wassermanns Stil auch inhaltlich eher mit Hang zur Schwere, zu kargen Settings sowie wenig lebhaften Figuren zeigt. Der Junker Ernst ist definitiv ein Kellerkind. Nicht nur im übertragenen Sinne.

Was hat aber der „Junker Ernst“ zu bieten, das den Aufruhr um die Erzählung rechtfertigt? Hhm. Zumindest ist darin bereits von ökumenischer Eintracht zu lesen. Besser: von einer Übereinstimmung in Fragen der Hexen- und Ketzerverfolgung: „…und die protestantische Welt war darin mit der katholischen nicht nur eines Sinnes, sondern übertraf sie noch im Eifer der Verfolgung. Es war ein eisenfingriges System, dem keine vom Teufel besessene Fliege entschlüpfen konnte“. Gut, hier wird Kritik an einer bestimmten Kirchenpraxis geübt. Aber Wassermanns „Kritik der Hexenprozesse, ihrer juristischen Willkür, der Wertlosigkeit der durch Folter erpressten Geständnisse und der unverantwortlichen Naivität der Behörden gegenüber selbst durchsichtigsten Denunziationen“ ist nichts Neues, das Wissen um die Hintergründe der Inquisition ist ein Allgemeinplatz und gehört zum Fundus eines jeden Abiturienten (und hat wohl mit dazu beigetragen, dass es in den Kirchen immer mehr freie Sitzplätze gibt).

Erzählerisch passiert im „Junker Ernst“ leider nicht besonders viel. Die Novelle ist mäßig spannend, aus oben genanntem Grund nur bedingt lehrreich, außerdem schwerfällig im Stil. Der Aufbau folgt einer streng mechanischen Komposition. Auch inhaltlich wird das Rad nicht neu erfunden: der Junker Ernst wächst unter widrigen Umständen auf, er generiert Fabeln, Gleichnisse und kurze Geschichten zur Bewältigung dieser Umstände, wird für diese Erzählungen vor allem von den unteren Ständen, Kindern und gesellschaftlichen Außenseitern bewundert und gerät deshalb in die Fänge der Inquisition. Warum es heute der speziellen historischen Umstände des beginnenden 17. Jahrhunderts bedarf, um über religiöse oder staatliche Repression, über Zensur und Terror, über Fanatismus und kollektiven Wahn zu reflektieren, bleibt unklar. Besonders da Wassermann der direkten Figurenrede ein sprachlich dergestalt grauenhaftes archaisierendes Zeitkolorit verpasst, dass sich beim Hören oder Lesen Magen und Ohren umdrehen und sich der Text so einer allgemeinen Rezeption eher unzugänglich zeigt. Der Aufruhr um den „Junker Ernst“ ist also keinesfalls berechtigt. Er ist im Windschatten der Reformationsfeierlichkeiten erzeugt worden, wird sich nach deren Beendigung schnell wieder beruhigen und schließlich dorthin zurückkehren, von wo er gekommen ist: aus der Dunkelheit.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Kein Bild

Jakob Wassermann: Der Aufruhr um den Junker Ernst. Hörbuch.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2015.
1 CD, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783826059018

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Jakob Wassermann: Der Aufruhr um den Junker Ernst. Erzählung.
Königshausen & Neumann, Würzburg 2015.
181 Seiten, 8,00 EUR.
ISBN-13: 9783826057687

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch